Online-Kampagne

Noweda: Nach oben spotten, nicht nach unten treten!

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Berlin -

Die Noweda hat heute die nächste Stufe ihrer Spottkampagne über Versandapotheken gezündet. Die Kunstfigur Rüdiger schlüpft nun in die Rolle des CEO eines erfundenen Versenders. Endlich sucht sich die Genossenschaft die richtigen Gegner, denn mit der Häme gegen Paketboten erweist sie den Apothekern einen Bärendienst. Statt Schwächere zu verspotten, sollte sie sich auf die wahren Gegner konzentrieren, kommentiert Tobias Lau.

Zumindest den Zahlen nach war die Social-Media-Kampagne „Don’t trust Rüdiger“ bisher recht erfolgreich: Zwei Millionen Zuschauer wurden mit den Clips auf YouTube, Facebook, Instagram und Snapchat erreicht. Der Protagonist ist die bitterböse Parodie eines Paketboten: Übergewichtig und abgelebt sitzt er auf der Ladefläche seines Zustellfahrzeugs, mampft einen Burger und schlürft einen Softdrink. Die Botschaft: Solche Leute bringen dir deine Arzneimittel, wenn du nicht in die Apotheke vor Ort gehst. Auch die neuen Beiträge arbeiten sich am Paktboten ab. Da steht er vor verschlossener Tür, geht fluchend ums Haus und schmeißt sein Paket wütend auf den Balkon.

Doch die Figur wird ausgebaut: Rüdiger sitzt plötzlich im Anzug und mit Pomade im Haar am Schreibtisch und personifiziert die Raffgier, während ihm eine Assistentin kistenweise Geld ins Büro schleppt. „Arzneimittel versenden, ganz ohne Kontrollen, dat isset einfach!“, schwärmt er von seinem Geschäft. Es ist zwar etwas inkonsistent, dass dieselbe Figur Paketbote, Laborchef und Geschäftsführer ist, doch zumindest geht die Entwicklung in die richtige Richtung.

Denn Noweda täte gut daran, ihrem Rüdiger als Paketzusteller nicht noch mehr Bildschirmzeit einzuräumen. Will man den Anliegen der Apothekerschaft Gehör verschaffen und den Verbrauchern ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten verdeutlichen, erweist man ihnen einen Bärendienst, indem man nach unten tritt. Und nichts anderes ist es, sich über die Karikatur eines Zustellers lustig zu machen. Denn diese sind genauso Opfer des sich wandelnden Konsumverhaltens wie die Apotheker – mit dem Unterschied, dass sie in der sozio-ökonomischen Hierarchie noch ein paar Stufen tiefer stehen.

3,52 Milliarden Sendungen wurden vergangenes Jahr laut Branchenverband BIEK in Deutschland verschickt. Um vier bis fünf Prozent zeigt die Zahl der Paketzustellungen jährlich. Und es sind nicht die Apotheken, die die größten Opfer dieser Entwicklung sind, andere Branchen hat es ungleich härter getroffen, manche wurden buchstäblich weggefegt. Auch die Bediensteten der Zustellerbranche stehen nicht auf der Gewinnerseite: Zwischen 2007 und 2017 ist das durchschnittliche Bruttogehalt eines Paketboten um 13 Prozent gesunken, 2478 Euro betrug es laut BIEK im vergangenen Jahr. Es herrscht ein enormer Wettbewerbsdruck auf dem Markt, weil die Paketpreise kontinuierlich sinken. Gleichzeitig steigt die Zahl der Zustellungen auch deshalb, weil kostenloser Versand und mehrfache Rücksendungen immer gängiger werden.

Die Zeche zahlen die Fußtruppen: Die Kette der Subunternehmer verschleiert, dass der Mindestlohn nicht beim Boten ankommt. Laut ver.di sind Stundenlöhne zwischen 4,50 und 6 Euro an der Tagesordnung. Dafür müssen sie dann umso mehr arbeiten: Oft in erzwungener Scheinselbstständigkeit fahren die Boten Tag und Nacht für einen Hungerlohn; 12- bis 16-Stunden-Schichten sind keine Seltenheit. Die Paketboten sind nicht die Gegner der Apotheker vor Ort, sie sind genauso Opfer des wirtschaftlichen Wandels.

Und die Apotheker? Die sind aus nachvollziehbaren Gründen frustriert, dass sie teilweise noch immer als Berufsstand verunglimpft werden, der sich mit dem Hinhalten von Pappschachteln eine goldene Nase verdient. Will man der breiten Bevölkerung verdeutlichen, dass man auf ihrer Seite steht, sollte man seine Häme also besser nach oben richten, nicht nach unten. Dass es oben genug zu verspotten gibt, zeigt Rüdiger als CEO von Mega-Web-Arzneimittel XXL deutlich. Wer aber zu den 20 Prozent der deutschen Bevölkerung an der Armutsgrenze gehört, wird sich vielleicht eher mit dem gestressten Zusteller auf der Ladefläche identifizieren als mit dem promovierten Weißkittel hinter der Kasse – oder dem fremdkapitalgesteuerten Versandkonzern kurz hinter der Grenze.

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