Kommentar

E-Rezept rockt Apothekenmarkt

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Berlin -

Es geht um die Wurst ­und die heißt E-Rezept. Die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens sich nicht mehr von Heilberuflern und Kassen an der Nase herumführen zu lassen, hat alle Player aufgeschreckt. Die Ärzte bekennen sich plötzlich zur Telemedizin und die ABDA zum E-Rezept. Damit steht der Medizin- und Apothekenmarkt vor der vermutlich größten Veränderung der letzten Jahrzehnte. Traditionelle Marktpositionen und Berufsbilder geraten ins Wanken. Die Schnelligkeit bei der Modernisierung entscheidet über Gewinner und Verlierer. Und die Apothekenrechenzentren stehen mit ihren Geschäftsmodell im Auge des aufziehenden Wirbelsturms, kommentiert Lothar Klein.

Die Einführung des E-Rezepts bedeutet eine Zäsur für das traditionelle Beziehungsgeflecht Arzt-Patient-Apotheke. Vergleichsweise einfach ist die Aufgabe für die Ärzte: Die bisher auf dem Papierrezept dokumentierten Angaben über Arzneimittel, Rezepturen, Heil- und Hilfsmittel müssen künftig in digitalisierter Form erfolgen. Das ist eine Frage der Technik, also Formsache.

Allerdings fällt künftig schon in der Arztpraxis womöglich die Auswahl über die Apotheke, in der die Verordnung bedient werden soll. Per Mausklick könnte der Arzt das E-Rezept in die Apotheke der Wahl des Patienten schicken, oder auch nach Heerlen. Technisch wäre das kein Problem. Zur Rose hatte hier schon vor drei Jahren die Fühler ausgestreckt. Noch ist aber nicht klar, ob der Gesetzgeber dies zulässt. Die ABDA fordert zu Recht, die Freiheit der Apothekenwahl uneingeschränkt beim Patienten zu belassen. Jeder Einfluss des Arztes, und sei er noch so gering, muss ausgeschlossen werden. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Schon 2011 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die strengen Vorgaben zum Zuweisungsverbot ein wenig aufgelockert.

Trotzdem wird das E-Rezept den Apothekenmarkt umkrempeln. In Sekundenschnelle kann der Patient seine Rezeptdaten an jede beliebige Apotheke senden ­– auch an DocMorris & Co. Rezepte müssen dann nicht mehr umständlich in Briefumschläge gepackt, frankiert und in Briefkästen geworfen werden, von denen es gefühlt weniger gibt als Apotheken. Vor Jahren knüpfte Walter Oberhänsli, Chef von Zur Rose, den Durchbruch des Rx-Versandhandels an die Einführung des E-Rezepts. Jetzt ist er seinen Ziel einen Schritt ein gutes Stück näher gekommen. Selbst wenn es Gesundheitsminister Jens Spahn gelingen sollte, die Preisbindung für Rx-Arzneimittel wieder herzustellen, das E-Rezept wird dem Rx-Versandhandel neuen Schub verschaffen.

Ins Wanken gerät mit dem E-Rezept zudem eine traditionell von Apothekern dominierte Wirtschaftsbranche: die Rezeptabrechnung. Die Rechenzentren stehen vor einem gewaltigen Umbruch. Das komplette Handling der Papierrezepte fällt nach und nach weg­ und damit viele Arbeitsplätze in den Firmen. Nach Schätzungen aus der Branche stehen rund die Hälfte der Mitarbeiter zur Disposition, davon viele Teilzeitarbeitsplätze.

Mehr noch: Das bisherige mit dem Papierrezept verbundene Regionalprinzip des Geschäftsgebietes der Rechenzentren ist von einer Sekunde auf die andere obsolet. Platzhirsch VSA kann in Norddeutschland seinen Service anbieten, NARZ und alle anderen können in Bayern um Apothekenkunden werben. Anstelle der Reviergrenzen tritt Wildwest-Wettbewerb. Die Apotheken könnten sich womöglich über sinkende Gebühren freuen.

Umso härter und intensiver dürfte sich der Wettbewerb zwischen den Rechenzentren entwickeln. Der aktuell zu beobachtende Wettstreit um Apps und E-Rezept ist nur ein Vorgeplänkel: Andere Player könnten ein Auge auf den Rezeptabrechnungsmarkt werfen. Das E-Rezept wird zum digitalen Scheck. Das könnte auch Banken auf den Plan rufen.

Aber vor allem: Wem gehört der digitale Datenschatz, der sich zwangsläufig bei der E-Rezeptabwicklung irgendwo ansammelt. Heute müssen sich Firmen wie Iqvia oder Insight Health mühsam einen bundesweiten Überblick über Arzneimittelmarkt verschaffen. Lassen sich künftig E-Rezeptdaten und die Daten des Medikationsmanagements über die elektronische Patientenakte zusammenführen, eröffnet dies nicht nur für die Therapie, sondern für die Pharmakonzerne ganz neue Marketingperspektiven. Es wird die schwierige Aufgabe des Gesetzgebers sein, sinnvolles medizinisches Big Data von Profitinteressen abzugrenzen.

Und wo bleiben die Apotheken: Sie müssen sich anpassen, ob sie wollen oder nicht. Die Bequemlichkeit der Patienten diktiert das Marktgeschehen auch bei der Arzneimitteldistribution. Der Patient besucht spätabends seinen Teledoktor, schickt das Rezept oder seine Bestellung Sekunden später in die Apotheken und erwartet rasche Lieferung. Nicht die Beratungsqualität des Apotheker führt zur Kundenbindung. Wer am schnellsten und umkompliziertesten liefert, macht das Geschäft – die Amazonisierung des Apothekengeschäfts lässt sich wohl nicht aufhalten.

Vermutlich muss die heutige Vor-Ort-Apotheke richtig mobil werden, um an ihrem Standort zu überleben. Der Schritt bis zum Tele-Apotheker ist da nicht mehr fern. Möglicherweise muss der Apotheker auch seine pharmazeutische Beratung mit Laptop in der Hand an die Wohnungstür der Patienten verlagern. Das ist Zukunftsmusik und daher Fantasie. Niemand kann vorhersehen, in welche Richtung sich der Apothekenmarkt entwickelt. Aber das E-Rezept wird den Apothekenmarkt rocken.

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