Landapotheken

Tagesreise zur Apotheke: Kammer verweigert Rezeptkasten

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Berlin -

Eine Tagesreise, um zum Arzt zu gehen und danach noch kurz in die Apotheke – ist das angemessen? Im brandenburgischen Niemegk stellt sich diese Frage zurzeit, denn für viele der dortigen Patienten ist das momentan Realität. Die örtliche Apotheke hat nämlich seit Mai geschlossen und Menschen ohne ein eigenes Auto müssen eine kleine Odyssee auf sich nehmen, um von den umliegenden Dörfern zum Arzt und dann zur nächsten Apotheke zu kommen. Den Antrag auf eine Rezeptsammelstelle von Apothekerin Antje Aepler hat die Kammer trotzdem abgelehnt – doch Aepler legt Widerspruch ein.

Es ist ein Vorgang, der in ländlichen Gebieten mittlerweile traurige Normalität ist: Inhaberin Astrid Berger hat vier Jahre lang einen Nachfolger für ihre Robert-Koch-Apotheke gesucht – vergebens. Also schloss sie Ende April endgültig, die Kleinstadt Niemegk ist seitdem ohne Apotheke. Dabei ist schon der Begriff Kleinstadt irreführend: Formell ist Niemegk zwar eine Stadt, de facto handelt es sich aber um mehrere Dörfer, die administrativ zusammengefasst wurden. Und das spielt bei der jetzigen Auseinandersetzung eine große Rolle.

Denn von Niemegk aus fährt auch mehrmals täglich ein Bus in die 12 und 18 Kilometer entfernten Nachbarorte Treuenbrietzen und Bad Belzig. Mehr als die von der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) vorgeschriebenen sechs Kilometer bis zur nächsten Apotheke sind es also allemal. Allerdings: Die Landesapothekerkammern können auch zusätzliche Regeln definieren, die der Errichtung einer Rezeptsammelstelle entgegenstehen. Und so ein Fall liegt hier vor: Denn für brandenburgische Verhältnisse ist Niemegk noch nicht abgelegen genug. Laut Kammer liegen die Voraussetzungen für eine Rezeptsammelstelle nicht vor, wenn die nächste Apotheke von Montag bis Freitag mindestens einmal täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb einer Stunde – einfache Wegstrecke – erreicht werden kann.

Glaubt man dem Amtsleiter von Niemegk, Thomas Hemmerling, ist das aber eine Milchmädchenrechnung. „Die Leute wohnen ja nicht dort, wo die Bushaltestelle ist“, sagt er. Denn Niemegk besteht eigentlich aus 23 einzelnen Dörfern, die über eine Fläche von 225 Quadratkilometern verteilt sind. „Unsere Gemeindefläche ist größer als die von Potsdam“, sagt Hemmerling. Die Ärzte sind aber in Niemegk ansässig, zwei Praxen mit je rund 1000 Patienten. „Jetzt stellen Sie sich vor, sie sind krank und müssen zum Arzt“, erklärt Hemmerling. „Dann fahren Sie von Ihrem Dorf mit dem Bus nach Niemegk, sitzen drei Stunden im Wartezimmer, kriegen ein Rezept und warten draußen bis zu einer Stunde auf den nächsten Bus nach Treuenbrietzen oder Bad Belzig. Dort wird Ihnen dann in der Apotheke vielleicht noch gesagt, dass das Medikament gerade nicht vorrätig ist. Dann warten Sie wieder bis zu einer Stunde auf einen Bus, um zurück nach Niemegk zu kommen – dort angekommen, haben Sie wahrscheinlich schon den letzten Anschluss verpasst. Vor allem älteren Patienten kann man das nicht zumuten.“

Deshalb macht sich Hemmerling für eine Rezeptsammelstelle im Ort stark und hat in Apothekerin Antje Aepler eine Verbündete gefunden. Sie betreibt seit 1990 in Straach, jenseits der nahen Grenze zu Sachsen-Anhalt, die Fläming-Apotheke. „Die Robert-Koch-Apotheke und ihre Inhaberin kannte ich schon länger“, erzählt sie. „Als ich dann von der Schließung gehört habe, dachte ich mir, ich kann die Leute doch nicht hängen lassen, die haben doch eh schon nichts dort.“

Also stellte sie in Potsdam bei der Kammer zwei Tage nach der Schließung einen Antrag zur Errichtung einer Rezeptsammelstelle am Rathaus von Niemegk, in direkter Nähe zur geschlossenen Apotheke. Dass die Kammer sich querstellen könnte, hatte sie schon geahnt – und wurde wiederum von Hemmerling unterstützt.

Der hat eine Stellungnahme an die Kammer verfasst, in der er um eine wohlwollende Prüfung bittet. „Viele Patienten, gerade ältere Menschen, haben wegen der schlechten Bus-Anbindung einen mitunter anstrengenden Anfahrtsweg aus ihrem Dorf nach Niemegk zu bewerkstelligen, um überhaupt einen Arzt aufsuchen zu können“, so das Schreiben. „Ohne eine örtliche Apotheke oder Rezeptsammelstelle müssten die Menschen noch bis zu drei weitere Stunden durch den halben Landkreis reisen.“ Doch auch das Schreiben war vergebene Liebesmüh.

Die Kammer aber lehnte ab: „Da eine mehrfach bestehende tägliche Busverbindung zwischen Niemegk und Bad Belzig sowie zwischen Niemegk und Treuenbrietzen die Beschaffung von Arzneimitteln in einer zumutbaren Zeit ermöglicht, mangelt es an der Genehmigungsvoraussetzung“, so der Ablehnungsbescheid. Für Hemmerling eine unverständliche Entscheidung: „Dass es wenigstens übergangsmäßig in Niemegk keine Rezeptsammelstelle geben darf, erschließt sich hier keiner Menschenseele“, sagt er und betont dabei, dass es eine Übergangslösung sein soll: „Wir suchen hier händeringend einen Apotheker für den Ort.“

Auch für Aepler ist es eine Entscheidung fernab der Lebensrealitäten im Ort. „Die sehen das nur vom Schreibtisch aus“, kritisiert sie. „Ich betreibe selbst schon eine Rezeptsammelstelle in Cobbelsdorf und merke, dass die Menschen dort das sehr zu schätzen wissen.“ Mit den Ärzten in Niemegk hat sie sich darauf geeinigt, im Notfall aus Straach hergefahren zu kommen, um die Arzneimittel persönlich abzuliefern. Das kann aber keine Lösung sein. Deshalb hat sie Widerspruch eingelegt. Die Kammer will sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt. „Immerhin, nachdem die Presse über die Entscheidung berichtet hat, hat sich in Brandenburg sogar das Ministerium eingeschaltet und will nun vermitteln“, so Aepler.

Besonders wütend macht sie als Landapothekerin, wenn sie in lokalen Medien liest, welchen Eindruck die Politik der Kammer auf die Menschen vor Ort macht. Der in der Gegend viel gelesene „Niemegker Blog“ befasste sich nämlich ebenfalls mit dem Fall und mit der Enttäuschung der Anwohner darüber, dass die Arzneimittelversorgung nun so viel schwieriger wird. Die Schlussfolgerung der Autorin: Wenn man seine Medikamente nicht mal über einen Briefkasten im Ort beziehen kann, dann sollte man sich doch mal Seiten wie DocMorris anschauen. Aepler sagt, sie sei schockiert gewesen, als sie den Artikel gelesen habe. Tapfer hat sie in der Kommentarspalte des Blogs dagegengehalten – doch der Vorschlag ist im Raum. Die Kammer befördere so mit ihrer bürokratischen Regelauslegung indirekt die EU-Versender, findet sie.

Doch es gibt noch Hoffnung. Denn sowohl Ministerium als auch Kammer signalisieren Gesprächsbereitschaft. Am den 5. August ist Hemmerling mit den zwei ehrenamtlichen Bürgermeistern des Ortes und einer der ansässigen Ärztinnen nach Potsdam ins Gesundheitsministerium geladen. Die Ärztin hat er selbst mit ins Boot geholt, sie soll die Dringlichkeit vor Ort verdeutlichen. Auch bei der Kammer hat Hemmerling insistiert und scheint damit etwas erreicht zu haben: Ihm wurde ein Gespräch Ende August in Aussicht gestellt. „Hoffentlich braucht es das nach dem Termin im Gesundheitsministerium aber gar nicht mehr“, sagt er. Auch Aepler gibt sich moderat hoffnungsvoll, dass an dessen Ende der Gespräche eine Rezeptsammelstelle herauskommt. Das wird sie dann aber selbst erst im Nachhinein erfahren, denn teilnehmen wird sie nicht. „Ich wurde nicht eingeladen“, sagt sie. „Ich habe nur den Antrag gestellt und dann Widerspruch eingelegt.“

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