Enzklösterle

Arzt-Nachfolger verboten – Apotheke muss bangen

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Berlin -

Im Schwarzwald-Luftkurort Enzklösterle warten 1200 Einwohner seit Monaten darauf, dass die verwaiste Praxis des im vergangenen August verstorbenen Allgemeinmediziners übernommen wird. Eine Privatärztin stellte vorübergehend die Grundversorgung sicher. Nun kam die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung: Enzklösterle ist ärztlich überversorgt. Einen neuen Schwarzwald-Doktor wird es nicht geben. Eine Hiobsbotschaft für die Einwohner und für 75.000 Touristen – und für die Apotheke.

„Ich könnte ein Buch darüber erzählen“, sagt Petra Nych, ehrenamtliche Bürgermeisterin in Enzklösterle. Es wäre kein fröhliches Buch, eher eine Tragödie. Gerade hat die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KV) ihre Entscheidung getroffen: Die Region ist ärztlich überversorgt, es wird keinen neuen Allgemeinarzt für Enzklösterle geben. Die Bürgermeisterin wartet derzeit auf den schriftlichen Bescheid, danach will sie mit ihren Mitstreitern überlegen und entscheiden, ob und wie man dagegen vorgehen kann.

Seit Monaten engagiert sie sich politisch, um eine Lösung für das Problem zu finden. Bislang leider erfolglos. „Wir standen nach dem Tod des Arztes ohne hausärztliche Versorgung da. Eine Privatärztin sprang vorübergehend ein, das half aber nur bedingt, weil sie keine kassenärztliche Zulassung hat. Im Klartext heißt das: Wir haben keinen Hausarzt.“ Und selbst die Option, sich einen neuen Arzt im Umkreis zu suchen, ist nur bedingt realistisch: „Die meisten Ärzte sind dermaßen überlastet, dass sie keine neuen Patienten annehmen können.“

Gemeinsam mit den rund 15 Kilometer von Enzklösterle entfernten Sana Kliniken Bad Wildbad entwickelte sie mit weiteren Mitstreitern einen Lösungsvorschlag, der vernünftig scheint. Tageweise sollte ein Arzt nach Enzklösterle kommen und in der immer noch funktionsfähigen Praxis des verstorbenen Arztes Sprechstunden anbieten. „Die Gemeinde bezahlt derzeit die Miete der Praxis“, so die Bürgermeisterin. Leider zerschlug sich der Plan wieder. Plan B: Ein dauerhaft praktizierender Arzt könnte jederzeit einziehen. Die beste Lösung wäre ein Mediziner, der sich dauerhaft für den schönen Ort im Schwarzwald entscheidet. Es ist alles da, von der Praxis bis zur Wohnung. Und viele, viele dankbare und treue Patienten.

Auch die Apothekerin vor Ort wünscht sich wieder einen verlässlichen Arzt für ihre Kunden. Im Februar sagte Barbara Zeitbös von der Enztal-Apotheke gegenüber APOTHEKE ADHOC: „200 Patienten haben noch keinen neuen Arzt gefunden.“ Die meisten Praxen im nördlich gelegenen Bad Wildbad waren damals schon überlastet, Simmerfeld im Süden nahm schon vor fünf Monaten keine neuen Patienten mehr an. „Die Leute stehen vor mir und haben Tränen in den Augen.“ Damals bangte Zeitbös bei einem Rezeptanteil von rund 80 Prozent um die Zukunft ihrer Apotheke. Heute sagt sie: „Ich habe Glück, meine Kunden halten mir die Treue.“ Auch wenn sie außerhalb des Ortes zum Arzt gehen, holen viele ihre Arzneimittel nach wie vor in der Enztal-Apotheke.

Damit ist die Apothekerin besser dran als manch anderer Gewerbetreibender im Ort. Die Bürgermeisterin sieht die bislang florierende Wirtschaft des Luftkurortes zunehmend bedroht: „Wir sind ein rein touristischer Ort“, sagt Nych. Sie hat beobachtet, dass die Einwohner, wenn sie gezwungen sind, sich irgendwo in der Region einen Arzt zu suchen, auf dem Weg dorthin oder nach Hause dann auch gleich ihre Einkäufe erledigen. „Die Ladeninhaber sagen mir das ganz oft: Die Geschäfte sind seit der Schließung der Arztpraxis deutlich leerer.“ Sie macht den Kunden keinen Vorwurf: „Der Mensch ist so, man geht, wenn man schon in einem Ort ist, dort auch in die Apotheke oder in den Supermarkt.“

Wenn in Enzklösterle derzeit jemand erkrankt und nicht das Glück hatte, im Umkreis einen neuen Allgemeinarzt zu finden, bleibt nur die Fahrt ins nächste Krankenhaus. „Viele Bürger haben erfolglos versucht, einen neuen Arzt zu finden. Die meisten in der Umgebung nehmen wegen Überlastung keine neuen Patienten mehr an“, sagt Nych. Damit werden die Patienten quasi gezwungen, ausgerechnet den Ausweg zu wählen, von dem alle Beteiligten öffentlich permanent abraten. „Wenn sie keinen Arzt finden, landen sie in der Notaufnahme. Das ist besonders für ältere Menschen oder Familien mit mehreren Kindern keine befriedigende Lösung“, sagt die Bürgermeisterin.

Zum Glück habe es bislang keine ernsthaften Erkrankungen gegeben, doch Nych ist besorgt: „Wir leben vom Tourismus. Zu uns kommen jedes Jahr rund 75.000 Gäste, es sind hauptsächlich Wanderer und Mountainbiker.“ Was passieren könnte, wenn es einen schweren Unfall gibt, möchte sie sich nicht ausmalen. Sie sagt: „Wir haben sehr viele Unterstützung zum Beispiel von Politikern und Ärzten erfahren.“ Alle sind sich einig: Enzklösterle braucht dringend einen Hausarzt.

Bei der KV wurde der Fall durchgerechnet, das Ergebnis ist für den kleinen Ort desaströs. Ein Sprecher sagt: „Die Sache ist ganz einfach. Es gibt eine Vorgabe des Gesetzgebers, die die Zahl der niedergelassenen Ärzte begrenzt. Das funktioniert bundesweit einheitlich über die Bedarfsplanung. Wenn das einheitlich geregelte Arzt-Einwohner-Verhältnis übererfüllt ist, ist die Zulassung eines zusätzlichen Arztes nicht erlaubt.“

Er rechnet vor: „Derzeit ist der Mittelbereich Bad Wildbad mit 119,2 Prozent überversorgt.“ Das bedeutet: Aus Sicht der KV gibt es deutlich zu viele Ärzte in der sogenannten „Mittelregion“. Zu dieser gehören die Gemeinden Bad Herrenalp, die Stadt Bad Wildbad, die Gemeinden Dobel, Enzklösterle, Höfen an der Enz und Schömberg. „Insgesamt sind das 30.707 Menschen“, erläutert der KV-Sprecher, „diese Zahlen basieren auf Zahlen des Statistischen Zentralamtes vom 31. Dezember 2015. Es gibt für die Mittelregion derzeit aus statistischer Sicht 23, 25 Hausärzte.“

Zum Vergleich: Im Februar 2016 lag das Ergebnis der Bedarfsermittlung bei 120,7 Prozent, im Februar bei 122,7. Derzeit läuft die aktuelle Bedarfsermittlung der KV, in die die Menschen in Enzklösterle große Hoffnungen setzen. „Die Grenze von 110 ist gesetzlich festgelegt. Das Gebiet ist rechnerisch überversorgt“, so der KV-Sprecher. Im Klartext: Nur wenn die Bedarfsermittlung unter 110 liegt, würde die KV einen neuen Allgemeinmediziner für Enzklösterle genehmigen.

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