Die Punkte-Geier kreisen

Miese Stimmung: Minimum 50 Fortbildungspunkte!

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Berlin -

Wie in den Jahresendgesprächen mit allen Mitarbeitern der Filiale besprochen, macht sich Anja Alchemilla an die individuellen Fortbildungspläne. Wo sind noch Lücken zu entdecken, wer müsste den Erste-Hilfe-Kurs auffrischen und wer wird am Jahresende den begehrten Preis abräumen?

Anja brütet über den Fortbildungsplänen. Die Leitung der Hauptapotheke hat für das Qualitätsmanagement hohe Ziele vorgegeben. Jeder Apotheker sollte mindestens 50 Fortbildungspunkte im Jahr erreichen, und die PTA 40. Auf welche Weise diese erlangt werden, ist egal. Ob Präsenzschulung bei der Kammer gewählt wird oder die schriftliche Variante, steht den Mitarbeitern frei. Wer am Ende die meisten Punkte auf dem Konto hat, der fliegt nach Mallorca.

Dort ist bereits ein Platz für die begehrte Phyto-Fortbildung für diejenige Kollegin reserviert, die am besten gehamstert hat. Anders kann man es kaum bezeichnen, denn dieses Punktesystem sorgt nicht für mehr Wissen im HV, sondern für Neid und Unfrieden im Team. Seit klar ist, wie die Belohnung für die Wissensaneignung aussieht, häufen sich die Klagen in Anjas Büro. Irgendjemand lässt regelmäßig die Fachzeitschriften verschwinden, damit die anderen nicht an den Fragebogen kommen.

Auf einmal reißen sich alle um die Teilnahme an den Ringversuchen in der Rezeptur, denn jeder Einzelne bringt satte acht Punkte. Aber wachsen dabei wirklich das Wissen und die Erfahrung? Anja hat den Eindruck, dass seit diesem neuen Belohnungssystem auch nicht mehr die spannendsten Präsenzveranstaltungen herausgesucht werden, sondern alle nur noch wegen der Punkte hingehen möchten. Ganz egal, was der Abend an neuem Wissen zu bieten hat, die Mitarbeiter sitzen für die 70 Euro Seminargebühr ausschließlich ihre Zeit ab und hören nur mit einem Ohr zu.

Aber das kann doch nicht Sinn der Sache sein! PTA Sonja macht bei diesem ganzen Zirkus als einzige nicht mit. Sie hat in ihrer Freizeit zahlreiche Kurse gebucht – ganz privat für sich –, in denen sie mehr über Heilpflanzenkunde und Aromatherapie erfährt. Diese Kurse sind allesamt nicht akkreditiert und werden auch von der Apothekenleitung nicht finanziert. Aber Sonja ist derart fit in der Beratung, was nichtmedikamentöse Zusatzempfehlungen angeht, dass sie schon fast hofft, dass sie an einen Testkäufer gerät.

Durch diese Zusatzkurse abends nach der Arbeit in der Apotheke hat Sonja weniger Zeit als die Kolleginnen, um andere Kurse zu besuchen, die mehr Punkte bringen. Schade, denn so wird eine engagierte und interessierte Mitarbeiterin ausgebremst und mit Sicherheit auf Dauer unzufrieden. Im Grunde ist diese Punktehamsterei Gift für das Betriebsklima, das hat Anja inzwischen erkannt. Aus einer grundsätzlich guten Sache wird durch solche Maßnahmen etwas Schlechtes.

Und das ist etwas, das sich die Verantwortlichen in der Standespolitik ebenfalls einmal durch den Kopf gehen lassen sollten, findet die Apothekerin. Würde man eine Pflichtfortbildung durchsetzen, wäre das ein Garant für mehr Qualität? In ihrer Filiale sieht Anja das Gegenteil davon. Punkte-Geier, die sich im Grunde kaum für die Inhalte interessieren, und engagierte Mitarbeiter, die die Punktesammelei als lächerlich empfinden. Es bleibt zu hoffen, daß wenigstens im großen System am Ende klüger entschieden wird als im kleinen.

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