Schöllkraut

Bayer knickt ein: Iberogast wird angepasst

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Berlin -

Der Pharmakonzern Bayer passt nun doch seine Fach- und Gebrauchsinformationen für sein Produkt Iberogast an. Nachdem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weitere Verdachtsfälle zu Nebenwirkungen vorgelegt und damit im Klageverfahren plötzlich sehr viel bessere Karten hatten, knickte der Hersteller ein und sicherte die Anpassung zu.

Iberogast enthält neben Bitterer Schleifenblume, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmel, Mariendistel, Melisse, Pfefferminze und Süßholz auch Schöllkraut. Die Arzneidroge ist in Deutschland umstritten. Für das BfArM ist der Nutzen nicht belegt. Von der Droge gehe gar ein erhebliches gesundheitsschädliches Risiko aufgrund von Leberschäden aus, hieß es von der Behörde.

Für Arzneimittel mit mehr als 2,5 mg Gesamtalkaloide wurde 2008 die Zulassung widerrufen. Bei Arzneimitteln, deren Tagesdosis zwischen 2,5 µg und 2,5 mg Gesamtalkaloide beträgt, sieht das Stufenplanverfahren einen Warnhinweis in der Packungsbeilage vor: Das Risiko einer Leberschädigung muss erwähnt werden. Auch Iberogast müsste laut Stufenplanbescheid einen Warnhinweis enthalten. Doch Bayer sah zunächst keinen Handlungsbedarf, eine Änderung der Produktinformation sei „derzeit nicht vorgesehen“, hieß es Anfang des Jahres. Es lägen insbesondere keine neuen Faktoren vor, sodass sich „die Sach- beziehungsweise Beurteilungslage von Iberogast nicht verändert hat“.

Doch jetzt hat das BfArM neue Nebenwirkungsmeldungen von Leberschädigungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Iberogast vorgelegt. „Die berichteten Leberreaktionen entsprechen in den meisten Fällen dem in den Bescheiden des BfArM dargestellten Spektrum. Darunter befindet sich nun ein im Juli 2018 bekannt gewordener zweiter Fall eines Leberversagens mit Lebertransplantation, der jedoch letztlich tödlich endete“, heißt es in einer Mitteilung der Behörde.

Das BfArM erhielt über die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) weitere Informationen. Bis zum 10. September haben demnach weitere Informationen von den meldenden Ärzten die Behörde erreicht, „die im Ergebnis einen Zusammenhang mit der vorherigen Anwendung von Iberogast nahe legen“.

Damit sah sich das BfArM im bereits laufenden Klageverfahren gegen Bayer deutlich gestärkt und wäre jetzt aufs Ganze gegangen: Die Behörde hätte einen Sofortvollzug beantragt. Doch dazu kam es nicht, weil Bayer zuvor reagierte: Der Hersteller hat „verbindlich zugesichert, die vom BfArM angeordneten Änderungen der Produktinformationen für Iberogast innerhalb von vier Wochen vollständig umzusetzen“, so die Information des BfArM.

Für die Behörde ist die Zusicherung des Konzerns im Ergebnis dasselbe: „Damit erübrigt sich die Anordnung des Sofortvollzugs durch das BfArM, der anderenfalls im Lichte der jetzt vorliegenden Informationen geboten gewesen und erlassen worden wäre. Das BfArM behält sich diese Maßnahme weiterhin vor, sollte der Zulassungsinhaber den eingegangenen Verpflichtungen wider Erwarten nicht nachkommen.“

Von Bayer war bislang noch keine Stellungnahme zu erhalten. In der Vergangenheit hatte der Hersteller stets darauf gepocht, das Nutzen-Risiko-Profil des Produkts bleibe unverändert positiv. „Sicherheit und Wirksamkeit von Iberogast wurden in kontrollierten klinischen Studien mit mehr als 55.000 Probanden bestätigt“, so eine ältere Stellungnahme. Allerdings hat Bayer vorgesorgt und eine bereits 2010 erteilte Zulassung für eine Variante ohne Angelikawurzel, Mariendistel und Schöllkraut in der Tasche.

Auch dank massiver TV-Werbung konnten die Abverkäufe von Iberogast nach Zahlen von Insight Health im vergangenen Jahr deutlich gesteigert werden – um 7 Prozent auf 102 Millionen Euro in der Offizin und um 26 Prozent auf 20 Millionen Euro im Versandhandel. Seit dem zwischenzeitlichen Aus für MCP-Tropfen hat sich das pflanzliche Magenmittel, das Bayer mit Steigerwald übernommen hatte, hervorragend entwickelt.

Doch die Kritik des BfArM hat auch die Politik aufs Feld gerufen: Kordula Schulz-Asche, Gesundheitsexpertin der Grünen, hatte das Thema Iberogast für sich entdeckt, als von der Behörde in der Schweiz Maßnahmen erlassen wurden. Nachdem sie Bayer öffentlich kritisierte, Warnhinweise im Zusammenhang mit Schöllkraut bis zum Ablauf des anhängigen Gerichtsverfahrens zu verschleppen, legt ihre Partei zuletzt sogar einen Gesetzentwurf vor, mit dem der sofortige Vollzug von Auflagen des BfArM umgesetzt werden sollte. Ironie der Geschichte: Kurz zuvor hatte Schulz-Asche das Phyto-Kompetenzzentrum von Bayer in Darmstadt besucht. Auch der SPD-Gesundheitsexperte Professor Dr. Karl Lauterbach forderte Bayer auf, die Patienten über die Risiken aufzuklären.

Bayer hatte Iberogast mit Steigerwald übernommen. Das Familienunternehmen aus Darmstadt war bereits einige Jahre am Markt, als Wissenschaftler des Hauses dem Management eine Kombination aus neun verschiedenen Heilpflanzen vorstellten, die dem Unternehmen zum Durchbruch verhelfen sollte. 1959 stand der Name, ein Jahr später ging Iberogast in Produktion.

Wurde Iberogast noch auf der Basis des allgemein verfügbaren Wissensstands zu Heilpflanzen entwickelt, investierte Steigerwald zunehmend in die wissenschaftliche Erforschung. In den 1980er Jahren wurden elf kleinere Studien in Auftrag gegeben. 1986 wurde in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Hermann Philipp Theodor Ammon von der Universität Tübingen das duale Wirkprinzip der „fantastischen Neun“ entdeckt. Parallel wurden die ersten Packungen im Ausland verkauft.

In den 1990er Jahren wurden die ersten placebokontrollierten Studien durchgeführt und weitere Wirkmechanismen identifiziert. Bis heute wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit nach Firmenangaben an mehr als 50.000 Patienten untersucht. Ob der Konzern mit diesen Studien weiter werben darf, wenn er sich entscheidet, auf die Zulassung ohne Schöllkraut umzusteigen, ist noch unklar. Das BfArM hatte vor einiger Zeit erklärt, dass man eine Lösung finden werde.

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