Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Polypille zur Primärprävention?

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Berlin -

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit für einen Großteil der Krankheitsbilder und Todesfälle verantwortlich: Blutdruck- und Cholesterinsenker, sowie Blutverdünner zählen daher zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln. Im Iran zeigt derzeit eine Polypille erste Erfolge zur Primärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht. Die Daten weiterer Studien werden in Zukunft erwartet.

Teilnehmer der publizierten Studie waren Menschen über 50 Jahre: Sie erhielten täglich eine Polypille bestehend aus zwei Blutdrucksenkern, einem Statin und Acetylsalicylsäure (ASS). In niedrigen Dosierungen konnte die Kombination bei Menschen ohne Vorerkrankungen die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen signifikant senken. Bereits 2012 hat die randomisierte Studie im Iran begonnen: Im Rahmen der „Golestan Cohort Study“ wurden Ortschaften auf die Verteilung einer Polypille oder auf eine Kontrollgruppe randomisiert. In der Kontrollgruppe erhielten die Menschen nur die ortsübliche, minimale medizinische Versorgung.

Es wurden alle Einwohner im Alter zwischen 50 und 79 Jahren behandelt. Etwa jeder zehnte Studienteilnehmer hatte jedoch bereits ein schweres Herz-Kreislauf-Ereignis erlitten und mehr als drei Viertel hatten zuvor schon kardiovaskuläre Medikamente eingenommen. Entwickelt wurde die Polypille an der Universität Birmingham: Sie enthält 5 mg Enalapril, 12,5 mg Hydrochlorothiazid, 20 mg Atorvastatin und 81 mg ASS. Bewohner, die mit Husten auf den ACE-Hemmer Enalapril reagierten, konnten auf eine andere Polypille wechseln, die stattdessen 40 mg Valsartan enthielt.

Primärer Endpunkt der Studie war das Auftreten schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse: Dazu zählten koronare Ereignisse wie plötzlicher Herztod, Herzinfarkt, Angina pectoris oder Revaskularisierung, zerebrovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfall oder tran­sitorische ischämische Attacken, sowie jegliche Hospitalisierungen wegen kardiovaskulärer Erkrankungen.

Bei Patienten, die die Polypille erhalten hatten, trat der Endpunkt den Forschern zufolge bei nur 5,9 Prozent auf. Bei Patienten ohne Einnahme der Polypille in der Kontrollgruppe waren es hingegen 8,8 Prozent. Die Forscher ermittelten ein um 34 Prozent gesenktes Risiko. Umgerechnet kommt auf 35 Personen somit eine Person, die durch die Einnahme der Polypille vor einem schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignis geschützt wurde. Die Verträglichkeit wurde insgesamt als gut bewertet, jedoch kam es unter der Therapie mit der Polypille zu einer erhöhten Blutungsrate. In der Behandlungsgruppe erlitten 21 Teilnehmer eine intrakranielle Blutung und 13 Teilnehmer eine Blutung im oberen Gastrointestinaltrakt. In der Kontrollgruppe waren es vergleichsweise nur elf beziehungsweise neun Personen.

Mittlerweile beschäftigen sich mehrere Studien mit der Polypille: Die „International Polycap Study 3“ hat 2012 insgesamt über 5500 Patienten aus Bangladesch, Kanada, Kolumbien, Indien, Malaysia, den Philippinen, Tansania und Tunesien auf die Einnahme einer Polypille oder Placebo randomisiert. Die dort verwendete Pille enthält 25 mg Thiazid, 100 mg Atenolol, 10 mg Ramipril und 40 mg Simvastatin. Mithilfe einer zweiten Randomisierung werden 75 mg ASS mit Placebo und in einer dritten Randomisierung 60.000 IE Vitamin D pro Monat mit Placebo verglichen. Die Teilnahme ist auf Personen mit einem erhöhten kardialen Risiko beschränkt, der Abschluss der Studie wird in diesem Jahr erwartet.

Eine weitere Studie ist die „Secondary Prevention of Cardiovascular Disease in the Elderly Trial“: Teilnehmer sind gut 3200 Patienten im Alter von über 65 Jahren, die innerhalb der letzten sechs Monate einen Herzinfarkt erlitten haben und kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen. Die Teilnehmer werden auf eine Polypille mit 100 mg ASS, 20 oder 40 mg Atorvastatin und 2,5, 5 oder 10 mg Ramipril randomisiert. Die Studie wurde im Juli 2016 begonnen, Ergebnisse werden für 2021 erwartet. Mehrere Zentren aus den neuen Bundesländern nehmen an der Studie teil.

Die Idee der Polypille ist nicht neu: Bereits vor 15 Jahren hatte ein Forscher aus London eine ähnliche Kombination vorgeschlagen. Mit nur einer Pille sollen Blutdruck und Cholesterin gesenkt und die Fließeigenschaften des Blutes verbessert werden. Zwar konnten bereits einige positive Ergebnisse aus Studien gezogen werden, jedoch gibt es auch Kritik: In reicheren Ländern sei die medizinische Versorgung so gut, dass gezielt behandelt werden könne. Zudem sei es aus ethischen Gründen nicht vertretbar, gesunde Menschen unnötig durch Nebenwirkungen der Wirkstoffe zu belasten. Befürworter sehen in der Polypille eine praktische und vor allem preiswerte Möglichkeit, die kardiovaskuläre Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Mehr Zuspruch findet die Idee daher vor allem in Ländern, in denen die medizinische Versorgung der Bevölkerung oft schwierig ist.

2016 wurde bereits eine Polypille im Bereich Blutdrucksenkung getestet: Die Behandlung aller älteren Menschen – unabhängig von den Blutdruckwerten – hatte jedoch in einer internationalen Studie keine Schutzwirkung erzielt. Die Deutsche Hochdruckliga (DHL) betrachtete die Idee einer Polypille für alle Patienten als gescheitert: Eine Blutdrucksenkung sei nur sinnvoll, wenn der Blutdruck erhöht sei. Die Idee der Polypille für alle wurde in einer Studie an 228 Zentren in 21 Ländern untersucht: An der „Hope 3-Studie“ hatten insgesamt 12.705 Männer im Alter von über 55 Jahren und Frauen über 65 Jahren teilgenommen. Die Blutdruckbehandlung erfolgte in der Studie mit Candesartan und Hydrochlorothiazid (HCT). Zusätzlich wurde die Wirkung eines Lipidsenkers getestet, der ebenfalls zum Konzept der Polypille gehört – ebenso wie Acetylsalicylsäure, die in der Studie jedoch nicht untersucht wurde.

Das Ziel der Studie: Die Patienten sollten vor Herzinfarkt und Schlaganfall, vielleicht auch vor Herzschwäche, plötzlichem Tod oder einer Behandlung verengter Herzkranzgefäße bewahrt werden. Am Ende wurden die Hoffnungen jedoch enttäuscht. Nach einer Behandlungszeit von 5,6 Jahren senkten die Hochdruckmedikamente in der Gesamtgruppe der Teilnehmer die Zahl der Herz-Kreislauf-Ereignisse nicht. Anders jedoch die Ergebnisse bei den Teilnehmern, die zu Beginn einen erhöhten Blutdruck aufwiesen: Im Drittel mit den höchsten systolischen Blutdruckwerten sank die Zahl der Herz-Kreislauf-Ereignisse um 24 bis 28 Prozent. Teilnehmer mit niedrigeren systolischen Blutdruckwerten hatten dagegen keine Vorteile durch die Blutdrucksenkung.

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