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Kassenchefs auf Apothekentour

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Berlin -

War da was? Ach richtig, die Kassen hatten gegen die Apotheken gepoltert. Mal wieder. Ende September steht die Bundestagswahl an – alle vier Jahre kommt die Zeit der gesundheitspolitischen Maximalforderungen. Weil aber niemand mehr auf das Geflatter der Kassenchefs abfährt, telefonierten die sich zusammen und beschlossen, gemeinsam auf Apothekentour zu gehen. Sommerreise einmal anders.

Normalerweise ist die Sache einfach. Im Umfeld der Bundestagswahl machen die Kassen mit möglichst provokanten Thesen auf sich aufmerksam, gefeuert wird aus allen Rohren. Damit der künftige Gesundheitsminister gleich weiß, mit wem er es zu tun hat. Gut, von Versorgungsalltag und Unternehmertum haben die Verwaltungsfachangestellten keine Ahnung. Aber die Betonung liegt ja auch auf „Verwaltung“ und nicht auf „Fach“.

So gibt es im GKV-Palais einen Giftschrank, in dem gleich unter A Textbausteine für den Bereich Apotheke zu finden sind. Wichtigste Unterpunkte sind H wie Honorar, K wie Kette und V wie Versandhandel. Heraus kommen dann solche Passagen: „Die deutsche Apothekenlandschaft ist gegenwärtig eine weitgehend wettbewerbsfreie Zone.“ (2009) Und: „Die deutsche Apothekenlandschaft ist noch immer eine weitgehend wettbewerbsfreie Zone.“ (2013) Oder: „Weil markt- und wettbewerbswidrig, ist insbesondere das Mehr- und Fremdbesitzverbot bei Apotheken abzuschaffen.“ (2013) Und: „Eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ist aus Markt- und Wettbewerbsgründen geboten.“ (2017)

Schade nur, dass so gar niemand mehr auf die ewigen Nörgeleien der Kassen anspringen will. Die Union nahm das Rx-Versandverbot trotzdem in ihr Wahlprogramm auf, Gesundheitsminister Hermann Gröhe regiert mit ruhiger Hand. Das letzte Mal, dass jemand den Unkenrufen auf den Leim ging, war 2010, als das FDP-Duo Rösler und Bahr aus Angst vor Milliardendefizit zum AMNOG blies. Sollten die Kassenchefs wirklich so weltfremd sein, wie alle behaupteten?

So beschlossen Jens Baas (TK), Andreas Storm (DAK), Christoph Straub (Barmer) und Martin Litsch (AOK), die Sommerpause zu nutzen und gemeinsam auf Exkursion zu gehen. Eine Apothekentour sollte es werden, mit Gesprächen und möglichst vielen Blicken hinter die Kulissen. Was verdiente so ein Apotheker eigentlich wirklich? War es wirklich so schwer, eine Rezeptur herzustellen? Und wer oder was ist diese sogenannte PTA?

Johann-Magnus Freiherr von Stackelberg vom GKV-Spitzenverband musste auch mit. Der hatte – neben dem Maserati – noch einen Bully aus Studentenzeiten in der Garage. Und irgendwie, keiner wusste warum, saß Christopher Hermann von der AOK aus Stuttgart plötzlich auf der letzten Bank im Wagen.

Los ging‘s. Die Stimmung war gut, ein fröhliches Liedchen wurde angestimmt. Erste Station sollte die Burg-Apotheke in Osnabrück sein, doch hier hatte sich gerade das Biest aus GZSZ als PTA verkleidet. Hier entstand ein Schulungsvideo für Medice. Hermann wäre gerne geblieben und hätte den knochigen Kunden gespielt. Doch der Rest der Truppe entschied sich zur Weiterfahrt.

Nächster Halt: Flora-Apotheke in Herne. Aber was war das? Türe verschlossen, alle Schaufenster abgeklebt. Sollte doch was dran sein am Apothekensterben? Litsch entdeckte den Hinweis zuerst, dass hier ein Umzug stattgefunden hatte. 240 Meter sah es im Lokal schon lebendiger aus. Nur leider hatten weder Marlene noch Hans-Georg Kissel Zeit für die Kassentruppe: „Ein andermal gern, wir haben gerade geöffnet, die Kunden rennen uns die Bude ein“, entschuldigte sich die Tochter.

Um Bottrop machte das GKV-Mobil einen großen Bogen, mit dem Zyto-Skandal wollte man nicht in Verbindung gebracht werden. Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage erhoben, knapp 62.000 Rezepturen sollen nicht in Ordnung gewesen sein. Kollege Winfried Baumgärtner von der Mhplus hatte mitteilen lassen, dass die Gesetzeslage den Apothekern bei der Herstellung und Abgabe von Zytostatika „gefährliche Freiräume“ beschere. Dem war nichts hinzuzufügen.

Nach Sundern im Sauerland war es nicht weit, hier lebte die Blonde mit dem großen Hund, die in der zwangsgeschlossenen Apotheke ihres ehemaligen Chefs preiswert ein neues Zuhause gefunden hatte. Nun machte diese Jennifer Stock den Kassenchefs nicht den Eindruck, den sie eigentlich von diesen Pillendrehern hatten. Reich werden wolle sie nicht, sondern Mitarbeiter und Kunden glücklich und zufrieden machen. Na gut, bitteschön. Abfahrt!

In Köln kam den Kassenchefs Patrick Brodhuhn mit seinen Lobhudeleien auf den PTA-Beruf auch irgendwie schräg vor. Der schimpfte zwar über Inko- und Rabattverträge und über Retaxationen. Und auch über wenig Geld und fehlenden Nachwuchs. Die Vorteile seines Jobs wögen die Minuspunkte aber bei Weitem auf: „Der Beruf ist toll, ich würde mich jederzeit wieder dafür entscheiden.“ Nein danke, mit solchen Leuten kann man keine Liberalisierung anzetteln.

Und so ging es weiter. Mehrere Apotheken winkten ab: Betriebsprüfung im Haus, tausende ungeklärte Stornobuchungen. Im Intranet der Finanzämter gebe es eine Liste der Warenwirtschaftssysteme mit ihren jeweiligen Schwachpunkten, hieß es. Hier wurden die Kassenbosse hellhörig: Wäre das auch was für unsere Retaxstellen? Nein? Na dann.

In Frankfurt traf es sich, dass ein gewisser Professor Dingermann seine letzte Vorlesung hielt. Stackelberg verwechselte ihn erst mit Glaeske, aber Baas konnte ihn aufklären. Die Aussage, dass die Pharmazie vor großen Umbrüchen stehe, sorgte bei den Gästen für glänzenden Augen – bis sie merkten, dass der Prof und seine Studenten nur von der Approbationsordnung sprachen und nicht von Ketten. Schade. Weiterfahren.

In der Mainzer Stern-Apotheke traf die Reisegesellschaft auf Tina Beitz. Aber auch hier blieb den Kassenchefs nur ungläubiges Staunen: Die Apothekerin hatte zwei Apotheken aufgegeben, um sich auf die Apotheke ihrer Mutter konzentrieren zu können. Um wieder mehr mit Kunden kommunizieren zu können. Wie jetzt? Reichlich schräg. Dafür gibt es doch Geschäftsstellen. Lieber schnell weg hier.

Mit Patrick Kwik hätte man in Karlsruhe gerne gesprochen, immerhin soll bei ihm ja ein Klavier vor der Apotheke stehen. Aber irgendwie war die Congress Apotheke nicht zu finden. Mit riesigem Bauzaun war die Stelle weiträumig abgesperrt, an der eigentlich der Eingang zu finden sein sollte. Seht ihr: V-e-r-s-a-n-d wäre besser!

Im Schwarzwald stand ein Gespräch mit Christopher Schlieper an. Der 31-Jährige hatte sich entschieden, in Bonndorf eine Apotheke zu übernehmen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Für die 7000 Einwohner wäre der Versandhandel nun wirklich das „geeignete Mittel“ (Zitat: Positionspapier). „Ich bin ein Landapotheker“, antwortete Schlieper. „Jeder, der vorbeikommen will – wenn auch nur zum reden – der darf es gern.“ Na halleluja! Magnus, gib Gummi!

An der Tiergarten-Apotheke in Konstanz fuhr der VW-Bus ohne anzuhalten vorbei, den „Durchfall des Monats“ von Daniel Hölzle wollte nun wirklich niemand sehen. Und so ging es über München – in der Winthir-Apotheke schrieb Hermann Vogel jr. an seiner Klage gegen den Amazon-Kollegen Michael Spiegel – weiter nach Erlangen.

Und hier nun endlich stießen die Kassenchefs auf jemanden, der mit ihnen Tacheles redete. Bernd Nürmberger fand mit seinen 78 Jahren deutliche Worte – über Ulla Schmidt, die lästige Bürokratie und die eigene Standesvertretung. Für ihn sei Apotheker nach wie vor ein ansprechender Beruf, für viele junge Pharmazeuten aber nicht. Er finde jedenfalls keinen Nachfolger, was auch an der Konkurrenz aus dem Internet liege.

Na also, rieben sich die Kassenchefs die Hände: „Dann sind sie doch auch für Apothekenketten?!“ Dass der resolute Nichtrentner sie daraufhin vor die Tür setzte, störte die Kassenchefs nicht weiter. Zurück in Berlin, gab es ein Eis am Gendarmenmarkt. Schon war der hässliche Alltag im Land mit seinen Apotheken vergessen. Na dann, schönes Wochenende.

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