Tag gegen anti-muslimischen Rassismus

Marwa el-Sherbini: Gedenken an ermordete Apothekerin

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Berlin -

Heute ist der „Tag gegen anti-muslimischen Rassismus“. Es ist der Todestag der ägyptischen Apothekerin Marwa el-Sherbini, die im Jahr 2009 im Alter von 31 Jahren aus rassistischem Hass ermordet wurde. Sie hatte ihren späteren Mörder freundlich gebeten, die Schaukel für ihren kleinen Sohn freizumachen. Der Fremde hatte sich daraufhin von ihrem Kopftuch provoziert gefühlt und auf einem Spielplatz als „Islamistin“, „Schlampe“ und „Terroristin“ beschimpft. Es folgten Anzeige und Gerichtsprozess, noch im Gerichtssaal stürzte sich der Angeklagte auf die schwangere Pharmazeutin und stach 16 Mal mit einem Messer auf sie ein.

Sie starb im Dresdner Landgericht, ihr Ehemann Elwy Okaz erlitt beim Versuch, seiner Frau zu helfen, lebensgefährliche Verletzungen. Sie entstanden unter anderem dadurch, dass ein Polizist ihn mit dem Täter verwechselte und irrtümlich auf ihn schoss. Marwa el-Sherbini gilt als erstes Opfer eines klar islamophob motivierten Mordes in Deutschland.

Marwa el-Sherbini stammte aus einer angesehenen und wohlhabenden Familie in Alexandria, ihr Vater ist Doktor der Chemie. Sie studierte Pharmazie in ihrer Heimat, folgte 2005 ihrem Mann nach Deutschland. Der Molekularbiologe war 2004 für ein Masterstudium nach Europa gekommen. Gemeinsam zogen sie nach Dresden, wo der Nachwuchsforscher ein Stipendium für seine Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik bekam. 2006 wurde ihr erstes Kind geboren. Seit Dezember 2008 arbeitete Marwa el-Sherbini in einer Apotheke.

Ihr Mörder ist der zur Tatzeit 28-jährige Russlanddeutsche Alexander Wiens. Er wurde in Perm am Ural geboren, kam im Jahr 2003 mit Mutter und Schwester nach Deutschland. Er lebte von Sozialleistungen und hielt sich mit Gelegenheitsjobs und Weiterbildungsmaßnahmen finanziell über Wasser. Der Hartz IV-Empfänger galt als Einzelgänger, blockte jegliche Kontaktbemühungen ab. Vier Monate nach der Tat wurde er im Landgericht Dresden wegen Mordes zur Höchststrafe verurteilt: Lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren praktisch ausgeschlossen. Der Prozess fand unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen und internationalem Medieninteresse statt.

Die Bluttat löste bei Muslimverbänden Empörung über Islamfeindlichkeit in Deutschland aus, es gab öffentliche Proteste gegen Deutschland im Iran und in Ägypten, der Heimat des Opfers. Deutsche Politiker standen in der Kritik, weil sie sich nicht sofort nach der Tat öffentlich geäußert hatten. Die Stadt Dresden und das sächsische Wissenschaftsministerium richteten ein Stipendium ein, das el-Sherbinis Namen trägt. Das „Marwa Elsherbiny Kultur- und Bildungszentrum“ in Dresden wurde im Mai 2009 gegründet, will ein „Zuhause für Muslime verschiedenster Nationalitäten“ sein und mithelfen, Vorurteile gegenüber dem Islam abzubauen und ein friedliches Miteinander der Kulturen unterstützen. Der heutige Gedenktag wird vom Bündnis CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfendlichkeit veranstaltet. Auf der Website wird dazu aufgerufen, den Tag individuell mitzugestalten, bis 1. Juli läuft ein Fotowettbewerb, Teilnehmer können sich „Wir sind alle Marwa“-Botschaften von der Website herunterladen (zum Beispiel „Eine Gesellschaft ohne Hass, Rassismus und Diskriminierung“).

Immer wieder sind kulturelle und religiöse Konflikte auch Themen in Deutschlands Offizinen. Es gibt vereinzelt Kunden, denen die Kombination Kopftuch und Kittel nicht gefällt. So störte sich zum Beispiel vor einigen Monaten in einer Apotheke im westfälischen Herdecke ein Kunde an der Kleidung einer Mitarbeiterin. Er beschwerte sich per Mail bei der Inhaberin. Diese bewies Verstand und Herz, unterstützte ihre Angestellte und schrieb in der Lokalpresse eine öffentliche Antwort.

Der Kunde war der Meinung, dass die Mitarbeiterin „demonstrativ“ ein Kopftuche trage und dadurch die Integration verweigere. Er fühle sich „bedrängt“ und könne „keine Demonstration von Glaubenszugehörigen im öffentlichen Raum“ akzeptieren. „Gerade in einer Apotheke erwarte ich Neutralität“, beschied er der Apothekerin.

Diese konterte mit Sachverstand, schrieb öffentlich, dass sie die Vorwürfe nicht nachvollziehen könne. Die betroffene PTA sei deutsche Staatsbürgerin und baue mit ihren zusätzlichen Sprachkenntnissen immer wieder Brücken für hilfesuchende Menschen. Angesichts der Tatsache, dass auch muslimische Flüchtlinge die Apotheke aufsuchten, optimiere die arabischsprachige Mitarbeiterin die pharmazeutische Betreuung dieser Kunden.

Ein weiterer Fall belegt Protest und Solidarität in der Offizin: Als Jens Beuth, Inhaber von vier Farma-Plus Apotheken im Ruhrgebiet vor drei Jahren eine Mail erhielt, war er geschockt. „Mit Erschrecken“ habe eine Kundin feststellen müssen, dass Beuth „eine Mitarbeiterin mit muslimsichem Kopftuch“ beschäftige. Die Kundin kritisierte, dass ihr „durch diese Person“ nonverbal mitgeteilt werde, dass sie sich als Sexualobjekt präsentiere. Zugleich werde ihrem Mann unterstellt, „dass er schon geil wird, sobald er ein paar Haare sieht“. Die Kundin bedauerte in der Mail, dass sie ein schon bezahltes Mediakament bei Beuth abholen müsse, danach aber definitiv bei der Konkurrenz einkaufen würde.

„Ich war schockiert“, sagte der Apotheker, der 60 Mitarbeiter hat. Er stellte die Mail anonymisiert online, fast 15.000 Nutzer teilten seine emotionale Antwort. „Ich beschäftige Christen, Muslime und Atheisten, dicke, dünne, große und kleine Frauen und Münner, von jung bis alt, blond bis schwarzhaarig, lange, kurze und auch ohne Haare.“ Gepiercte, Motorradfahrer, Fußballfans und Veganer: „Ein Querschnitt der Bevölkerung.“ Wie es sein soll. Beuth hat die Kundin mit der Mail vermutlich nicht vermisst.

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