ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Bird-Box-Challenge in der Apotheke

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Berlin -

Die Kundin kommt mit einer schwarzen Augenbinde in die Apotheke. Vermutlich eine Netzhautvorsorge mit Pupillenerweiterung, denkt der Apotheker. Aber die Kundin will nur etwas gegen ihren Husten. Auch der nächste Kunde mit Augenbinde plant keinen Überfall, sondern tastet sich mit seinem Blutdrucksenker wieder hinaus. Als kurz darauf zwei Teenager mit verbundenen Augen hereinstolpern und kichernd nach einer Hautcreme fragen, zweifelt der Apotheker an seinem Verstand.

„Stand irgendwo geschrieben, dass man abnimmt, wenn man kein Fett mehr sieht“, fragt er seine Kollegin. Vielleicht ist das ja der neueste Diättrend nach dem Jahreswechsel. Aber PTA Tanja klärt auf: „Das ist die Bird-Box-Challenge!“ Fragende Gesichter. „Wegen dem Netflix-Film mit Sandra Bullock. Die verbindet sich die Augen, damit sie und ihre Kinder die dunkle Macht nicht sehen.“

Der Apotheker ist fassungslos. Bei der Die „Ice-Bucket-Challenge“ hatten er und sein Team noch mitgemacht. Schließlich diente das lustige Video mit dem Eiskübel dazu, auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen. Aber als die ersten Kids in den USA im Rahmen der Tide-Pod-Challenge herausfinden wollte, was es mit ihnen macht, wenn sie Waschmittelkapseln schlucken, war er mental ausgestiegen. Jetzt also die Augen verbinden und sich vom Bus überfahren lassen?

Am Mittwoch las der Apotheker dann, dass Netflix mittlerweile öffentlich darum bittet, den Quatsch nicht mitzumachen, denn es sind tatsächlich schon einige Leichtsinnige im Krankenhaus gelandet. Trotzdem ist er neugierig geworden und verbindet sich selbst die Augen – allerdings nur in den geschützten Räumen seiner Offizin. Schnell ist klar, dass diese zwar barrierefrei zu erreichen, aber eben nicht vollkommen barrierefrei zu bedienen ist. Mit geduldigen Kunden klappt es mit der SICHTwahl noch ganz gut, aber am PC ist er absolut ausgeliefert. Den Spaß war es für den kurzen Selbstversuch allemal wert, man führt interessante Gespräche.

Doch plötzlich beschleicht den Apotheker ein schrecklicher Verdacht, als er über das hilflos im Dunkeln Tappen nachdenkt. Hat seine eigene Standesvertretung vielleicht auch bei der Challenge mitgemacht, als im Ministerium die Alternativpläne für ein Rx-Versandverbot erarbeitet wurden? Hatte gar der Minister selbst die Augen verbunden, als es an die Details ging? Im Film bringt die dunkle Macht die Menschen dazu, sich umzubringen. Ist das Apothekensterben der böse Geist, vor dem bei uns die Augen verschlossen werden? Falls sich so etwas wie hier beschrieben tatsächlich mal in einer Apotheke ereignen sollte, vielleicht sogar in Ihrer, dann sind Sie jetzt vorbereitet.

Im neuen Jahr hat die Apothekerkammer Westfalen-Lippe schon Zahlen aus dem letzten Quartal 2018 vorgelegt, Tiefststand seit 1978. Die Galerie der verschwundenen Apotheken setzt sich leider weiter fort. Es gibt deutlich mehr Burgen und Ruinen als Apotheken, wobei die Unterscheidung nicht immer einfach ist. Was aber nicht von den Positivbeispielen ablenken soll. Vier Apotheken, drei Kinder, gute Laune; gestatten: Apothekerin Franziska Utzinger. Oder Anja Rapp, die sich von der PTA zur doppelten Inhaberin hochgearbeitet hat mit Fleiß und Geschick.

Und aller Zukunftssorgen zum Trotz investieren die Kollegen in ihre Offizin und rüsten den Betrieb für die Zukunft. Es müssen ja nicht immer gleich tanzenden Monde über dem HV-Tisch sein, aber wenn die Einrichtung die Kunden zur Teilnahme an der Bird-Box-Challenge verleitet, ist vielleicht mal ein neuer Anstrich fällig. Dann läuft vielleicht auch die nächste Revision entspannter. Ist ja nicht jeder Pharmazierat so nett wie dieser, oder vielleicht doch?

Stets gut aussehen muss auch Pharmareferentin Christina Graß – nicht so sehr in ihrem eigentlichen Beruf, umso mehr dafür bei ihrem Nebenjob. Die gelernte medizinische Fachangestellte war schon „Miss Norddeutschland 2017“ und damit auch Teil der „Miss Germany“-Wahl. Aktuell macht sie bei der RTL-Show „Der Bachelor“ mit und hat schon erfolgreich ihre erste Rose ergattert. Der Verfasser hat es noch vor sich, zu ergründen, wie sie das gemacht hat und warum das so viele Menschen fesselt.

Spannend wird im Januar der Fahrplan zum Plan B – überall tagen Kammern und Verbände, bis man sich am 17. Zum Gipfel in Berlin trifft. Im schlimmsten Fall haben die Apotheker am Ende nur die Wahl zwischen einem zwielichtigen Paket oder gar nichts.

Wie zukunftsfest ein Bonideckel mit Marktanteilsgrenze für die EU-Versender allerdings wäre. Ließ der Bundesgerichtshof (BGH) in einem jetzt veröffentlichten Urteil vermuten. Eine Inländerdiskriminierung ist demnach erst festzustellen, wenn die Apotheken hier die Bevölkerung nicht mehr versorgen können. Dass so eine empirische Beweisführung auch ihre Schattenseiten hat, erkennt die Bundesregierung hoffentlich noch rechtzeitig.

Und noch zwei Urteile: Das Bundessozialgericht hat eine 200.000-Euro-Retax bestätigt, hier ging es, was bei der Summe nicht weiter wundert, um Zyto-Verträge. Und eine „Cannabis-Retax“ droht, wenn sich die Apotheken nicht an ihre Prüfpflicht halten.

Nach der ersten Woche im neuen Jahr können Sie auch überprüfen, ob Sie bei der Wahl Ihrer guten Vorsätze ein glückliches Händchen hatten. Notfalls können Sie hier im Sinne einer halben Bird-Box-Challenge nachjustieren. Damit haben Sie es besser als diverse Pharmapromis, die ihre guten Vorsätze verraten haben und sich jetzt daran messen lassen müssen. Andererseits: 2019 ist lang. Also Augen zu und durch! Schönes Wochenende!

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