Entmachtung des G-BA

Spahn will Kassenleistungen selbst anordnen

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Berlin -

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will künftig selbst per Verordnung Leistungen der Krankenkassen für GKV-Versicherte anordnen. Das sieht ein Änderungsantrag zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vor. Als erste Maßnahmen will Spahn auf diesem Wege das Absaugen von Körperfett bezahlen. Josef Hecken, Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ist empört.

„Bis zu drei Millionen Frauen mit krankhaften Fettverteilungsstörungen leiden täglich darunter, dass die Krankenkassen ihre Therapie nach einem Gerichtsurteil nicht bezahlen“, sagte Spahn der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). „Ihnen wollen wir schnell und unbürokratisch helfen.“ Die Kassen weigern sich, diese „Liposuktion zur Behandlung des Lipödems“ zu bezahlen. Bei der von Patientengruppen stark beworbenen Methode sei „der Nutzen noch nicht hinreichend belegt“.

Das hatte die Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser und -kassen im Juli 2017 festgestellt. Der G-BA entscheidet bisher alleine darüber, welche Therapien erstattet werden. Die damals beschlossene eigene Untersuchung ist anderthalb Jahre später „noch in der Vorbereitung“, wie eine Sprecherin sagte. Bisher zahlen die Kassen nur konventionelle Methoden zur Behandlung der Fettablagerungen an Hüften und Oberschenkeln, die umgangssprachlich als „Reiterhosen“ verballhornt werden.

Spahn will nicht mehr länger auf die Selbstverwaltung warten. Mit einem Ergänzungsantrag will er sein Ministerium grundsätzlich ermächtigen, allein und ohne Zustimmung des Bundesrates darüber zu entscheiden, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die Kassen bezahlen müssen, schreibt die FAZ. Das Fettabsaugen gilt ihm nur als Beispiel. In dem Änderungsantrag heißt es, das Ministerium könne Methoden in die Versorgung aufnehmen, für die die Selbstverwaltung keine Regelung getroffen habe oder für die sie „die Anerkennung eines diagnostischen oder therapeutischen Nutzens bisher abgelehnt hat“.

Auch wenn es für neue Methoden kaum wissenschaftliche Belege gebe, komme eine Erstattung in Betracht, wenn es keine zumutbare Alternativbehandlung gebe. Das Ministerium werde in seine Abwägung die Expertise medizinischer Fachgesellschaften und Patientengruppen einbeziehen. Zur Vorbereitung soll es künftig eigene Daten erheben und Sachverständigengutachten in Auftrag geben können. Auch die Tatsache, dass es für eine neue Leistung im Abrechnungskatalog der Kassenärzte noch keine Ziffer gibt, bremst Spahn nicht: „Bis zum Inkrafttreten der Vergütungsregelungen der Selbstverwaltungspartner erfolgt die Abrechnung nach der (privatrechtlichen) Gebührenordnung der Ärzte.“

Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu bestimmen, die in der Versorgung zulasten der Krankenkassen zu erbringen sind, auch wenn deren Nutzen nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin noch nicht belegt ist, heißt es im Änderungsantrag. G-BA-Chef Hecken lehnt Spahns Vorhaben ab: „Der geplante neue § 94a SGB V kann nur als ‚Methodenbewertung super light‘ bezeichnet werden und ist ein Schritt zurück ins medizinische Mittelalter, denn er ersetzt in der Bundesrepublik Deutschland die mittlerweile sich weltweit sogar in Schwellenländern als Standard durchsetzende evidenzbasierte Medizin durch früher geltende Prinzipien der eminenzbasierten Medizin, die zu jahrhundertlangen Therapien mittels Aderlässen und anderen Anwendungen geführt haben.“

Alle geltenden Grundprinzipien der evidenzbasierten Medizin und des SGB V würden damit über Bord geworfen. Aus gutem Grund müssten GKV-Leistungen zweckmäßig sein. Hecken: „Diese Zweckmäßigkeit beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung und nach allen wissenschaftlichen Kriterien einen Wirksamkeitsnachweis, der zumindest ein positives Nutzen-Schadens-Verhältnis voraussetzt. Dies ist elementar zum Schutz der Patientinnen und Patienten vor unnützen oder gar schädlichen Behandlungsoptionen.“ Auf diesen Wirksamkeitsnachweis solle nunmehr ausdrücklich verzichtet werden, was Patienten direkt gefährden könne. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen der G-BA sich mit einer Methodenbewertung befasst habe und die Methode wegen eines fehlenden Wirksamkeitsnachweises nicht in die Regelversorgung aufgenommen oder sie sogar ausgeschlossen habe.

Darüber hinaus verstoße die geplante ‚Methodenbewertung super light‘ gegen das als Grundprinzip postulierte Wirtschaftlichkeitsgebot, durch das die Versichertengemeinschaft vor Überforderung durch den Ausschluss von nicht nützlichen Interventionen aus der Finanzierung durch die GKV geschützt werden solle. Diese Norm gewinne angesichts des rasanten medizinisch-technischen Fortschritts und der demographischen Veränderung, die erhebliche Ausgabensteigerungen erwarten lasse, zunehmend an Bedeutung. Sie werde durch den geplanten § 94a SGB V auf dem „Altar von Partikularinteressen einzelner Leistungserbringer oder Medizinproduktehersteller geopfert“.

Auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach lehnt Spahns Vorstoß ab: „Das Vorhaben von Gesundheitsminister Spahn, Behandlungsmethoden ohne medizinischen Nutzen, wie die Liposuktion, per Rechtsverordnung an der Selbstverwaltung vorbei von den Krankenkassen bezahlen zu lassen, ist abzulehnen. Es wäre die grundsätzliche Abkehr vom Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, dass die Selbstverwaltung nach evidenzbasierten Kriterien entscheidet, welche Leistungen erstattet werden. Es muss mehr wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit von Verfahren geben, nicht weniger. Wenn künftig die Politik nach Gusto bestimmen würde, was bezahlt wird und was nicht, würde das Vertrauen der Versicherten in den medizinischen Nutzen der Leistungen der GKV ausgehöhlt.”

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