Abenteuer Wracktauchen

Apotheker auf Unterwasser-Jagd

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Berlin -

Schlauchboot kaufen, raus aufs Meer, tauchen – so fing alles an. Heute ist Apotheker Oliver Hirsch aus Emden unter anderem für den Melonen-Nachschub und die Ohren-Prophylaxe zuständig. Mit seinen Taucherfreunden, den „Gezeitentauchern“, sucht er in der Nordsee nach Wracks.

Den meisten Menschen reicht die Nordsee im Sommer als große Badewanne. Den Gezeitentauchern nicht. Wenn das Wetter stimmt und alle Zeit haben, starten sie ihr sieben Meter langes, 225 PS starkes Schlauchboot und suchen nach Wracks, tief unten am Meeresgrund. „Ich habe mit 19 tauchen gelernt und es hat mich nie wieder losgelassen“, erzählt Hirsch. „In den 90er-Jahren habe ich drei Jahre in England gelebt und dort Kanal- und Wracktauchen kennengelernt.“

Zurück in Deutschland lernte er in einem Tauchclub Dirk Terbeek kennen. Er ist Arzt und Versicherungsmakler, Taucher seit Kindheitstagen. Im Sommer 2007 unternahmen sie den ersten Nordsee-Tauchgang. „Wir haben eine Schiffschraube gesehen und wollten wissen, was das ist.“ Der Forschergeist war geweckt. Nordsee-Tauchgänge sind tückisch, denn vieles muss stimmen. Einfach mal so ins Meer springen, geht nicht. Wellengang, Temperatur, Gezeiten müssen bedacht werden. „Beim ersten Mal sind wir nur rausgefahren, haben den Anker geworfen und sind an der Boje hinunter.“ Pro Sommer absolvieren sie zehn bis zwölf Tauchgänge. „Mindestens vier bis fünf von uns müssen Zeit haben und die Bedingungen müssen stimmen, das ist gar nicht so einfach.“

Nach und nach begannen die Taucher, Schrauben und Kessel zu vermessen. Die Nordsee ist eines der rauesten Gewässer der Erde und zugleich auch eines der wrackreichsten. Nicht alle Fundstücke sind beschrieben, viele liegen weitgehend unerkannt auf dem Meeresboden. Andere sind dem Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie bekannt, liegen bis zu 120 Jahre schon dort unten am Meeresgrund. Im ersten Jahr der Gezeitentaucher entdeckten sie ein unbekanntes Wrack und nannten es „Wrack X“.

Der Apotheker schwärmt: „Wracks sind wunderschön, sie sind oft wie ein künstliches Riff.“ Manchmal beträgt die Sicht nur zehn Meter, aber das reicht aus, um Meeresbewohner zu sehen: „Hummer, Taschenkrebse, Meeresspinnen, Dorsche, Barsche, Kabeljau, Seeteufel, es gibt eine wahnsinnige Vielfalt am Meeresgrund.“ Für ihn sind die Tauchgänge „das kleine Abenteuer zwischendurch“.

Jeder Taucher hat an Bord seine Aufgaben, auch die des Apothekers sind klar definiert. „Ich bin für die Desinfizierung der Stauräume zuständig und sorge dafür, dass es nach dem Tauchgang Melone gibt.“ Nach dem salzigen Geschmack des Meeres freuen sich die erschöpften Taucher über Flüssigkeit und Süßes. Auch in Sachen Ohren hat der Pharmazeut zuverlässige Tipps. Während viele Menschen nasse Ohren auf hoher See bedecken und so gegen den Fahrtwind schützen, rät er zum Fahrtwind: „Der trocknet die Ohren auf natürliche Weise. Im Wasser sind Keime enthalten, weshalb man die Ohren nicht bedecken soll.“

Mit jedem Tauchgang stieg auch der Anspruch, den die Gezeitentaucher an sich haben. „Wir haben beim US-Verband Global Underwater Explorer einen Kurs belegt und vieles über Vermessungsmethoden, Fotografieren, Lagebestimmung, Bergung und Anfertigung von Skizzen gelernt.“

Die Identifizierung von „Wrack X“ dauerte rund zehn Jahre. Heute steht fest: Es handelt sich um den Dampfer „SS Elsa“, der 1917 in den Niederlanden gebaut wurde und 1936 während eines starken Sturms sank. Als das Unglück geschah, befand sich Elsa mit einer Ladung Kohle auf dem Weg von Danzig nach Cherbourg. Akribisch recherchierten die Hobbytaucher, fügten Puzzleteilchen an Puzzleteilchen. Das Wrack wird auf dem Meeresboden bleiben. So ein Schiff zu bergen, sei unsinnig, sagt Hirsch. „Es würde Millionen kosten und was sollte man damit an Land anfangen?“

Langweilig wird es den Gezeitentauchern nicht: „Es gibt noch ganz viele Wracks“, sagt Hirsch. Wobei es ihnen ausschließlich darum geht, die alten Teile zu inspizieren und Details herauszufinden. „Wir würden niemals etwas mitnehmen, das ist Diebstahl. Wir fotografieren und dokumentieren.“ Einmal erblickten sie eine alte KPM-Porzellantasse, erfreuten sich an ihrem Anblick und beließen sie auf ihrem Platz. Außerdem verstößt es gegen den Ehrenkodex eines Wracktauchers. Der nämlich möchte erkunden, aber nicht besitzen.

„Die Elsa wird vermutlich zum Denkmal erklärt“, sagt Hirsch. Ein Erfolg für die Gezeitentaucher. Und gerade haben sie das Buch „Die Gezeitentaucher“ im Eigenverlag herausgegeben. Darin beschreiben sie Geschichte und Lage interessanter Nordsee-Schiffswracks. „Es ist das erste Wracktauchbuch der Nordsee", sagt Hirsch. Er freut sich auf die Saison. Wer weiß, was da unten, unter den Wellen, noch alles liegt.

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