Beratung

Der dreisteste Beratungsklau aller Zeiten

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Berlin -

Regelmäßig sorgen in der Apotheke Kunden für Ärger, die sich zeitaufwendig beraten lassen, das Medikament dann aber im Internet bestellen. Einen besonders eklatanten Fall hat Apothekenkundin Bianca Kellner-Zotz in einer Münchner Apotheke beobachtet. Die freiberuflich Journalistin war so fassungslos, dass sie das Erlebte in ihrer Kolumne in der Süddeutschen Zeitung (SZ) verarbeitet hat.

In der Mittagspause wollte Kellner-Zotz mal eben schnell in die Apotheke um die Ecke. Die Journalistin erinnert sich an edle Holzvertäfelung, Orchideen auf den HV-Tischen und zwei freundliche Apothekenmitarbeiterinnen mit Namensschild, auf dem stand: „Wir beraten Sie gerne.“ Dieses Angebot, schreibt sie, habe ein älteres Ehepaar - beide sehr gepflegt, er in Hemd, Ralph-Lauren-Pullover und Stoffhose, sie mit adrettem Kurzhaarschnitt und Louis-Vuitton-Handtasche – offenbar wörtlich genommen.

So habe die Frau einen Zettel aus ihrer Tasche hervorgeholt und ihn der PTA hinter dem HV-Tisch gereicht. Dabei erkundigte sie sich, erinnert sich Kellner-Zotz, die in der Warteschlange direkt dahinter gewartet und das Gespräch quasi aus erster Reihe mitbekommen hat, ob das auf dem Zettel vermerkte Medikament mit diversen anderen verschreibungspflichtigen Arzneien nebenwirkungsfrei eingenommen werden könne.

„Die Mitarbeiterin war wirklich sehr hilfsbereit und engagiert“, berichtete die Journalistin im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC. Zunächst habe die PTA im Computer nachgeschaut. Als die Anfrage zu keiner zufriedenstellenden Antwort führte, startete sie zwei weitere Anläufe. Dann rief die ratlose Beraterin ihre Kollegin zur Unterstützung.

Obwohl sie am anderen HV-Tisch ebenfalls Kunden beriet, entschuldigte sich diese bei ihrer eigenen Kundschaft, bat um einen Moment Geduld und eilte der Kollegin zur Hilfe. Doch auch auf ihre Anfrage hin spuckte der Computer keinerlei brauchbare Informationen aus. „Obwohl sich in der Apotheke schon eine Schlange gebildet hat, kam es für sie aber offensichtlich nicht in Frage, die ältere Kundin ohne eine verlässliche Auskunft wieder ziehen zu lassen“, erinnert sich Kellner-Zotz. Denn die PTA griff schließlich zum Telefonhörer und rief beim Hersteller an, um die gewünschte Information aus erster Hand zu bekommen.

Auch am Telefon musste sich die PTA zunächst in Geduld üben und wurde einige Male weiterverbunden. Aber dann bekam sie endlich eine zufriedenstellende Antwort, notierte etwas und bedankte sich beim Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. „Dann erklärte sie dem älteren Ehepaar ausführlichst, dass es nach Herstellerangaben keinerlei Unverträglichkeiten mit anderen Wirkstoffen gebe“, berichtet die Journalistin.

Da die Apotheke das Medikament allerdings nicht auf Lager hatte, habe die PTA dem Ehepaar angeboten, das Arzneimittel zu bestellen. In ein paar Stunden könnten sie es bereits abholen. Doch dann erlebte sie ihr blaues Wunder: Der Mann schlug das Angebot einfach aus. Sie würden immer bei DocMorris bestellen, weil die Internet-Apotheken viel billiger seien, argumentierte er laut Kellner-Zotz und verließ in Begleitung seiner Frau die Apotheke.

„Die Mitarbeiterinnen waren sichtlich geschockt und brachten einfach kein Wort heraus“, erinnert sich die Journalistin. Auch sie selbst sei fassungslos darüber gewesen, wie kaltschnäuzig das Ehepaar die freundlichen und hilfsbereiten Apothekenmitarbeiterinnen brüskiert habe. Dennoch will Keller-Zotz den unverschämten Kunden keine böse Absicht unterstellen: „Ich glaube, dass Menschen häufig gar nicht über ihr Handeln nachdenken“, versucht sie eine Erklärung für das Verhalten des Ehepaars zu finden.

Ihre Erklärung: „Durch die Präsenz der Apotheken und den staatlichen Auftrag werden sie vielleicht auch wie eine staatliche Institution wahrgenommen, die man bei gesundheitlichen Problemen aufsucht.“ Daran, dass Apotheker auch Unternehmer sind, die Miete und Gehälter ihrer Mitarbeiter zahlen müssen, würden viele Menschen leider nicht denken.

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