Datenaffäre

BMG: Alle E-Mails gelöscht

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Berlin -

Im Prozess um die Datenaffäre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) geht es unter anderem um mutmaßlich kopierte E-Mails. Doch bei der Beweisaufnahme vor dem Landgericht Berlin gibt es ein Problem: Das BMG findet die E-Mails selbst nicht mehr. Für die Anklage ist das ein Rückschlag, zumal schon eine der Hauptzeugen in der vergangenen Woche eine unglückliche Figur gemacht hatte.

Das Landgericht Berlin wollte feststellen, ob in dem fraglichen Zeitraum vom 18. bis 23. November 2009 relevante Nachrichten vorhanden waren. Das Landeskriminalamt sollte Vorarbeiten leisten und alle „als relevant oder gar brisant anzusehenden Nachrichten“ für das Gericht ausdrucken. Gefragt sind die Postfächer des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler (FDP), der damaligen Staatssekretäre Stefan Kapferer, Daniel Bahr (FDP) und Annette Widmann-Mauz (CDU) sowie weiterer BMG-Mitarbeiter. Die heutige Hausleitung sollte dem LKA jetzt aus diesen Postfächern die Ein- und Ausgänge sowie die Entwürfe aus der fraglichen Zeit heraussuchen.

Doch die Nachfrage der Staatsanwaltschaft beim LKA war offenbar ernüchternd. Denn der verantwortliche Kriminaloberkommissar hat in der Zwischenzeit beim BMG nachgefragt. Ergebnis: Die Mails liegen nicht mehr vor, weder elektronisch noch in ausgedruckter Form. Allenfalls verstreut in allen möglichen Akten müssten die Archivare nach den E-Mails fahnden. Der Aufwand wäre laut den BMG-Mitarbeitern immens und zeitlich kaum zu kalkulieren. Der Vorsitzende Richter zeigte sich überrascht: „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass hier Akten durchstöbert werden müssen, ich hatte erwartet, dass man das elektronisch tun würde…“

Das LKA sieht sich auch außerstande, nach so langer Zeit noch bewerten zu können, welche Informationen aus E-Mails damals allgemein bekannt waren oder was vielleicht vertraulich gewesen sei. Der Staatsanwalt hatte sich auch hierüber mit dem Kriminaloberkommissar ausgetauscht.

Doch genau darum geht es in dem Verfahren: Diebstahl vertraulicher Informationen aus dem BMG. Angeklagt sind ein ehemaliger IT-Mitarbeiter des Ministeriums sowie der heutige Herausgeber von APOTHEKE ADHOC, Thomas Bellartz. Dessen Anwalt Professor Dr. Carsten Wegner wundert sich, warum die fraglichen Mails niemals von den Ermittlungsbehörden aufbereitet worden sind. Damit bleibe weiter unklar, was seinem Mandanten überhaupt konkret vorgeworfen werde.

In dieser Hinsicht habe auch die Befragung der Zeugin in der vergangenen Woche keine neuen Erkenntnisse gebracht, so Wegner. Die Ex-Frau des angeklagten H, vormals IT-Mitarbeiter im BMG, hatte bei ihrer polizeilichen Vernehmung angegeben, die Übergabe einer CD zwischen H. und Bellartz gesehen zu haben. In der mündlichen Verhandlung kam jedoch heraus, dass sie die Übergabe eben nicht gesehen hatte.

Das war laut Wegner aber nur einer von mehreren Widersprüchen und Ungereimtheiten in ihrer Aussage. In einer heute verlesenen Stellungnahme bezichtigte er die Zeugin sogar, an mehreren Stellen gelogen zu haben. Ihre Angaben zu dem vermeintlichen Treffen sowie dem angeblich aus dem Datenhandel stammenden Bargeld, das H. nach Hause brachte, „passen vorne und hinten nicht“, so Wegner.

 

Bellartz‘ Verteidiger ist persönlich davon überzeugt, dass die Zeugin „seit 2012 lügt“. Und er glaubt auch zu wissen, warum. Der zeitliche Zusammenhang des Anrufs beim BMG zu dem damals laufenden Streit mit ihrem Ex-Mann über das Aufenthaltsbestimmungsrecht des gemeinsamen Kindes sei evident, so Wegner.

Auch die Verteidigerin des Angeklagten H. hält die in der vergangenen Woche vernommene Ex-Frau ihres Mandanten für unglaubwürdig. Die Zeugin habe „keine eigene Wahrnehmung von einer eigenen Tathandlung“. Sie habe noch nicht einmal in ihrer Vernehmung widerspruchsfreie Angaben machen können. Insbesondere habe sie die vermeintliche Geld- oder CD-Übergabe nicht gesehen. Die verschiedenen Einkunftsquellen für Bargeld ihres damaligen Mannes habe sie nicht unterschieden.

Die Verteidigerin von H. verwies auf „unübersehbare Belastungstendenzen“ bei der Zeugin, von einem „Belastungswunsch“. Die zeitliche Parallelität der Anzeige zum eskalierenden Sorgerechtsstreit ist aus Sicht der Verteidigung frappierend. Das Gericht wurde gebeten, die Akten aus dem Familienrechtsstreit hinzuzuziehen. Die Verteidigerin wies darauf hin, dass zudem zwei Verfahren wegen Falschaussagen gegen die Zeugin geführt worden waren. In einem Fall wurde H.s Ex-Frau verurteilt.

Die „wacklige Anklage“ ist damit aus Sicht der Verteidigung weiter beschädigt. Die technischen Aspekte eines vermeintlichen Datendiebstahls sind demnach schon mit der Vernehmung der IT-Mitarbeiter aus dem BMG zusammengefallen. Jetzt sei auch noch die einzige Zeugin weggefallen, die etwas zum mutmaßlichen Tathergang sagen könne. Die Verteidigerin erbat einen Hinweis vom Gericht, „ob weitere Zeugen noch benötigt werden“.

Dazu hat sich das Gericht vorerst nicht geäußert. Bei der heutigen Verhandlung ging es ansonsten nicht um den Datendiebstahl. Dem Angeklagten H. wird außerdem ein Einbruch zur Last gelegt, bei dem er 55.000 Euro erbeutet haben soll. Der damals Geschädigte wurde vom Landgericht befragt. Er hatte H. damals verdächtigt, aber auch einen anderen Bekannten. Eine dritte Bekannte wusste von dem zu Hause gelagerten Bargeld, mit dem der Zeuge sich einen Mercedes kaufen wollte.

Als zweite Zeugin wurde die damalige Freundin H.s befragt. Zum mutmaßlichen Datendiebstahl hatte sie erst aus dem Ermittlungsverfahren erfahren und konnte hierzu nichts sagen. Auch zum vermeintlichen Einbruch konnte sie keine unmittelbaren Angaben machen. Allerdings soll H. ihr gegenüber einmal erzählt haben, er habe die eine Summe von 55.000 Euro gestohlen.

Die Verhandlung wird am kommenden Dienstag fortgesetzt. Dann sollen der ehemalige ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf, eine weitere Mitarbeiterin der ABDA und die Geschäftsführerin des Großhandelsverbands Phagro, Bernadette Sickendiek befragt werden.

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