VISION.A

Online-Atlas für barrierefreie Apotheken

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Berlin -

Der Internetaktivist Raúl Aguayo-Krauthausen gehört seit zwölf Jahren zu den „Sozialhelden“. Der Verein will soziales Handeln „MTV-fähig“ machen: Statt zu belehren, soll die Hilfe für Andere mit Spaß und Erkenntnisgewinn verbunden werden. Das schafft die Gruppe unter anderem mit einer Karte, in der Internetnutzer die Barrierefreiheit von Geschäften verzeichnen können. Bei der Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC forderte er die Apotheker auf, ihre Apotheke einzutragen.

Die „Sozialhelden“ setzen sich auch für die Inklusion von Behinderten ein. Die Apotheken seien bereits weiter als andere Branchen, sagt Krauthausen, der selbst im Rollstuhl sitzt. „Auch wegen der Senioren oder der Familien mit Kinderwagen versuchen Apotheken, barrierefrei zu sein.“

Für einen Rollstuhlfahrer sei es gerade in fremden Städten eine Hilfe, wenn er bereits wisse, welche Cafés, Banken oder eben Apotheken für ihn zugänglich seien, so Krauthausen. Die Idee zur „Wheelmap“ war geboren: Auf der Webseite bewerten Nutzer die Zugänglichkeit eines Geschäfts; sie tragen ihre Bewertung in die Online-Karte ein. Den Sozialhelden sei es wichtig gewesen, nicht vorher festzulegen, welche Geschäfte oder Einrichtungen bewertet werden sollten. „Behinderte wollen schließlich nicht nur Arztpraxen oder Apotheken besuchen“, sagt Krauthausen.

Inzwischen ist die Seite in 20 Sprachen online und hat weltweit etwa 625.000 Einträge. Der Erfolg des Projekts liege nicht an der Idee; die sei simpel. „Aber wir haben die Anwendung auf das Smartphone geholt und einen sozialen Anwendungsfall für Google Maps geschaffen“, erklärt Krauthausen. So sei es zum Selbstläufer geworden.

Oft seien es nur eine oder zwei Stufen vor der Eingangstür, die Rollstuhlfahrer, aber auch Mütter mit Kinderwagen und Lieferanten mit Sackkarren behinderten. „Um das zu beheben, braucht es keine Raketenwissenschaft – sondern eine Rampe“, sagt Krauthausen. Doch sobald sich der Apotheker mit dem Problem beschäftige, werde es kompliziert: Normen und Fachbegriffe prägten das Thema.

Hinzu komme, dass eine Rollstuhlrampe mit einer Hilfsmittelnummer etwa 1000 Euro koste – eine Motorradrampe hingegen nur 200. „Dabei sind beide Produkte gleich gut geeignet“, sagt Krauthausen. Die Hilfsmittelnummer bringe dem Apotheker nichts: „Die Rampe könnte die Krankenkasse zwar übernehmen, aber nur für einen Menschen mit Behinderung. Und der Apotheker ist nicht behindert.“ Um Barrierefreiheit zu vereinfachen, bietet Sozialhelden selbst Rampen zum Kauf an. Mit der Wheelramp können bis zu zwei Eingangsstufen überwunden werden.

Krauthausen wünscht sich von den Apothekern, sich beim Einrichten einer Apotheke standardmäßig die Frage zu stellen: „Habe ich über Menschen mit Behinderungen nachgedacht?“ Daraufhin könne bei Eingangsstufen eine Rampe angeschafft werden und der Status der Barrierefreiheit auf wheelmap.org verzeichnet werden. „Das war es auch schon“, sagt er.

Die Sozialhelden versuchen auch, Berührungsängste abzubauen. Dazu gehen sie etwa mit Schulklassen und Unternehmen gemeinsam auf Barrierensuche. „Wir stellen ihnen die Frage: Ist eine Person behindert, oder wird sie von ihrer Umwelt behindert?“ Oft sei letzteres der Fall.

Im persönlichen Umgang mit Behinderten empfiehlt Krauthausen Mut: „Man kann einem Menschen ohne Arme einfach die Hand geben – der erlebt das und wird reagieren“, sagt er. Zögerliches „Rumdrucksen“ dagegen sei unangenehm.

Der Verein Sozialhelden will außerdem Unsicherheit im Sprechen und Schreiben über Behinderte nehmen. „Viele Journalisten wissen nicht, wie sie richtig über uns schreiben sollten“, sagt Krauthausen. Daher habe der Verein die Plattform leidmedien.de entwickelt, die Richtlinien aufzeigt.

Das neue Projekt der Sozialhelden heißt „Die Andersmacher“. Damit soll jungen Menschen gezeigt werden, dass auch mit einer Behinderung ein normales Arbeitsleben möglich ist. „Es gibt Tischler im Rollstuhl und blinde Anwälte“, sagt Krauthausen. Bei einer Ausbildung sollte ebenfalls bedacht werden, wie barrierefrei sie sei, betont er in einer anschließenden Podiumsdiskussion. „Leider sind Schulen so leistungsorientiert, dass bestimmte Gruppen dort gar nicht mehr stattfinden können“, kritisiert er.

Krauthausen spricht sich dagegen aus, dass Menschen mit Behinderungen „aussortiert“ werden und vermeintlich zu ihrem Schutz in gesonderten Schulen lernen und später in Behindertenwerkstätten arbeiten. „In solchen Sondereinrichtungen werden wir verwaltet – nicht gefördert. Der Weg zurück ins normale Arbeitsleben ist meist nicht mehr denkbar“, so Krauthausen.

Inzwischen würden einige Behinderungen als „cool“ gelten, etwa eine Brille tragen zu müssen oder eine Prothese. „Ich ernte neidvolle Blicke, wenn ich sage, dass ich mein Smartphone an meinem Rollstuhl aufladen kann“, erzählt Krauthausen. Er sehe nicht ein, warum etwa ein Hörgerät unauffällig sein müsse. „Behinderungen sollten nicht versteckt werden müssen.“

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