Ernährungsberatung

Der Kochbuch-Apotheker

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Berlin -

Apotheker Hans Gerlach hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Abnehmtrends erlebt. Der bayerische Apotheker setzte bereits in den 1980er Jahren auf individuelle Ernährungsberatung: Zum Ärger manches Arztes ermittelte er Blutwerte der Kunden und erstellte eine individuelle Diät. Das Konzept entwickelte der Pharmazeut weiter und hat heute rund 800 Apotheken in seinem Netzwerk.

Gerlach ist Initiator von „Leichter Leben in Deutschland“. Die Mitgliedsapotheker spezialisieren sich auf Ernährungsberatung und unterstützen Kunden bei der Diät. Von Gerlach erhalten sie Flyer, Handbücher sowie Vorträge. „Wir wollen den Mitgliedern Arbeit abnehmen.“ Außerdem wird eine Genanalyse nach dem Biologen Dr. Hossein Askari erstellt. Den Gen-Diät Metacheck werten der Apotheker und sein siebenköpfiges Team in Straubing aus.

„Wir wollen für Apotheken ein Alleinstellungsmerkmal zur Abgrenzung schaffen“, sagt der 69-Jährige. Immerhin gebe es zahlreiche Ernährungsberater. Dazu sollen eigene Produkte wie Diätpulver, Müsli und Nahrungsergänzungsmittel sowie individuelle Kochbücher beitragen. Teilnehmende Apotheken zahlen im ersten Jahr eine Lizenz- und Marketinggebühr von 360 Euro, danach werden 190 Euro fällig.

In Straubing will man nicht mit den Mitgliedsbeiträgen, sondern mit den Diätplänen und Kochbüchern verdienen. Die Apotheken können die vom Kunden ausgefüllten Fragebögen sowie Gentests bei Gerlach abgeben. Aus den Antworten und Laborergebnissen erstellt er anhand einer Datenbank mit rund 3000 Rezepten einen individuellen Ernährungsplan. „Jährlich werden rund 10.000 Kochbücher erstellt.“

Ein Exemplar kostet für Endkunden 54 Euro, Mitgliedsapotheken erhalten es für einen günstigeren Einkaufspreis. Der Apotheker berücksichtigt in den Kochbüchern etwa, ob Kunden Schweinefleisch mögen, gerne kochen oder lieber unterwegs essen. „Eine Schwierigkeit ist, dass man bei Rezepten nicht einfach die Mengen runterrechnen kann. Dann kommen krumme Werte wie ein dreiviertel Ei heraus.“ Das fänden Hausfrauen nicht lustig. „Ein 130 Kilogramm schwerer Mann bekommt andere Rezeptvorschläge als eine 70 Kilogramm schwere Frau.“

Kochbücher bietet er seit 2006 an, die individualisierten seit acht Jahren. „Apotheken verkaufen sie gerne“, sagt Gerlach. Der Apotheker veröffentlicht sie im Eigenverlag und kooperiert mit einer Druckerei. Die Teilnehmer werden von den Apotheken während der Diät begleitet, außerdem können sie sich über das Internet unterstützen lassen. Zudem ist der Pharmazeut Mitgesellschafter beim Abnehmkonzept „Figurscout“, das über Fitnessstudios angeboten wird.

Teilnehmende Apotheken müssen nicht zwingend Ernährungsberater im Team haben. „Früher haben die Kammern gesagt, die Weiterbildung muss sein“, so Gerlach. Der Apotheker sieht es jedoch nicht so streng. Die Zusatzqualifikation sei wegen des wissenschaftlichen Hintergrunds sinnvoll, es gehe aber auch um Motivation und Zuwendung. „Apotheken, die menschlich beraten haben mehr Erfolge als die Wissenschaftler.“

Seit 15 Jahren ist Dr. Helmut Strohmeier im Boot. Der Inhaber der Würzburger Theater-Apotheke half seitdem mehr als 1000 Kunden beim Abnehmen. „Wir betreuen Interessierte mindestens ein halbes Jahr“, sagt er. Der Apotheker hält Vorträge sowie Seminare und führt Messungen durch. Wichtig beim Abnehmen seien drei Mahlzeiten sowie ein eingeschränkter Zucker- und Fettkonsum. Die Betreuung sei natürlich aufwendig, doch für den Kunden dadurch nachhaltig. Derzeit berät Strohmeier etwa 16 Diabetiker. Mit Erfolg: „Nach einem Jahr konnte die Insulinaufnahme um zwei bis drei Einheiten gesenkt werden.“ Diese Kunden seien im Rahmen der Studie Glicemia 2.0 auch mit einem Medikationsplan unterstützt worden.

Als Gerlach in den 1980er Jahren mit Ernährungsberatung begann, setzte er bereits auf Bluttests. „Ich habe gängige Parameter wie Cholesterin und Harnsäure bestimmt“, sagt er. Bei den Ärzten im bayerischen Straubing seien die Tests nicht auf „große Liebe“ gestoßen. „Das war mir egal. Ich habe ihnen gesagt, sie fragen mich ja auch nicht, wenn sie Ärztemuster verteilen.“ Die Kritik der Mediziner habe sich jedoch schnell gelegt.

Dem Apotheker zufolge wollten die Kunden mehr über ihre Blutwerte wissen. Daraus entwickelte er individuelle Ernährungstipps. Gerlach war Langstreckenläufer und interessierte sich privat für gute Lebensmittel. Nach einer Weiterbildung zum Ernährungsberater begann er mit Schulungen, die er an der Volkshochschule sowie in der Apotheke anbot.

„Der Hype war groß und ich habe 2001 ‘Straubing fastet‘ initiiert.“ Dabei beteiligten sich zahlreiche Einwohner und andere Geschäfte. Medien und die Landespolitik wurden aufmerksam und es folgte die Aktion „Fasten ohne Grenzen“, bei der sich fünf bayerische Städte und sechs weitere Apotheker beteiligten. Mit Unterstützung des bayerischen Staatsministeriums folgte 2003 „Bayern light“ mit anfangs rund 80 teilnehmenden Apotheken. „Dann sind Kollegen aus Baden-Württemberg, Thüringen und Hessen dazugekommen.“

Gerlach entwickelte sein Ernährungskonzept weiter. Seine zwei Apotheken gab er vor acht Jahren an seine Filialleiterin ab. „Apotheke hat mir wegen Rabattverträgen und ähnlichem keinen Spaß mehr gemacht. Hier kann ich mich verwirklichen.“

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