ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Der Verteilungskampf

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Berlin -

Mit vor Vorfreude zitternden Händen hebt Apothekerin Vera L. den Deckel der Großhandelskiste. Laut Defektliste sollen vier Packungen Valsartan darin sein. Vier! In Zahlen: 4! Ein Jauchzer entfährt ihr, als sie die Packungen wenig später wirklich in den Händen hält. Sie drückt sie kurz an sich, bevor sie sie auf die Abholzettel verteilt, die sich im Backoffice stapeln. Jetzt kann sie wenigstens den Teil der Patienten versorgen, denen eine Umstellung besonders schwer gefallen wäre – vorerst. Denn der Verteilungskampf tobt weiter.

Vera stellt sich vor, wie der Hersteller seine Kontingentarzneimittel hortet und verteilt. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie eine Lagerhalle, absurd groß, da weitestgehend leer. Zwei Paletten mit Päckchen stehen neben dem Tor, die eine voll bepackt und mit der Aufschrift „Versandhandel“ versehen, die andere mit „Akutversorgung“. Auf der steht ein einsamer Karton.

Anders kann sie sich nicht erklären, was in ihrer Apotheke und viele anderen derzeit vor sich geht: Da ist der Kollege, der bei Bezug von Jakavi gemaßregelt wird. Da ist der Kollege, der dringend DuoTrav von Novartis benötigt. Er kommt seit Wochen nicht dran, im Versandhandel ist das Präparat anscheinend leichter zu bekommen. Wie kann das sein?! Naja, man kann das vielleicht auch als Kompliment verstehen. Dort wird die Ware zuletzt angefordert, weil der Patient seine Augentropfen doch lieber nicht erst übermorgen haben möchte – Bonus hin oder her. Aber könnten die Hersteller das bei der Verteilung ihrer Präparate nicht auch berücksichtigen, fragt sich Vera.

So schlimm wie aktuell war es lange nicht in ihrer Apotheke. Eigentlich fehlt alles: Valsartan, Allopurinol und Ibu 800, Venlafaxin, Simvastatin und Promethazin, alle Schilddrüsenpräparate mit Iod genauso wie die vor der Ferienzeit so dringend benötigten FSME-Impfstoffe. Bestimmt können die Hersteller die Ausfälle in jedem Einzelfall blumig begründen, aber bei diesem Ausmaß glaubt Vera langsam an System. Vielleicht sind es die Rabattverträge, vielleicht die international zerfledderte Preispolitik.

Oder vielleicht kommen Dritte schneller an die Ware und verkaufen sie direkt über Ebay an die Endkunden. Da ist dann auch diese lästige Preisbindung nicht im Weg und das Prinzip von Angebot und Nachfrage hält endlich auch im Gesundheitsmarkt Einzug. Die Monopolkommissionen und Wirtschaftsweisen dieser Welt fordern doch unentwegt mehr Wettbewerb im Arzneimittelmarkt. Na bitte, da haben sie ihn.

Womit wir bei Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wären und seinem neuen Anlauf, ein Apothekenstärkungsgesetz zu schreiben. Also der nächsten Version. Kabinettsentwurf darf das in Berlin kursierende Papier noch nicht heißen, weil es noch gar keinen genauen Termin für die Kabinettsbefassung gibt. Aber besprochen wird auch diese Fassung natürlich. Die zunächst mit einer Auslassung auffällt. Denn von einer Erhöhung der Honorare für Notdienst und BtM-Abgabe ist plötzlich keine Rede mehr. Soll das Bundeswirtschaftsministerium angeblich parallel erledigen. Wenn denn das Apothekenstärkungsgesetz überhaupt noch kommt.

Erkennbar bemüht hat man sich im BMG, die Sache mit der Gleichpreisigkeit anders anzugehen. Jetzt gibt es einen klaren Bezug auf das Sozialgesetzbuch V mit einer geradezu ausschweifenden Begründung. Auch im Heilmittelwerbegesetz (HWG) sollen die EU-Versender daran erinnert werden, dass es künftig ein Boni-Verbot gibt – zumindest für GKV-Versicherte. Dafür soll es im PKV-Bereich künftig eine Aut-idem-Regelung geben. Ob sich der EuGH mit diesem neuen Entwurf wirklich aushebeln lässt, daran gibt es schon jetzt erhebliche Zweifel unter außenstehenden Juristen.

Jetzt gilt es erstmal abzuwarten, was Spahn letztlich ins Kabinett einbringt – und wie lange der Tisch noch so besetzt ist. Zumindest einen Wechsel in der GroKo gibt es im Juli: Lambrecht für Barley an der Spitze des Justizministeriums. Und aus diesem Ressort gab es ja zuletzt auch noch Bedenken gegen Spahns Vorhaben. Die Landesorganisationen der Apotheker arbeiten sich am Minister ab: schimpfen, klagen, resolutionieren – ob in Nordrhein und Westfalen, Hessen, Hamburg oder Schleswig-Holstein.

Während die Politik also noch nach einer Boni-Lösung für den Rx-Versand sucht, wird das Boni-Verbot für deutsche Apotheken rigoros umgesetzt. Kaum hat der Bundesgerichtshof (BGH) sein Ofenkrusti-Urteil gesprochen, wird ein Berliner Apotheker zu einem Bußgeld von 5000 Euro verdonnert. Der Grund für die Strafe: Er ist Wiederholungstäter. Die Ursache: Rx-Boni nur für Kundenkarteninhaber. Ein klarer Fall, dass diese Einschränkung natürlich nicht ausreicht. Überraschender schon die Kommentierung der Kammer: Sie warnt ihre Mitglieder vor rachsüchtigen Kollegen in der Nachbarschaft, die nun auch mit Aussicht auf Erfolg die rezeptgebundene Mitgabe von Taschentüchern angreifen könnten.

Da lebt es sich in den Niederlanden deutlich bequemer. Das hat sich bis nach Leipzig rumgesprochen: Apo-Discounter verschafft sich ein zweites Standbein in Holland. Und der Investor hat offenbar noch Großes vor. Die Noweda macht sich ganz allgemein über Versandapotheken lustig, leider ein bisschen auf Kosten der Beschäftigten in der Logistikbranche, die ja nun wirklich das letzte Gleid in der Kette sind und als Feindbild aus meiner Sicht nicht wirklich taugen.

Rückblick zu Ende, noch ein kurzer Ausblick: Ab 1. Juli gilt der neue Rahmenvertrag. Sie haben also noch eine Woche Zeit, sich mit allen Änderungen vertraut zu machen. Die gute Nachricht: Wir lassen Sie nicht alleine: Hier ist ein bisschen Lektüre zur Vorbereitung (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5). Tut mir leid, Sie werden lesen müssen. Trotzdem ein schönes Wochenende!

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