Schlafmittel

Warentest lehnt Baldrian-Kombis ab

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Berlin -

Erste Hilfe bei schlaflosen Nächten: Etwa 30 Prozent der Deutschen leiden regelmäßig unter Schlafstörungen. Betroffene suchen Hilfe in freiverkäuflichen Arzneimitteln. Laut Stiftung Warentest erzielten die Hersteller im vergangenen Jahr 219 Millionen Umsatz – den Mass Market nicht einberechnet. Warentest hat 55 Schlafmittel aus Apotheke und Drogerie bewertet. Das Ergebnis überrascht, denn das Verbraucherportal sieht Antihistaminka als Mittel der Wahl.

„Welche Mittel müde machen“ verrät die aktuelle Analyse von Warentest. Aus Sicht der Tester sind Antihistaminika wie Doxylamin und Diphenhydramin die besten rezeptfreien Arzneimittel – gefolgt von Baldrian-Präparaten. Warentest schränkt die Anwendung der chemischen Schlafmittel jedoch ein. Die Präparate sollten nur wenige Tage – maximal zwei Wochen – angewendet werden. Ein Gebrauch über diesen Zeitraum hinaus führe zu Gewöhnung und Dosissteigerung sowie einem höheren Risiko für Nebenwirkungen wie Schwindel, Benommenheit und Verwirrtheit. Das Verbraucherportal rät älteren Patienten von einer Verwendung ab.

Die H1-Antihistaminika kamen ursprünglich als Heuschnupfenmittel auf den Markt und haben eine schlaffördernde Wirkung, weshalb sie bei Ein- und Durchschlafstörungen eingesetzt werden. Man hat die Nebenwirkung zur Indikation gemacht. Die Einnahme erfolgt eine halbe Stunde bis Stunde vor dem Zubettgehen. Patienten sollten auf eine ausreichende Schlafdauer achten; es empfiehlt sich, etwa acht Stunden einzuplanen, da es sonst am Morgen zu Müdigkeit und einem eingeschränkten Reaktionsvermögen kommen kann. Ärzte forderten in der Vergangenheit gar eine Rezeptpflicht für OTC-Schlafmittel. Schlafmediziner empfehlen hingegen Verhaltenstipps.

Baldrian-Präparate, die festgelegte Vorgaben in Bezug auf Gehalt und Extraktionsmittel einhalten, gelten ebenfalls als empfehlenswert. Allerdings gibt es einen wichtigen Aspekt zu bedenken: Baldrian benötigt mehrere Tage bis Wochen, bis er seine volle schlaffördernde Wirkung entfaltet. Hier sind chemische Schlafmittel klar im Vorteil, da sie innerhalb kurzer Zeit den gewünschten Effekt bringen.

Der Wirkmechanismus von Baldrian ist nicht genau bekannt. Womöglich ist die schlaffördernde Wirkung auf die enthaltenen Lignane zurückzuführen. Vermutet wird eine Wirkung über den Eingriff in den GABA-Regelkreis: Der „Müdemacher“ greift womöglich an dem gleichen Rezeptor wie die Lignane an. Studien haben ergeben, dass Baldrianwurzelextrakt einen Wirkstoff enthalten muss, der am A1-Rezeptor angreift und eine Adenosin-ähnliche Wirkung hervorruft. Adenosin reguliert wiederum den Schlaf-Wachrhythmus und sorgt für einen erholsamen Schlaf, um das Gehirn vor einem möglichen Energiemangel zu schützen.

Warentest hat sowohl Mono- als auch Kombinationspräparate untersucht. Mit „Einschränkung geeignet“ sind Baldriparan Stark für die Nacht (Pfizer), Euvegal Balance 500 (Dr. Willmar Schwabe) oder Klosterfrau Nervenruh Baldrian Forte 600. Die vorliegenden Studien reichen jedoch nicht aus, die therapeutische Wirksamkeit abschließend nachzuweisen, schreiben die Tester. „Wenig geeignet“ und kaum beziehungsweise gar nicht in klinischen Studien untersucht sind Baldriantinktur Hetterich, Baldriandragees von dm, Rossmann und Kneipp.

Blickt man auf die Kombinationspräparate mit Hopfen, sind nur Klosterfrau Nervenruh Einschlafdragees und Abtei Nachtruhe Baldrian + Hopfen „mit Einschränkung geeignet“, da sich zumindest einige Studien finden lassen. „Wenig geeignet“ laut Warentest sind Baldrian Dispert Nacht (Cheplapharm) und Luvased zum Einschlafen (Dr. Kade) sowie Vivinox Night (Dr. Gerhard Mann). Auch eine Kombination mit Johanniskraut oder Melisse sei nicht besser geeignet. Kytta Sedativum (Merck), Sedacur (Schaper und Brümmer) oder Sedariston (Aristo) sind nur „wenig geeignet“.

Tees würden grundsätzlich negativ bewertet. Zwar konnten keine bis wenige Schadstoffe nachgewiesen werden, aber Pestizide oder Beimischungen mit Pyrrolizidin- oder Tropanalkaloiden könnten enthalten sein. Ebenfalls negativ und „nicht geeignet“ wurden diätetische Lebensmittel mit Tryptophan oder 5-HTP bewertet. Die Substanzen dienen dem Körper als Vorstufen für die Bildung des Schlafhormons Melatonin – das als Arzneistoff eingesetzt unter die Verschreibungspflicht fällt. Die Tester urteilen, auch Tryptophan und 5-HT sollten der Arzneimittelzulassung unterstellt werden.

Von den rezeptpflichtigen Arzneistoffen seien Brotizolam, Lormetazepam, Temazepam und die Z-Substanzen Zolpidem und Zopiclon „geeignet“. Diese Substanzen können Schlafprobleme wirkungsvoll lindern, heißt es. Wobei Lormetazepam und Temazepam sich eher bei Durchschlafstörungen eignen. Aber auch für die fünf Wirkstoffe gilt die Devise: So kurz wie möglich, da sonst ein Anhängigkeitspotential bestehe.

Das Fazit: Schlafmittel können dem Körper die Erholung geben, die er braucht. Aber es gibt auch einen Schattenseite. Vor allem chemische Schlafmittel können bei Dauergebrauch dem Körper schaden. Wer länger als etwa vier Wochen unter Schlafproblemen leidet, sollte ohnehin einen Arzt aufsuchen.

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