BMG-Datenaffäre

Nur 3 von 40 Fällen bleiben

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Berlin -

Im Prozess um einen möglichen Datendiebstahl im Bundesgesundheitsministerium (BMG) sind drei von ursprünglich 40 Fällen übrig, die von den Richtern offenbar als relevant angesehen werden. Im Rechtsgespräch erklärte der Vorsitzende, die Angeklagten müssten damit rechnen, dass der Tatvorwurf des Ausspähens von Daten in bestimmten Fällen bejaht werden könnte. Die Verteidiger beider Angeklagten regten daraufhin an, das Verfahren gegen Auflage einzustellen. Darüber könnte schon in der nächsten Sitzung befunden werden.

Nachdem seit Anfang Januar Zeugen verhört wurden, hatten die Richter in der vergangenen Woche angekündigt, dass sie den Parteien ihre vorläufige Einschätzung präsentieren würden. Die Beratung habe ergeben, dass die Angeklagten damit rechnen müssten, dass das Ausspähen von Daten bejaht werde, sofern persönliche Postfächer betroffen seien. Dagegen spreche vieles dafür, dass dies bei den öffentlichen Konten nicht so gesehen werde. Die Zeugenvernehmung hatte ergeben, dass jeder Admin praktisch auf alles zugreifen konnte und das, ohne Spuren zu hinterlassen.

Von den ursprünglich rund 40 Fällen könnten damit bis auf drei alle nach §154 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt werden. Diese Regelung ist für Fälle vorgesehen, die im Vergleich zu anderen Fällen, die weiter verfolgt werden, nicht ins Gewicht fallen. Man werde einen „pauschalen Blick“ auf die Sache werden, so der Vorsitzende Richter.

Professor Dr. Carsten Wegner, Anwalt von Thomas Bellartz, beantragte eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflage. Er verwies darauf, wie lange die Fälle zurückliegen und wie lange sich der Prozess bereits in die Länge ziehe. Der Staatsanwalt gab hierzu zunächst keine Erklärung ab.

Der Anwalt des Angeklagten ehemaligen IT-Mitarbeiters im BMG, Christoph H., stellte denselben Antrag. Zwar bewerte man die Rechtsfrage zum Datenausspähen „dezidiert anders“ als das Gericht. Es sei aber fraglich, ob es wirklich erforderlich sei, diesen Präzedenzfall einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen. Der Verteidiger hatte schon mehrfach betont, dass eine Verurteilung nach §202a StPO nicht in Betracht komme, da im BMG keine Sicherheitshürden zu überwinden gewesen seien.

H. wird außerdem ein Einbruchsdiebstahl zur Last gelegt. Seine Verteidiger sehen aber das nicht als erwiesen an. Zum dritten Tatvorwurf hat die Beweisaufnahme noch überhaupt nicht angefangen. Dies stehe aber mit Blick auf den Sachverhalt einer Einstellung nach §153a nicht im Wege.

Zuvor waren zwei Zeugen erneut vernommen worden. Auf eigenen Wunsch erneut ein Freund des Angeklagten H., der einige Klarstellungen zu seinen Ausführungen bei seiner ersten Vernehmung machen wollte. Mit den Tatvorwürfen hatte dies aber nicht zu tun.

Anschließend wurde eine Mitarbeiterin von El Pato befragt. Sie wusste laut Prozessbeobachtern nichts von Datenübergaben oder sonstigen Fragen im Zusammenhang zu den Tatvorwürfen. Das Gericht befragt sie anschließend noch zu den Zusammenhängen der Firmen El Pato und Neuspree, wo Bellartz ebenfalls Geschäftsführer ist.

Davor waren noch die Zeugenaussagen der vergangenen Woche von der Verteidigung thematisiert worden. Ein weiterer IT-Mitarbeiter aus dem BMG war vernommen worden. Er hatte nach eigenen Angaben zahlreiche Telefonate mit dem zunächst anonymen Informanten geführt. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um den neuen Lebensgefährten der Ex-Frau des Angeklagten H. gehandelt hat. Der Referatsleiter aus dem BMG konnte sich an die Vorgänge aber nur noch vage erinnern.

Wegner fand die die Vernehmung daher „unergiebig“. Zu Bellartz habe der Zeuge gar nichts angeben können. Wann was wo durch wen übergeben worden sein soll – zu all dem habe der Zeuge nichts bekunden können. Allerdings fand Wegner bemerkenswert, dass es offenbar zahlreiche Gespräche über Monate hinweg gegeben haben soll, während laut Verfahrensakte nur drei Telefonate geführt worden seien.

Vor allem aber sieht sich die Verteidigung durch die Aussage des Referatsleiters in ihrer Annahme bestätigt, dass der Straftatbestand der Datenspionage – unabhängig von fehlenden Beweismitteln – gar nicht erfüllt sein kann. Denn § 202a StGB sieht eine „Überwindung der Zugangssicherung“ vor. Dem Zeugen zufolge habe es im BMG aber nicht einmal eine Protokollierung einzelner Datenzugriffe gegeben, anhand derer sich die Anklagevorwürfe gegen H. nachvollziehen ließen.

Wegner bezog sich noch einmal auf den öffentlichen Auftritt des Staatsanwalts am ersten Prozesstag, als dieser vor laufender Kamera über das Ermittlungsverfahren gesprochen hatte. Auf die Frage nach etwaigen Sicherheitslücken im BMG hatte dieser gesagt, dass es keine Vernachlässigung seitens des BMG gegeben habe und keine Defizite bei den Sicherheitsstandards. Nach verschiedenen Zeugenaussagen, die einen anderen Eindruck vermittelten, würde Wegner nun auch gerne den Staatsanwalt als Zeugen befragen. Entsprechende Videomitschnitte des Auftritts könnten – so Wegners Anregung – am nächsten Verhandlungstag im Gerichtssaal auf einer Leinwand gezeigt werden. Der Vorsitzende bemerkte zum Schluss der Sitzung hierzu trocken: „Die Cineasten sollten nicht zu hohe Erwartungen haben.“

Auch die zweite Vernehmung von Phagro-Geschäftsführerin Bernadette Sickendiek war noch einmal Thema im Gerichtssaal. Sie hatte im Ermittlungsverfahren verschiedene Personen aus dem BMG im Verdacht, geheime Informationen durchgestochen zu haben. Wegner würde zu diesen Sachverhalten gerne die Phagro-Spitze befragen: Dr. Thomas Trümper, Ulrich Kehr und Ralph-D. Schüller. Diese könnten auch dazu aussagen, ob die beiden Geheimtreffen zwischen Vertretern des Phagro und des BMG im August 2010 einer größeren Zahl von Personen bekannt gewesen seien.

„Objektiv falsch ausgesagt“ hat Sickendiek nach Wegners Überzeugung mit Bezug auf den Entwurf der Novelle der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Im Verfahren ging es unter anderem darum, ob die ABDA diesen Entwurf vorab hatte und woher. Der Vorwurf: Bellartz soll sich das Dokument über H. besorgt und an die ABDA – seinen damaligen Arbeitgeber – weitergegeben haben. Denn die Synopse, die ABDA-Vertreter bei einer Besprechung im BMG dabei hatten, soll der des Ministeriums ähnlich gesehen haben.

Doch bei Sickendieks zweiter Vernehmung stellte sich heraus, dass auch der Phagro über das Papier verfügte, das Gericht ließ den Ordner noch am Verhandlungstag in der Geschäftsstelle beschlagnahmen. Beim heutigen Termin durften die Verteidiger die Dokumente einsehen.

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