Zyto-Skandal

Pfusch-Prozess: Anklage fordert 13 Jahre Haft

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Berlin -

Im Gerichtsprozess gegen den Bottroper Apotheker Peter S. fordert der Staatsanwalt 13 Jahre und 6 Monate Haft sowie ein lebenslanges Berufsverbot. Nachdem das Gericht mehrere Anträge der Verteidigung abgelehnt hat, verlas der Staatsanwalt heute sein Plädoyer. Schon am Freitag könnte ein Urteil fallen.

Staatsanwalt Rudolf Jakubowski geht von insgesamt 60 begangenen Straftaten aus. 59 von ihnen seien Betrugsfälle, bei denen Abrechnungen mit Krankenkassen vorgenommen wurden. Auch die 27 Fälle versuchter Körperverletzung seien darin enthalten. Finanziell sei von einem Schaden von 56 Millionen Euro auszugehen, von denen jedoch drei Millionen abzuziehen seien, die die Krankenkassen nach der Inhaftierung des Pharmazeuten einbehalten hatten.

Es handele sich um Verbrechen in einem „beispiellosen Umfang“, zitiert ihn das Recherchenetzwerk Correctiv.Ruhr, das den Prozess vor Ort verfolgt. Es sei „an Dreistigkeit kaum zu überbieten“, so Staatsanwalt Jakubowski, dass Peter S. weiterhin Zytostatika unterdosiert habe, obwohl Jahre vorher bereits wegen genau dieses Vorwurfs gegen ihn ermittelt wurde. Außerdem fordert Jakubowski, dass der Angeklagte auch für die Prozesskosten der Nebenklage aufkommen müsse. Der aktuelle Haftbefehl solle verlängert werden, weil Fluchtgefahr bestehe.

Peter S. habe sich zu Lasten von Menschen bereichert, „die um ihr Leben bangen“. Einen Nachweis für ein Tötungsdelikt oder einen Tötungsvorsatz könne man ihm jedoch nicht nachweisen, so Jakubowski. Der erste Nebenklageanwalt sieht das offenbar anders. Zwar schließt er sich dem geforderten Strafmaß an, vertritt jedoch die Auffassung, dass Peter S. Straftaten gegen Leben und Gesundheit begangen hat.

Ein weiterer Nebenklageanwalt nimmt neben Peter S. auch dessen Verteidiger ins Visier. Der sei Kanzleikollege von Peter S.‘ Steuerberater – der sich schon früher Gewinne der Alten Apotheke nicht erklären konnte. Deshalb stelle sich die Frage, ob der Verteidiger die Grenzen anwaltlicher Interessenvertretung überschritten habe und selbst an Straftaten beteiligt gewesen sei. Der dritte Nebenklageanwalt legt seine Strafforderung noch höher an als der Staatsanwalt: Er forfert 14 Jahre und neben einem lebenslangem Berufsverbot das Verbot, in einem Labor zu arbeiten und zu den Opfern Kontakt aufzunehmen.

Auch die zuständigen Aufsichten wurden von der Nebenklage kritisiert: Es handele sich um „einen klaren Fall von Behördenversagen“, so einer der Anwälte. Nebenklageanwalt Aydan Akyildiz, dessen Mandantin vor kurzem ihrem Krebsleiden erlag, bedauert, dass wohl niemals geklärt wird, wer wann und warum eine Unterdosierung erhielt. Seine eigene Mandantin hatte darüber hinaus Pertuzumab statt Trastuzumab erhalten, obwohl ersteres eigentlich im Einkauf teurer ist. Auch dafür werde man den Grund wohl nie erfahren.

Der Nebenklageanwalt Peter Goldmann wiederum ging bei seinen Vorwürfen noch weiter. Er verlangt eine Verurteilung wegen versuchten Mordes. „Sie, Herr Stadtmann, haben meine Mandantin um die Chance betrogen, diese Krankheit zu besiegen und das kann man nicht anders als versuchten Mord werten“, so Goldmann. Er beschuldigte auch Mitarbeiter und Peter S.‘ Steuerberater, von den Verbrechen gewusst zu haben, es habe ein „System von Unterstützern“, das sein Handeln erst ermöglicht habe. Niemand, der dieses System mitgetragen habe, dürfe unbehelligt bleiben.

Heute und Donnerstag halten Staatsanwalt, Nebenklage und Verteidigung ihre Plädoyers in dem Fall, am Freitag wollen die Richter voraussichtlich ein Urteil fällen. Der Prozess gegen den Pharmazeuten Peter S. hätte dann 44 Verhandlungstage gedauert. In den letzten Tagen hatten Verteidiger und Nebenkläger das Ende des Prozesses mit einer Reihe von Anträgen verzögert. Auch beim heutigen Verhandlungstag hatten Peter S.‘ Anwälte fast zwei Stunden lang zwei Anträge verlesen. Bei ersterem ging es um ein neues pharmazeutisches Gutachten zu den Untersuchungen des Paul-Ehrlich-Institus und des Landeszentrums für Gesundheit. Deren Untersuchungsmethoden entsprächen nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft, so die Verteidigung.

Damit brachte sie Staatsanwalt und Nebenklage erneut gegen sich auf. „Bisher habe ich diesen Begriff vermieden, aber das ist jetzt im Bereich der Verschleppungsabsicht“, zitiert Correctiv Staatsanwalt Jakubowski. Die Nebenklage sprach vom Festhalten an der „Fata Morgana der Unverwertbarkeit“. Bereits in der vorvergangenen Woche hatte das Gericht insgesamt zwölf Anträge der Verteidigung abgelehnt.

In einem zweiten Antrag forderte die Verteidigung in seitenlangen Ausführungen, Psychiater Pedro Faustmann als Gutachter zur Schuldfähigkeit des Angeklagten zu hören. Ein anderer Gutachter mit neurologischer oder medizinischer Ausbildung sei aushilfsweise auch möglich. Die Verteidigung begründet das damit, dass der bisherige Sachverständige Schiffer nicht ausreichend qualifiziert sei, um die Einschränkungen in Folge der Hirnschädigung zu bewerten. Schiffer kam zu dem Schluss, dass S. nicht an einer Hirnschädigung leidet. Die Ergebnisse der Tests seien so schlecht, dass er wohl simuliere. Das Gericht kündigte an, alle offenen Anträge erst im Urteil zu bescheiden.

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