„Die Lage ist prekär“

Klinikärzte: Am Limit

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Berlin -

Viele Patienten, lange Schichten, erschöpfte Ärzte: Aus Sicht des Marburger Bundes sind die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern alles andere als gut. Wie sieht der Alltag eines Klinikarztes aus?

In manchen Wochen kommt Johannes Wetzel noch nicht einmal mit der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden hin. Wenn man das Pensum in der Klinik erfüllen wolle, müsse man nach der Schicht oftmals länger bleiben, sagt der Mediziner, der seinen richtigen Namen und auch seinen Arbeitsplatz in Baden-Württemberg lieber nicht nennen möchte. Teils bauten Dienstpläne sogar schon auf Überstunden auf. „Die Situation ist über alle Berufsgruppen prekär, muss man sagen. Wir haben viele freie Stellen, die nicht nachbesetzt werden können. Das führt zu einer sehr angespannten Situation.“

Alarmsignale sendet auch der Marburger Bund. In einer neuen Umfrage für die Ärztegewerkschaft gaben fast 60 Prozent der Klinikärzte an, oft oder sogar ständig überlastet zu sein. Und ebenfalls 60 Prozent sagten, drei Stunden am Tag oder noch mehr mit Verwaltungsaufgaben zu tun zu haben. „Es ist schlichtweg ein Skandal, wie viel Arbeitskraft und Arbeitszeit mit Datenerfassung und Dokumentation vergeudet wird“, sagt Verbandschefin Susanne Johna. „Bürokratie gefährdet die Versorgung“, warnt auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Ziel müsse sein, den Aufwand dafür um die Hälfte herunterzubekommen.

Gleichzeitig sei der ökonomische Druck in Krankenhäusern sehr groß, erläutert Klinikarzt Wetzel, der auf fast 30 Jahre Berufserfahrung zurückblickt. „Das ist ja nichts Neues.“ Patienten blieben im Schnitt immer kürzer stationär in der Klinik, was insgesamt zu mehr Patienten führe. Und das wiederum verändere und verdichte die Arbeit der Ärzte. „Das ist über die letzten zehn Jahre stark zu beobachten gewesen.“

Viele Ärzte – gerade ältere – flüchteten sich auch in Teilzeit, um Belastungen zu reduzieren, berichtet Michael Beck, Sprecher des Marburger Bundes in Baden-Württemberg. „Und wir haben auch den Trend, dass viele Ärzte in fachfremde Berufe wechseln – zum Beispiel in Unternehmensberatungen.“ Das verknappe dann auch den Ärztebestand. Ein Medizinstudienplatz koste eine Menge Geld, sagt Beck. „Die öffentliche Hand müsste sich überlegen: Wollen wir es, dass Ärzte aufgrund der Belastung krank werden oder aus dem Beruf ausscheiden? Man könnte viel kompensieren, wenn man den Arztberuf durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen attraktiver macht.“

Die DKG drängt auch auf mehr Studienplätze. „Es kann nicht sein, dass weiterhin Jahr für Jahr tausende Bewerber an den medizinischen Fakultäten aufgrund zu geringer Kapazitäten abgelehnt werden, während der Ärztemangel immer spürbarer wird.“ Schon derzeit seien 3500 Arztstellen wegen Personalmangels unbesetzt.

Der Marburger Bund hat eine Kampagne ins Leben gerufen, die eine konsequente Kontrolle der Arbeitszeit fordert. Denn Fehler, die auf Übermüdung oder Überlastung von Ärzten zurückzuführen seien, könnten Patienten direkt betreffen und im Zweifel fatale Folgen haben.

In Wetzels Krankenhaus wird die Arbeitszeit zwar erfasst. Überstunden werden ausgeglichen oder ausbezahlt. Aber nicht jeder ist zufrieden damit: Viele Kollegen wollen, wie der Facharzt berichtet, eine geregelte Arbeitszeit – und nicht viele Wochen lang Überstunden zu ungünstigen Zeiten ansammeln, also nachts und an Wochenenden. „Sie wollen nicht mehr 48 Stunden arbeiten, aber sie müssen es, weil sonst die Dienste nicht adäquat besetzt werden können.“ Erfassungssysteme könnten auch ausgetrickst werden, sagt Beck. „Was mir oft begegnet: Dass Druck ausgeübt wird, dass die Leute ausstempeln.“

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