Hessen

Apotheke wird zur Wahlkampfzentrale

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Berlin -

Im Wahlkampf besuchen Politiker gerne Apotheken, gelegentlich baut eine Partei auch schon mal einen Stand vor oder in der Nähe einer Apotheke aus. Selten kommt dagegen nur vor, dass direkt aus einer Apotheke heraus um Wählerstimmen geworben wird. Das geschieht jetzt in der 500 Jahre alten Einhorn-Apotheke im hessischen Gelnhausen – geworben wird dort nicht für die Bundestagswahl. Aber zeitgleich wählen die Bürger der kleinen Gemeinde am 24. September ihren neuen Bürgermeister. Und Kandidat Jochen Zahn hat sich kurzerhand die leerstehende Apotheke als Wahlkampfzentrale ausgeliehen.

„Drei Wochen vor der Bürgermeisterwahl in Gelnhausen erlebt ein wertvolles Kleinod in der historischen Altstadt eine überraschende Aufwertung“, ließ Zahn kürzlich wissen. Zahn ist Kandidat der freien Wählergruppe „Bürger für Gelnhausen“. Seit sich die SPD als politischer Platzhirsch hinreichend zerstritten hat, rechnen politische Beobachter ihm sogar Außenseiterchancen ein.

„Wer sich über meine Arbeit und Pläne für Gelnhausen informieren will, wer Vorschläge für unsere Stadt hat – oder wer sich einfach nur mal die wunderbar erhaltene Traditionsapotheke anschauen will, ist zu meinen Sprechzeiten herzlich willkommen“, sagt Zahn, der zweimal wöchentlich im holzgetäfelten Schmuckstück anzutreffen ist.

Die Einhorn-Apotheke in der Krämergasse gab es seit nahezu 500 Jahren. Anfang dieses Jahres schloss Apotheker Ulrich May das Geschäft. „Es lohnt sich einfach nicht mehr. „Der Betrieb wirft die benötigten Kosten nicht mehr ab und ich lege drauf“, sagte der 59-Jährige dem Gelnhäuser Tagblatt.

May hätte enorme Investitionen tätigen müssen, um die Apotheke erhalten zu können. Gleichzeitig müsste das alte Fachwerkhaus grundlegend saniert werden. Die Stammkunden, die zu Fuß die Einhorn-Apotheke erreichten, konnten das Geschäft alleine nicht mehr am Laufen halten. Außerdem sei die Anzahl der benachbarten Arztpraxen in der Altstadt sehr gering, so dass auch von dort keine Kunden mehr in die Apotheke kämen.

Es gab auch keinen Frequenzbringer in der Gelnhäuser Altstadt, von dem die Apotheke hätte profitieren können. „Für Touristen wurde die Altstadt wunderbar hergerichtet, die gehen aber eher in ein Restaurant zum Essen, als in die Apotheke“, so May. Problematisch seien auch die vielen Feste in der Altstadt, denn die kleineren Geschäfte wie die Einhorn-Apotheke hätten dann weitere Umsatzeinbußen zu verzeichnen.

Seitdem ist einer der schönsten historischen Läden Gelnhausens verriegelt – bis Zahn jetzt den mit ihm befreundeten Eigentümer gewinnen konnte, ihm die Apotheke bis zum Wahltag für Bürger-Sprechstunden zur Verfügung zu stellen. Er war auch damit einverstanden, dass Jochen Zahn Interessierten das beeindruckende Ladengeschäft mit dem wertvollen alten Mobiliar und den unzähligen Apothekergefäßen präsentieren darf.

Die Einhorn-Apotheke wurde im Jahr 1582 von Caspar Roth gegründet – das Einhorn galt seinerzeit als Zeichen der Reinheit und Stärke. Die Apotheke überlebte nahezu unbeschadet auch den Dreißigjährigen Krieg mit all seinen Verwüstungen.

Später übernahm Ludolf Heinrich Cassebeer die Apotheke, dann sein Sohn Dr. Johann Heinrich Cassebeer, der einer der namhaftesten Botaniker und Mineralogen des 19. Jahrhunderts wurde und auch wiederholt Bürgermeister seiner Heimatstadt war.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zog die Familie Falke in die oberen Stockwerke ein. Erst führte Dr. Max Falke die Apotheke, dann sein Sohn Heinrich. Von ihm übernahm May das Haus. Fast 30 Jahre stand er unter den schweren Messing-Lampen, vor sich den von Meisterkönnern des Tischlerhandwerks gebauten Verkaufstresen, der so eine ganz besondere Ausstrahlung bekam. Beeindruckend sind auch die langen Reihen mit Schubladen, handgearbeitet Stück für Stück vor Jahrzehnten, als wären sie für die Ewigkeit gedacht.

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