Nachtdienstgedanken

„Zu Ihnen will ich nicht!“

, Uhr
Berlin -

Was für ein Tag! Als die Apotheke schließt, die Mitarbeiter den Heimweg angetreten und sich in das Wochenende verabschiedet haben, verkrieche ich mich in die Rezeptur. Da bricht es auch schon aus mir heraus. Max, meine treue und scharfsinnige Fantaschale, guckt mich irritiert an.

Warum weinst du denn?, fragt mich Max, hast du vom Eis heute nichts abbekommen? Viel schlimmer, schluchzte ich, eine Stammkundin wollte nicht mehr von mir bedient werden. „Zu Ihnen will ich nicht mehr“, fauchte sie mich abwertend an und stolzierte spitz lächelnd zum Kollegen. Was hatte ich getan? Warum wandte sich die Frau von mir ab?

Hast du ihr etwa beim letzten Mal das Wunscharzneimittel nicht gegeben und das böse Wort ,Rabattvertrag` gesagt?, fragt Max müde schmunzelnd. Das muss es sein, ich erinnere mich, diese Diskussion hatte ich fast vergessen? Aber du führst doch täglich mehrere dieser Gespräche über Rabattverträge, Aut-idem-Kreuze und Importquoten, zischt Max. Ich musste der Kundin erklären, dass ich den Blutdrucksenker von einer anderen Firma abgeben muss, weil die Krankenkasse einen neuen Vertrag geschlossen hat. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, musste sie auch noch fünf Euro zahlen. Das „alte“ Medikament war schließlich immer frei.

Ich würde ihr das Geld aus der Tasche ziehen und sie müsse ein Arzneimittel nehmen, was sie nicht vertrage. Ich sei schuld, wenn sie sterben würde. Dabei habe ich ihr ganz freundlich alles ganz ausführlich und verständlich erklärt. Aber wenn man nicht gehört wird, kann man nicht beraten, wirft Max ein, auch mit Laiensprache nicht. Max hat recht, die Frau wollte mich einfach nicht verstehen und hat womöglich auch gar nicht zugehört. Ich fühlte mich missverstanden. Ich war diese Diskussionen über die Rabattverträge leid. Du wirst für etwas verantwortlich gemacht, was nicht in deiner Macht steht. Du musst umsetzen, was so ein Schreibtischtäter sich ausgedacht hat, nur damit die Zahlen stimmen.

Auch damit hat Max recht. Aber mich stört nicht die Bürokratie sondern das Verhalten der Kunden. Als unfreundlich bezeichnet zu werden, habe ich nicht verdient. Setze ich mich doch immer für die Kunden ein, telefoniere mit den Ärzten und kümmere mich um Aut-idem-Kreuze oder neue Rezepte. Ich versuche jeden Wunsch zu erfüllen. Doch wenn ich dann nach unzähligen Minuten in der Warteschleife endlich beim Arzt durchkomme und zugunsten des Kunden verhandeln konnte, werde ich am HV grimmig erwartet und angefaucht. Dann bekomme ich keinen Dank, sondern eine Abfuhr, warum es so lange gedauert hat. Schließlich stehe der Wagen draußen in zweiter Reihe. Und sowieso würde bei den Kollegen alles schneller gehen und nie Probleme geben.

Genau! Du machst das mit Absicht! Einmal am Tag ist eine Kunde dran und den lässt du warten, sagte Max voller Sarkasmus. Stimmt, ich habe auch nichts anderes zu tun. Und nebenbei schmiere ich mir ein Butterbrot. Was ist nur los mit den Menschen, warum ist das Zwischenmenschliche so kompliziert geworden? Weil jeder nur noch an sich denkt und das Beste für sich herausholen will. Manchmal sind es die weißen Tabletten und nicht die cremefarbenen.

Auf jeden Fall solltest du das Wort Rabattvertrag aus deinem Wortschatz streichen, rät Max. Das nehme viel Zündstoff aus dem Kundengespräch. Und telefoniere doch vor dem Kunden am HV, du hast doch ein tragbares Telefon. Nimm es mit nach vorne und zeige dem Kunden, wie sehr du dich nur für IHN bemühst. Vielleicht hilft das und die Kunden sehen, was du leistest. Das ist es! Schluss mit nachträglichen Erklärungen! Wie heißt es doch so schön? Tue Gutes und rede drüber! Ab sofort tue ich Gutes und zeige es den Kunden direkt! Da klingelt es auch schon, mein erster Kunde im Nachtdienst.

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