Reaktion auf SZ-Artikel

Apothekerin an Journalistin: Bringen Sie einen Schlafsack mit!

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Berlin -

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. So oder so ähnlich dachten sich das in den vergangenen Tagen wieder viele Apotheker. Erst zerlegt das Ringen um Plan B von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Standesvertretung in Fraktionen, dann müssen die Apotheker auch noch in der Süddeutschen Zeitung (SZ) lesen, ihre Lobbyisten würden dem Minister die Millionenforderungen beinahe händisch in die Gesetzesvorlage schreiben. So manchem platzt da der Kragen. Weiter kommt man jedoch mit bestimmter Freundlichkeit, weiß Apothekerin Daniela Hänel aus Zwickau. Statt sich nur aufzuregen, lädt sie die SZ-Journalistin in ihre Offizin ein, damit die sich in einem kurzen Praktikum aus erster Hand über die Anforderungen des Apothekenalltags informieren kann. Idealistische Fantasterei? Mitnichten! Genau dieselbe Idee hat vor ein paar Jahren schon einmal hervorragend funktioniert.

„Herr Spahn fragt nur die Apotheker“, titelte die Süddeutsche Zeitung am Sonntag. Während die Apotheker sich allenthalben über die Einflusslosigkeit der eigenen Standesvertretung vis-à-vis der Politik entrüsten, kommt der dortige Artikel gleich im ersten Satz zum Punkt: „Die Lobbyorganisationen der Apotheker hatten offenbar einen deutlich größeren Einfluss auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als andere Vertreter des Gesundheitswesens“, schreibt SZ-Wirtschaftskorrespondentin Kristiana Ludwig.

Der Tenor der darauffolgenden 441 Wörter: Spahn will den Pharmazeuten 375 Millionen Euro hinterher schmeißen, die kriegen den Hals aber nicht voll und wollen nochmal 120 Millionen obendrauf. Anstatt die dreisten Apotheker abzuwatschen, signalisiert der Minister dann auch noch Verständnis – mutmaßlich kraft Einflüsterung der Pillendreherlobby. „Egal, wie viel Geld sie auch fordern, für Spahn ist ihre Kompromissbereitschaft eine gute Nachricht“, so Ludwig – als ob der Minister sich Sorgen mache, die allmächtigen Apotheker könnten ihm seine Kanzlerambitionen vermiesen.

Für ein Abonnement hat sich die Süddeutsche bei Daniela Hänel damit nicht empfohlen. „Ich fand es erschreckend, wie die über uns schreiben“, sagt sie. Wie das Tüpfelchen auf dem i wirkte es da noch, dass Hänel in der Mitte des Artikels ausgerechnet eine DocMorris-Werbung angrinste. Also schwang sich die 44-Jährige vor die Tastatur und schrieb der SZ-Redaktion einen gepfefferten, aber freundlichen Kommentar: „Hiermit lade ich Sie herzlich ein, am Samstag, 09.02.2019, mit mir den 24 Stunden Notdienst für Zwickau und Umgebung durchzuführen“, ist da zu lesen. „Dies wäre eine Chance für Sie, die Apotheke vor Ort mit all ihren Pflichtaufgaben kennen zu lernen. Außerdem werden Sie Einblicke bekommen, was hinter der HV-Kulisse stattfindet.“

Und Hänel weiß ihrer Adressatin dezent mitzuteilen, wo der Schuh ihrer Meinung nach drückt: „Es wartet viel Bürokratie auf Sie“, warnt sie die Journalistin vor, „aber das werden Sie schon bewältigen. Wir spielen mit der Packungsgrößen-VO, schauen, welche Rabatt-AM gerade wieder nicht lieferbar sind, wetten, welche Kontingentartikel vielleicht in der darauffolgenden Woche lieferbar sein könnten und Sie können sich an der Herstellung von Kapseln für ein herzkrankes Kleinkind versuchen“. Die Einschätzung liefert sie gleich mit: „Das ist richtige, lebensnotwendige Handarbeit, die Versandapotheken nicht machen.“ Und einen kleinen Service-Hinweis liefert sie auch gleich mit: „Bitte Schlafsack mitbringen, vielleicht sind ein bis zwei Stunden Schlaf möglich.“

Eine Antwort der Süddeutschen Zeitung habe sie bisher noch nicht erhalten, erzählt Hänel. Aber es seien ja auch noch keine 24 Stunden seit der Einladung vergangen. „Wenn die ihr Gesicht wahren wollen, sollten sie wenigstens antworten“, sagt sie. Ihre Forderung klingt einfach, aber naheliegend: „Wenn ich etwas schreibe, sollte ich auch vom Thema Ahnung haben. Dann müssen auch beide Seiten gezeigt werden, also auch das Apothekensterben, die steigenden Kosten bei stagnierenden Honoraren, Skontokürzungen, zunehmende Bürokratie und dergleichen.“ Dazu müsse man den Journalisten allerdings auch die Chance geben, selbst einen Einblick zu gewinnen. „Wenn ich die Möglichkeit habe, woanders reinzuschauen, nehme ich die ja auch wahr.“

Hohle Worte oder gar leere Provokation ist ihre Einladung nicht, stellt Hänel klar und bleibt den Beweis nicht schuldig. Es hat nämlich schon einmal funktioniert. Im September 2013 war das, als sich Hänel über einen aus ihrer Sicht ähnlich einseitigen Beitrag im MDR aufgeregt hat. Also schrieb sie dem öffentlich-rechtlichen Sender eine Nachricht wie heute der SZ – und siehe da: kurz darauf klingelte das Telefon. Der Journalist nahm die Einladung dankend an und stand kurz darauf tatsächlich vor Hänels Linda-Apotheke in der Nordvorstadt.

Damit begann das kleine Experiment. „Ich habe ihm dann erstmal die Packungsgrößenverordnung und Rabattverträge erklärt“, erinnert sich die zweifache Inhaberin. Insbesondere habe sie damals Wert darauf gelegt, dem Reporter die vielen Irrsinnigkeiten des Bürokratielabyrinths aufzuzeigen. „Der war total entsetzt. Der dachte, wir stehen den ganzen Tag nur rum und rühren Salben.“ Die Konfrontation mit der Realität habe ihm aber gut getan, konstatiert Hänel: „Er war von der Arbeit zum Teil überfordert, war aber positiv überrascht, was wir hier alles leisten. Er hat dann später einen weiteren, viel positiveren Artikel darüber geschrieben, was die Apotheke vor Ort eigentlich alles leistet.“

Engagement ist also nicht nur notwendig, sondern kann sich auch lohnen. Es herrsche nämlich Aufklärungsbedarf, auch bei der Bevölkerung. „Die Kunden wissen meist gar nicht, dass es uns bei diesem politischen Streit um verschreibungspflichtige Arzneimittel geht, die kennen den Unterschied gar nicht“, sagt Hänel. Dabei kann es nur helfen, wenn diejenigen, die in den großen Medien über die Apothekenbranche schreiben, mehr Ahnung von ihr haben. „Mehr Apotheker sollten Journalisten zu sich einladen“, findet Hänel deshalb. Nur eine Einschränkung muss sie an die Adresse der Schreiberlinge richten: „Bezahlung und Verpflegung können sie für das Praktikum aber nicht erwarten. Sonst wird uns noch Bestechung unterstellt.“

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