Apothekenschließung

Sammelstelle stemmt sich gegen Ärzteschwund

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Berlin -

Die einzige Apotheke im sächsischen Mücka hat dicht gemacht. Kollege Heiko Neumann aus Niesky springt mit einer Rezeptsammelstelle in die Bresche. Doch auch ihm macht der Ärzteschwund in der Oberlausitz langsam zu schaffen.

„Die Albert-Schweitzer-Apotheke gab es schon zu DDR-Zeiten“, erzählt Neumann. „Meine Kollegin Lucja Krzykowski hat sich lange um einen Nachfolger bemüht, leider vergebens.“ Der Inhaber der Zinzendorf-Apotheke im elf Kilometer entfernten Niesky bewarb sich um die Einrichtung einer Rezeptsammelstelle. „Die nächsten Apotheken sind weit entfernt. Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, ist nicht unmöglich, aber mit einem sehr großen zeitlichen Aufwand verbunden“, erläutert Neumann. „Darum gilt Mücka für die Landesapothekerkammer ab sofort als unterversorgtes Gebiet, für diesen speziellen Fall hat sie die Einrichtung einer Rezeptsammelstelle erlaubt.“

Im 1000-Einwohner-Ort hängt seit dem 7. März ein leuchtend roter Briefkasten an einem Zaun zum Nachbargrundstück des örtlichen Supermarkts. Hier können die Arztrezepte eingeworfen werden. Zweimal am Tag wird der Kasten geleert. Die Medikamentenlieferung erfolgt am Tag darauf, in dringenden Fällen gar noch am selben Tag. „Die bisherige Apothekerin hat mir nahe gelegt, ihre bisherige Botenfahrerin Marina Röhle einzustellen“, erzählt Neumann. „So konnte sie beinahe nahezu weiter beschäftigt werden, und die Patienten behielten ein vertrautes Gesicht.“

Vorerst sei die neue Rezeptsammelstelle noch ein Minusgeschäft. „Neben den zusätzlichen Personalkosten schlagen 9000 Euro für ein Kurierfahrzeug zu Buche. Die Kammer hat die Sammelstelle für drei Jahre genehmigt, in der Zeit werde ich sehen, ob die Bevölkerung sie annimmt.“ Die rund um die Uhr verfügbare Konkurrenz aus dem Internet könnte die Akzeptanz erschweren. „Viele Jüngere bestellen mittlerweile bei der Versandapotheke ihre Medikamente, das ist für sie bequemer, schneller und meist auch preisgünstiger“, räumt Neumann ein. Noch hoffe er gemeinsam mit seinen Kollegen auf das in der großen Koalition vereinbarte Rx-Versandverbot. „Aber wir müssen vor Ort präsent bleiben, sonst werden alle nur noch im Internet einkaufen.“

Um die Attraktivität des Angebots zu steigern, hält Neumann Bestellformulare für OTC-Medikamente oder andere Freiwahlartikel bereit. Auch eine Bestell-App ist zum Download verfügbar. „Das könnte vor allem Jüngere ansprechen. Andere finden es gut, wenn sie in Niesky noch einen Ansprechpartner haben, bei dem sie bei Bedarf persönlich vorbeigehen können. Wer weiß, ob in den Niederlanden wirklich nur pharmazeutische Mitarbeiter an der Hotline sitzen.“

Neumann bricht gerne eine Lanze für die Landapotheke. „Ich bin in Zittau geboren und hab in Halle studiert. Danach dachte ich zunächst, dass ich in die große weite Welt hinaus muss und machte mein Praktikum in Berlin“, erzählt Neumann. „Ich konnte mir lange nicht vorstellen, nach Niesky zu gehen und bin dann doch hier sesshaft geworden.“ Zunächst arbeitete er als Angestellter in der Zinzendorf-Apotheke, zum 1. Januar 2001 übernahm er sie ganz.

Das ländliche Leben habe viele Vorteile. „Ich bin in spätestens zehn Minuten zu Fuß oder mit dem Rad zu Hause. Auch in der Großstadt hätte ich abends um acht Uhr keine Lust mehr, das kulturelle Angebot zu nutzen, hier kümmere ich mich dann lieber um die Familie.“ Dem Apothekernachwuchs rät Neumann, das Leben auf dem Land einfach mal für drei Jahre auszutesten. „Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass Sie dann sagen: ‚Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich mich hier so wohl fühle.‘“

Doch Neumann räumt ein, dass die Bedingungen auch in seiner 10.000-Einwohner-Gemeinde andere seien als noch vor einigen Jahren. „Wir können leben, aber es wird nicht einfacher, weil Ärzte ihre Praxis schließen“, berichtet er. „Drei von ihnen haben in den letzten Jahren aufgehört, ein weiterer Allgemeinmediziner will seine Praxis zum Ende des ersten Quartals 2019 schließen.“ In den benachbarten Ortschaften der Oberlausitz sehe es nicht viel besser aus. „Ich kenne sieben Allgemeinmediziner, die bereits über 65 sind, sogar ein über 80-Jähriger praktiziert noch. Aber irgendwann wollen sie alle in Rente gehen, und die übrigen Praxen sind schon so voll, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen.“ Für viele sei das fatal. „Sie müssten bis zu 35 Kilometer nach Weißwasser, Bautzen oder Görlitz fahren“, so Neumann. „Aber was macht ein 75- oder 80-jähriger Patient, der nicht mehr so mobil ist?“

Die Folgen bekämen auch die Apotheken am Ort zu spüren. „Wir leben hier in erster Linie von Rezepten“, sagt Hofmann. „Ohne Verordnungen passiert hier nichts.“ Wegen des Praxissterbens musste Neumann bereits seine Rezeptsammelstellen in Horka und Nieder Seifersdorf aufgeben. Auch der Kollegin in Mücka sei der Ärzteschwund mit zum Verhängnis geworden.

Neumann lässt sich nicht unterkriegen. Für die Versorgung von Dauban hat er sich gerade mit der ebenfalls in Niesky ansässigen Linden-Apotheke zusammengetan. „Wir wechseln uns im halbjährlichen Rhythmus ab, ab September bin ich mit der Betreuung der Sammelstelle dran.“ Bei der Ärztesuche in Niesky helfe er aktiv mit. Interessenten könnten sich gerne bei ihm melden. „Ich stehe als Ansprechpartner in allen Belangen und bürokratischen Hürden bereit, das gilt sicher auch für viele meiner Kollegen in der Region.“

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