30 Jahre Mauerfall

„Wir waren am falschen Grenzübergang“

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Berlin -

Die Nacht, in der die Mauer fiel, berührt auch noch 30 Jahre danach die Menschen und Ost und West. Für APOTHEKE ADHOC haben bekannte Personen aus der Branche ihre ganz persönlichen Erinnerungen an den 9. November 1989 aufgeschrieben.

Dr. Hans-Georg Feldmeier, Dermapharm

„Wir hofften, dass die Kollegen wiederkommen“

Ich bin ein Ossi!!! Ich habe damals für den VEB Berlin-Chemie in der Galenischen Entwicklung gearbeitet.

Unmittelbar nach der Aktuellen Kamera am 9. November 1989 und dem missglückten Schabowski-Interview sind meine Frau und ich sofort an den Grenzübergang Invalidenstraße gefahren. Ich wohnte damals in Berlin Prenzlauer Berg.

Dort waren circa 10 Leute, keiner traute sich bis zu Absperrung vor. Meine Frau und ich sind dann zum Grenzposten vorgelaufen und haben dem Wachhabenden vom Schabowski-Interview erzählt und gesagt, dass wir jetzt hier durchgehen wollen.

Er vertröstete uns auf den morgigen Tag und wir sollten erst zur Polizei. Dennoch waren wir unendlich happy, weil es nun so schien, dass die Mauer aufgeht. Wir gingen deshalb in eines der damals besten Restaurants von Berlin, die Offenbach-Stuben, Senefelder Straße und haben gefeiert! Dort haben wir die Öffnung der Mauer verpasst, die am Grenzübergang Bornholmer Straße war. Wir waren also am falschen Grenzübergang.

Am nächsten Morgen bin ich wie immer zur Arbeit gefahren, von Prenzlauer Berg nach Johannisthal, an der Mauer vorbei. Dort sah ich die Menschentraube am Übergang Warschauer Straße. Bei Berlin-Chemie stand die Tablettenproduktion in Johannisthal nahezu still. Wir hofften, dass die Kollegen wiederkommen, was sie taten.

Das Bild meines Chefs werde ich nie vergessen, als ich pünktlich um 7 Uhr am Morgen des 10. November an seiner offenen Tür vorbeikam. Er stützte den Kopf in beide Hände und hörte Radio. Er hat glaube ich in genau diesem Moment verstanden, was sich jetzt verändern wird.

Was dann begann war unglaublich….

Eduard R. Dörrenberg, Dr. Wolff

„Der einzige Bewohner einer Salzstangen-Fabrik“

Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung an den 9. November 1989? Wie haben Sie selbst den Abend verbracht?
Ein großartiger Tag, der mich emotional sehr bewegt hat, da ich dem DDR-System und der Trennung Deutschlands auch nach einem Besuch in Ost-Berlin und einer Zugfahrt durch die DDR im Jahr 1987 nichts abgewinnen konnte. Ich war zu Hause bei mir in Zürich, wo ich damals Maschinenbau studierte.

Wie war der erste berufliche Kontakt zum Osten?
Eine Fahrt nach Erfurt auf den Markt im Februar 90, wo ich Kosmetik gegen Ostmarkt verkaufte.

Sie haben Ihr Studium 1990/91 unterbrochen und sind nach Leipzig gezogen. Was haben Sie in dieser Zeit erlebt?
Die Wiedervereinigung mit vielem Facetten, ein bisschen „wilder Osten“. Ich war der einzige Bewohner einer Salzstangen-Fabrik, als ich das Vertriebsnetz in Sachsen und Thüringen für Alcina/Alpecin aufbaute.

Welche Unterschiede zwischen Ost und West, die erfolgreich überwunden wurden oder noch existieren, finden Sie besonders bemerkenswert?
Erfolgreich überwunden: Infrastruktur, Konsum, Meinungsfreiheit, Beschäftigung, eigentlich (fast Alles )
Existieren noch: Die leidige Diskussion über Unterschiede in den Köpfen noch mancher, nach 30 Jahren eigentlich obsolet.

Dr. Ralph Grobecker, Stada

„Die Kraft der DDR-Bürger“

Geboren und aufgewachsen in West-Berlin, verließ ich Anfang Oktober 1989 erstmals für längere Zeit meine Heimatstadt, um in Cambridge einen Master in Physik zu machen. Dass ich dadurch das spannendste Jahr der jüngeren deutschen Geschichte quasi komplett verpassen würde, war mir natürlich nicht ansatzweise klar.

Den Tag nach dem Mauerfall werde ich nie vergessen. Meine Master-Betreuerin fragte mich vormittags, wie ich denn den Fall der Mauer sehen würde. Ich dachte, sie wollte mit mir eine theoretische Diskussion anfangen, und erläuterte ihr, dass es aus meiner Sicht wahrscheinlich Jahre dauern würde, bis sich die beiden Länder nähern oder angleichen würden. Eine Öffnung der Mauer erschien mir kaum möglich.

Abends dann im College sah ich auf einem Stuhl eine Zeitung liegen mit der Schlagzeile, dass die Mauer am Tag zuvor gefallen sei und DDR-Bürger in die Bundesrepublik reisen dürfen. Das traf mich wie ein Schlag, und sofort wurde mir klar, warum mir meine Betreuerin ihre Frage gestellt hatte.

Als einen, der in West-Berlin sein Leben lang von einer Mauer umgeben war und der bei Reisen in die DDR oder die Bundesrepublik all die Kontrollen und Schikanen erlebt hatte, war es für mich nicht vorstellbar gewesen, wie die Kraft der DDR-Bürger dieses – ich nenne es mal so – Wunder des Mauerfalls gewaltfrei vollbracht hatte. Umso mehr ist mir seitdem klar, dass praktisch fast alles möglich ist, wenn man es nur will und zielstrebig verfolgt!

Jörg Wieczorek, Hermes Arzneimittel

„Ich habe Steine aus der Mauer herausgeschlagen“

Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung an den 9. November 1989?
Es war die Pressekonferenz zum neuen DDR-Reisegesetz am Abend im Fernsehen, die die Grenzöffnung und den Mauerfall einleitete. Die Bilder der vielen tausend Menschen an der Mauer haben sich bis heute eingeprägt.

Wie haben Sie den damaligen Abend verbracht?
Ich saß – wie so viele andere – gebannt vor dem Fernseher. Es war ein Wechselbad der Gefühle zwischen „Hoffentlich passiert nichts Schlimmes und alles bleibt friedlich“. Es waren unfassbare Gänsehautmomente.

Wie war der erste berufliche Kontakt zum Osten?
Ich war im Dezember 1989 zur Jahresabschlusstagung in Berlin. Ich selbst habe aus der Berliner Mauer Steine herausgeschlagen. Das Foto erinnert daran. Die Steine sind ein Andenken an diesen historischen Tag in der deutschen Geschichte. Ich habe die Steine selbstverständlich aufbewahrt.

Welche Unterschiede zwischen Ost und West, die erfolgreich überwunden wurden oder noch existieren, finden Sie besonders bemerkenswert?
Im Laufe der Zeit haben sich die Unterschiede relativiert. Besonders bemerkenswert finde ich die Übernahme der Kinderkrippenregelung, die eine flächendeckende Versorgung für alle Kinder in allen Bundesländern sukzessive realisiert. Ebenso beeindruckend war seinerzeit der Hochleistungssport im Osten, auch wenn im Nachhinein viele Erfolge wegen Dopingverdachts fragwürdig sind.

 

Ingrid Blumenthal, Aliud

„Wir wunderten uns über Babys in Kinderwagen vor den Läden“

Am 9. November war ich in Bremen mit meiner Familie zusammen und wir verfolgten die Ereignisse im Fernsehen. Kurz darauf waren wir schon auf den Straßen, um die Menschen aus dem Osten zu begrüßen, von denen wir viele Jahre getrennt waren. Der Zug der Trabbis durch die westdeutschen Städte war etwas ganz Besonderes.

Niemals hatte ich diese Wende für realistisch gehalten, obwohl wir viele Wochen zuvor die Berichterstattungen der Menschen in den Montagsdemonstrationen verfolgten. Jeder spürte, dass etwas ganz Unglaubliches passiert war. Im Februar 1990 war ich dann zum ersten Mal mit Freundinnen in Weimar und wir wunderten uns über Babys in Kinderwagen vor den Läden. Wir hätten uns nie vorstellen können, unsere Babys irgendwo alleine lassen zu können. Das Gefühl der Sicherheit war hier offensichtlich ein anderes als ich es gewohnt war.

Ein Stück Berliner Mauer habe ich seitdem immer in meiner Tasche. Es gibt mir Mut, an Unerwartetes nicht nur zu glauben, sondern scheinbar „Unmögliches“ auch anzustreben.

1991 erhielt mein Mann das Angebot, den Ostseehafenverkehr in Ost und West zu privatisieren – Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn. Ich selbst habe dann von 1995 bis 2007 in Rostock mit meinem Mann und unseren beiden Töchtern gelebt und gearbeitet. Und dort auch meine persönliche Wende von der Bankerin zur Mitarbeiterin in der Pharmazeutischen Industrie vollzogen. Übrigens von Anfang an bei Stada. So hielt die politische Wende gerade auch für mich als Wessie ein ganz besonderes Veränderungsangebot bereit.

In Rostock und Mecklenburg-Vorpommern bin ich noch heute mehrfach jährlich und treffe mich mit unseren Freunden, was nach wie vor sehr vertraut ist. Erschrocken bin ich, dass sich laut Medien so viele ostdeutsche Bürger vom Westen abgehangen fühlen. Das habe ich in meiner Rostocker Zeit nicht so erlebt. Und ich frage mich, was wir übersehen haben, dass dies scheinbar so geschehen ist.

Mathias Wettstein, AvP

„Rezeptabrechnung im Kindergarten

Den eigentlichen Tag, Donnerstag, den 9. November 1989, habe ich nicht sehr spektakulär verbracht. Ich habe am Abend zwischen 19 und 19:30 Uhr Abendessen bereitet. Es gab Lammfilet mit grünen Bohnen. Die Tagesschau, für mich eine Kultsendung, hat dann die Überraschung gebracht. Der Fernseher ging bis weit nach Mitternacht nicht mehr aus. Eine aufregende Zeit.

Nach Öffnung der Mauer ging es richtig los!

Nach meiner Erinnerung bekam ich Anfang Dezember vom Chef der AOK Rheinland, Herrn Peters, einen Anruf. Herr Peters stellte die einfache Frage: Wollen Sie im Osten einen Kontakt zur Ökonomie haben? Ich zeigte hohes Interesse und Herr Peters gab mit eine Telefonnummer. Mein umgehender Anruf wurden von Frau Conny Ködel beantwortet. Mit Frau Ködel vereinbarte ich einen Termin in Weißenfels, Sachsen Anhalt. Im Januar treffe ich Conny das erste Mal.

Frau Knödel ist zu diesem Zeitpunkt kaufmännische Leiterin der Ökonomie Weißenfels.

Schnell steht der Plan, eine AvP Ost GmbH zu gründen. Conny wird Geschäftsführerin der AvP Ost GmbH, was noch heute ihre Position in der AvP-Gruppe ist.

Die ersten sieben Kunden der AvP Ost Rezeptabrechnung kommen von der Ökonomie Weißenfels. Das Büro, eine Dreizimmer-Wohnung in der zweiten Etage auf dem Boulevard in Weißenfels.

Durch konstante Aktivität kommen immer mehr Apotheken als Kunden zur neuen AvP Ost. Neue Mitarbeiter werden gefunden und schnell sind des ungefähr 100 Apotheken in der AvP Rezeptabrechnung.

Die Treuhand Berlin entsteht und damit ist die Treuhand Eigentümer der Apotheken im Osten.

Die Treuhand beauftragt die standeseigenen Rechenzentren mit der Rezeptabrechnung für seine Apotheken.

Über Nacht verliert AvP Ost seine Kunden. Mitarbeiter mussten gehen. Eine nicht sehr schöne Erfahrung.

Mit der Privatisierung der Apotheken gewinnt AvP Ost wieder Kunden und wir müssen in ein größeres Büro umziehen. Der Kindergarten Weißenfels, direkt neben der Polizeistation Weißenfels, ist unser neues Domizil.

Schön, heute ist AvP, mit einem hohen Marktanteil, wieder präsent.

Gabriela Hame-Fischer, MVDA

„In einem Pub im England erfuhr ich vom Mauerfall“

Ich war zu diesem Zeitpunkt in England bei Freunden auf dem Land (wirklich abgeschieden von Zeit und Raum) nahe Oxford zu Besuch. In der eindeutig „prädigitalen” Zeit erfuhr ich zufällig durch einen Fernsehbericht der britischen Medien in einem Pub vom Mauerfall.

Selbstverständlich haben wir das zunächst nicht glauben können und versucht, durch Anrufe zu Hause (Telefonzelle, nix Mobilfunk!) mehr zu erfahren.

Die Berichterstattung in der britischen Presse war aber sehr gut und ausführlich. Die Menschen waren auch dort alle extrem emotional bewegt.

Außerdem erinnere ich mich noch an die vielen Hotelangebote, die damals alle mit Angeboten zum „Mauerpicken” oder „Mauerstücken zur Erinnerung“ lockten.

Beruflich hatte ich persönlich keinen direkten Kontakt zum Osten. Ich kann mich aber noch erinnern, dass ein bis zwei Jahre nach dem Mauerfall auch in München viele Apothekenmitarbeiter aus dem Osten nach Stellen gesucht haben. Besonders fiel das natürlich im Bereich Pharmazieingenieur auf, da es diese Berufsbezeichnung bei uns früher nicht gab.

Als meine Tochter 2015 für ihr Studium zunächst nach Erfurt ging, war ich bei meinem ersten Besuch dort sehr beeindruckt von der tollen Autobahn mit hervorragend gepflegten Rastplätzen und der wunderschön renovierten Altstadt in Erfurt. Wenn ich mir den anderen Teil der Autobahnstrecke A9 und A73 in dieser Richtung ansehe, frage ich mich, wo heute der entwicklungsbedürftige Teil der Republik zu suchen ist.

Wolfgang Späth, Hexal

„Adidas-Turnschuhe auf Kassenrezept“

Den 9. November 1989 hatte ich abends vor dem Fernseher verbracht. Es war nur ungläubiges Staunen, den Gedanken der Wiedervereingung hatte ich immer als Illusion angesehen und nun war es Wirklichkeit geworden.

1989 war ich Mitarbeiter der AOK Bayern und die einzige Anektode im beruflichen Kontext war eine Geschichte, dass ein Arzt angeblich Adidas-Turnschuhe auf Kassenrezept verordnet hatte. Was in der Kassenlandschaft je nach Mentalität Amüsement oder Entsetzen hervorgerufen hat.

1991 wechselte ich zu Hexal und war für die fachliche Schulung der Mitarbeiter im Arztaußendienst zuständig. Wir bauten den Außendienst für D.Ost gerade auf und im Gegensatz zu anderen Unternehmen versetzten wir nicht Mitarbeiter aus D.West in den Osten, sondern akquirierten aus den Regionen.

Den Beruf des Pharmareferenten hatte es in der DDR nicht gegeben und die Mitarbeiter hatten völlig unterschiedliche Werdegänge – da war ein ehemaliger Direktor eines DDR-Arzneimittelunternehmens dabei, ein Hochschuldozent, Lehrer, Gemeindeschwestern, immer sehr diverse Gruppen bei den Schulungen. Was allen gemeinsam war: Ein unwahrscheinlicher Optimismus, der starke Wille in einem neuen Beruf erfolgreich zu sein und eine sehr starke Identität mit dem Unternehmen. Es war einfach toll und die Kollegen aus D.Ost haben mir viel Respekt abgerungen. Manche sind noch heute dabei und ich freue mich immer sehr, da jemanden aus dieser Zeit zu treffen.

Dr. Stefan Koch, Aristo

„An jedem Grenzübergang einen Stempel besorgt“

An den 9. November erinnere ich mich nicht so genau, dafür aber sehr genau an das Silvester 1989 – 1990 gleich nach dem Mauerfall. Dieses habe ich (als Münchner) nämlich in Berlin verbracht und bin über alle! jetzt offenen Grenzübergänge und habe mir die damals noch obligatorischen Stempel besorgt.

Daneben bin ich mit Freunden über die Mauer geklettert und habe – natürlich Steine aus der Mauer geschlagen (darf man das zugeben?????).

Und übernachtet haben wir privat bei einer Familie im Osten, die wir vorher gar nicht kannten. Die haben uns Jungs einfach ein Zimmer zur Verfügung gestellt. Wo gibt es denn heute noch sowas.

Dr. Kerstin Kemmritz, Apothekerkammer Berlin

„Nie nach der Fortbildung gleich ins Bett gehen“

An den Mauerfall kann ich mich noch gut erinnern. Ich habe die historische Nacht schlichtweg verschlafen! Ich war damals als fleißige Doktorandin zu einem Vortrag der DPhG im Botanischen Museum und bin anschließend ermattet ins Bett gefallen. Als ich am nächsten Morgen ins Institut kam und alle von der aufregenden Nacht erzählten, war ich ganz schön perplex! Und sauer, dass mein damaliger Freund mir nicht bescheid gesagt hat (wir hatten aber natürlich noch keine Handys!). Aus Rache habe ich ihn später geheiratet und aus dieser Zeit gelernt, dass alles möglich ist! Und man nach einer Fortbildung nicht gleich ins Bett gehen soll.

Rüdiger Hoppe, Trommsdorff

„Der Gebrauchtwagenmarkt war leergefegt“

Als die Mauer am 9. November fiel, saß ich, wie wahrscheinlich Millionen von Menschen, vor dem Fernsehen. Es war unglaublich, als auf der Pressekonferenz Günter Schabowski die neue Reiseregelung bekannt gab, die „unverzüglich und sofort“ in Kraft treten soll. Aus diesem Grunde habe ich mich mit zwei Freunden an dem folgenden Wochenende (11. und 12. November) ins Auto gesetzt und bin Richtung Berlin gefahren. Nach Stunden, die wir auf der A2 im Stau standen zwischen Trabbis aus dem Osten und VW Golf aus dem Westen, haben wir uns dann zum Brandenburger Tor durchgeschlagen und haben mit einem Hammer ein Stück aus der Mauer herausgeschlagen. Wir waren ein Teil der sogenannten „Mauerspechte“. Das Stück Mauer habe dann auf einem Holzsockel gesetzt und ein Messingschild dazu anfertigen lassen mit dem Datum „12. November 1989“, da ich zu diesem Zeitpunkt mein persönliches Mauerstück herausgeschlagen hatte. Dieses Wochenende in Berlin war mein persönliches Highlight des Mauerfalles, da ich noch nie so viele Menschen auf den Straßen gesehen habe, die so ausgiebig gefeiert haben und sich in den Armen lagen.

Die ersten beruflichen Kontakte hatte ich noch während meiner BWL Studienzeit im Frühjahr 1990, als wir mit unserem Professor für „Marketing und Handel“ und einer Gruppe von zehn Studenten für eine Woche an die Uni von Leipzig gereist sind, um dort als Gastdozenten betriebswirtschaftliche Vorträge zu halten. Ich hielt einen Vortrag über das Marketing in Non-Profit-Organisationen.

Am erstaunlichsten fand ich, wie schnell sich die Fahrzeuge auf den Straßen im Osten geändert haben. Der Gebrauchtwagenmarkt war leergefegt, da fast jeder im Westen sein Fahrzeug in den Osten verkauft hat. Bemerkenswert finde ich heute immer noch die teilweise unterschiedlichen Bezeichnungen in West und Ost für bestimmte Nahrungsmittel, wie zum Beispiel bei Brathähnchen und Broiler.

Edwin Kohl, Kohlpharma

„Geschichtsereignis am Geburtstag“

Der 9. November ist für mich persönlich schon immer ein besonderer Tag, da es mein Geburtstag ist. In meinem Geburtsjahr 1949 wurde mit der Gründung der BRD und der DDR die deutsche Teilung faktisch vollzogen. Der 9. November im Jahr 1989 wurde im Laufe des Abends jedoch mein schönster Geburtstag.

Nach den ersten Meldungen in den Medien sahen wir später im Fernsehen mit großer Freude die Menschen aus Ost und West, die auf die Mauer gestiegen waren und sich in den Armen lagen und die in ihren Trabis mit unglaublicher Euphorie, aber noch ungläubigem Staunen den Schlagbaum passieren durften.

Die spätere wirtschaftliche Ost-Euphorie, also den Ausverkauf der Betriebe, habe ich nicht mitgemacht. Dennoch gab es kurze Zeit nach dem Mauerfall die ersten beruflichen Kontakte, da auch Apotheken aus dem Osten unsere Kunden wurden. „Westpräparate“ zu einem günstigeren Preis waren gefragt.

Ich freue mich immer wieder, wenn ich zum Beispiel in Berlin bin, was dort und in anderen Orten in den 30 Jahren Wiederaufbau für die fast vollendete Angleichung der Verhältnisse alles erreicht wurde. Trotz regionaler Unterschiede sehe ich den immer noch stärkeren und weiter steigenden Zuspruch im Osten zu den demokratiefeindlichen rechten und linken Rändern sowie die nationalistischen Tendenzen mit großer Sorge.

Man kann daher nicht oft genug die Bedeutung des 9. November 1989 für unser Land und letztlich auch für Europa betonen. Er war der Anfang vom Ende der Teilung unseres Landes und des Kontinents. Damit ist der „Schicksalstag der Deutschen“ endlich mit einem positiven historischen Ereignis verbunden und für viele in Ost und West der eigentliche Tag der Deutschen Einheit.

Professor Dr. Michael Popp, Bionorica

„Ein Glücksfall – auch für Phytopharmaka“

An den Mauerfall in Berlin am 9. November 1989 erinnere ich mich noch sehr gut, zumal am selben Tag meine Nichte geboren wurde. Darauf blicke ich gern zurück. 1989 war für uns generell sehr ereignisreich, denn es ist auch das Jahr, in dem die Geschäftsführung der Bionorica von meinem Vater und meiner Tante auf mich überging. Mehr über diese wechselhafte Zeit kann in der Biografie „Die Sinupret-Story“ nachgelesen werden.

Rückblickend darf ich sagen, dass die Wende für uns ein Glücksfall war. Unsere evidenzbasierten Phytopharmaka trafen bei den Apothekern, Ärzten und Patienten in Ostdeutschland auf hohe Akzeptanz. Ebenso in vielen der sich öffnenden Ländern Osteuropas und natürlich auch in Russland – unserem wichtigsten internationalen Markt.

Stichwort Russland: Unser Länderchef vor Ort ist übrigens ein anpackender Thüringer, der vor mehr als 20 Jahren mit dem Auto von Berlin nach Moskau fuhr und unsere Repräsentanz in der russischen Hauptstadt und auch den Markt erfolgreich aufgebaut hat.

Die Menschen im Osten schätze ich sehr für ihre Herzlichkeit und Aufrichtigkeit. Wir sind zusammengewachsen und ich kann keine Unterschiede in der Zusammenarbeit mehr feststellen. Ob bei Mitarbeitern, Geschäftspartnern oder Apothekern und Ärzten – wir haben viele neue Freunde gewonnen und aus einst getrennten Teilen wurde eine Einheit.

Hanns-Heinrich Kehr, Richard Kehr

„Schon wieder so ein Westanzug!“

Ich kam am Abend per Auto von einem Pharma-Privat-Treffen aus Hamburg und wunderte mich auf der A2 zwischen Hannover und Braunschweig über die häufigen Trabbis und Wartburgs, die mir auf der normalerweise wenig befahrenen Autobahn entgegenkamen. Meine Frau klärte mich dann per Telefon auf und schilderte mir die Bilder aus dem Fernsehen.

Am nächsten Tag war ganz Braunschweig überschwemmt von Landsleuten aus Sachsen-Anhalt. Ich werde diese Stimmung von Nähe zu fremden Menschen, die Freude und gegenseitige Neugier und Hilfsbereitschaft nie vergessen. Wir haben uns übrigens amüsiert, dass in den Parkhäusern die Brandmeldeanlagen immer wieder losgingen, wenn ein Trabbi rein- oder rausfuhr.

Unsere Firma stammt aus Halberstadt, wo sie 1924 von unserem Großvater übernommen wurde. Da war es fast selbstverständlich, dass wir sofort mit einzelnen Apothekern von dort Kontakte hatten. Der erste noch private Apotheker sagte: „Ich bin von Ihrem Großvater beliefert worden und möchte so schnell wie möglich wieder von Ihnen beliefert werden!“

Sämtliche Apotheker des Pharmazeutischen Zentrums Halberstadt waren bereits im November bei uns in Braunschweig zu Gast. Junge Apotheker aus Magdeburg kamen vorbei und nahmen von uns alte Regale für den Aufbau einer Freiwahl in ihrer Apotheke mit. Ich bin noch heute mit ihnen nicht nur geschäftlich, sondern auch freundschaftlich verbunden.

Wir haben viele Apotheker ermuntert, in die Selbständigkeit zu gehen und sie betriebswirtschaftlich wie auch steuerlich beraten! Pharmazeutisch waren die ApothekerInnen sehr gut ausgebildet und trugen durch die tägliche Improvisation, die nötig war um die Patienten zu versorgen, noch mehr Verantwortung durch die größeren Entscheidungsspielräume. Sie waren mehr dem Patienten als der Krankenkasse gegenüber verpflichtet, was man es sich heute für den Berufsstand wieder mehr wünschen würde.

Die anfänglichen Ossi/Wessi-Unterschiede sind weitgehend verwischt und heute unterscheiden wir uns wieder durch landsmannschaftliche Eigenheiten, wie sie auch vor der DDR schon bestanden.

Aus einem meiner Besuche in einer Apotheke in Staßfurt ist mir die Episode in Erinnerung, wie mich eine Mitarbeiterin in der Offizin kritisch musterte und mich dann bei ihrer Chefin mit den leisen Worten ankündigte: „Schon wieder so ein Westanzug!“. Ebenso habe ich mich dann bei der Apothekerin vorgestellt und das Eis war gebrochen!

Friedrich Neukirch, damals Klosterfrau

Aufbau Apotheke-Ost: „Wir wollten dabei sein“

Ein denkwürdiges und nie mehr vergessenes Datum. Noch zu Zeiten vor 1974 (Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand), als rund 13.300 Drogerien existierten, gab es bei der Bezahlung der Lieferrechnungen das geflügelte Wort: „Bezahlt wird nach Wiedervereinigung“. Die Mehrheit der Bevölkerung glaubte kaum daran, dass es jemals zu dieser Wiedervereinigung kommen würde.

Anfang des Jahres 1990 nahmen wir erstmals mit dem Großhandel Madro Kontakt auf, luden ihn nach Köln zu einem Gespräch ein und tätigten den ersten Auftrag zur Lieferung in die DDR. Die Bestellung war so groß, dass wir im Interesse des Kunden kürzten, da man keinen Bezug zur Menge und Absatzchance hatte. Zuerst mussten wir aber in Ostberlin ein Konto eröffnen, da die Bezahlung nicht nach Westdeutschland gehen konnte, sondern auf ein Konto einer ostdeutschen Bank fließen musste. Am Anfang wussten wir auch nicht, ob und wie wir unser Geld überhaupt bekommen würden, aber wir wollten dabei sein beim Aufbau des ostdeutschen Apothekenmarktes.

Ich erinnere mich noch genau daran, dass wir im Gegensatz zu manch anderen Industrieunternehmen nicht die Unkenntnis der Warendisposition ausnutzten, sondern ganz im Gegenteil – wir schenkten allen Apotheken sogar zur besseren Einschätzung einen mit neo-angin gefüllten Zahlteller, damit diese anschließend anhand ihrer Erfahrungswerte Ware nachdisponieren konnten.

Wir stellten dann auch sofort Außendienstmitarbeiter aus den Neuen Bundesländern ein, da sie mit der Mentalität besser kommunizieren konnten. Übrigens bekamen wir unser Geld nach der Währungsunion im Juli 3:1 wieder ausbezahlt. Heute sind wir aufgrund dieser sensiblen Vorgehensweise mit vielen unserer Marken Marktführer in den Neuen Bundesländern. Der damit beendete „Kalte Krieg“ zählt für mich als eines der größten Ereignisse meines Lebens. Frieden und Freiheit ist eines der wertvollsten Güter der Menschheit.

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