Lieferengpässe

„Früher hatten wir keine Bananen, heute haben wir kein Ibuprofen“

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Berlin -

Das Thema Lieferengpässe ist ein dickes Brett. Was lange nicht als echtes Problem wahrgenommen wurde, beschäftigt jetzt auch Politik und Medien – und die Branche sowieso. Während gestern im Bundestag über den Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums entschieden wurde, lud Pro Generika Experten zur Diskussion zum Thema „Versorgungssicherheit, Kostendruck und Globalisierung – steht Deutschland hinten an?“ Schnell war klar, die eine Lösung gegen Lieferengpässe gibt es nicht.

Simon Göller, globaler Generikaexperte bei McKinsey, hat täglich mit Lieferengpässen zu tun und stellt fest: „Lieferengpässe sind ein grundsätzliches globales Problem.“ Die Engpässe bei Valsartan und Ibuprofen betrafen alle Länder rund um den Globus. Auch der Kostendruck sei ein weltweites Problem. Es fehle jedoch an Transparenz: „Uns fehlen global gesehen die Informationen darüber, warum Lieferengpässe überhaupt stattfinden.“ Man wisse nur, dass etwas fehle, aber nicht warum. Zudem könnten in der Zulassung mehrere Hersteller dokumentiert sein, der Marktanteil der einzelnen Unternehmen könne daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Was man jedoch sehe, sei eine starke Konzentration auf Ebene der Wirkstoffhersteller. Würde eine stärkere Lokalisation der Produktion in Europa helfen? „Nein“, so Göller, denn auch wenn die Wege kürzer sind, kostet das Geld.

Beispiel Simvastatin: In Deutschland gibt es etwa 20 bis 25 Hersteller, aber weltweit nur zwei Wirkstoffhersteller. Der Wettbewerb hierzulande ist groß. Eine Lokalisierung geht daher aus Sicht von Göller nur mit einer stärkeren Diversifizierung der Marktanteile einher. Das kann Deutschland aber allein nicht wuppen, dafür ist es zu klein. Aber: „Kein Mensch hat Interesse an wirklichen Ausfällen, das will keiner.“

Wolfgang Späth, Vorstandsvorsitzender Pro Generika, stellt dazu fest: „Wir sind zumindest in einem Stadium angekommen, in dem man anerkennt, dass wir ein Problem haben.“ Dieses gehe auf schleichende Entwicklungen zurück, die zehn oder zwölf Jahre alt seien. Die Firmen hätten alles abgeschaltet, was man nicht unbedingt brauche, sprich die Herstellkosten optimiert. Die Wirkstoffherstellung mache einen wesentlichen Anteil aus: „Das Wirkstoffgeschäft ist ein Volumengeschäft. Je mehr Sie produzieren, desto wirtschaftlicher sind Sie.“ Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse man günstig sein. Die Folge sei eine Oligopolisierung der Wirkstoffe und Wirkstoffklassen.

Wie kommt also aus der Situation wieder raus? „Ich glaube, die Mehrfachvergabe ist ‚Eulen nach Athen‘, das kennen wir alles“, so Späth. Dadurch würde nur ein gewisser Teil des Problems gelöst. Der Wirkstoff sei gleich, nur der Veredlungsprozess von Wirkstoff zu Fertigarzneimittel sei anders. „Ganz großes Kino“ wäre aus Sicht von Späth, wenn man „in das Europathema reingeht“ und Wirkstoffquellen aus unterschiedlichen geopolitischen Zonen erschließe.

Das Problem? „Hilft das uns die nächsten ein, zwei, drei, vier Jahren? Definitiv nein. Weil die Investitionen vom Zeithorizont – wir denken in Dekaden – nicht möglich sind.“ Späth weiter: „Heute zu sagen, die Ware aus China oder Indien ist qualitativ schlecht, ist falsch. Ich bin davon überzeugt, in Indien und China gibt es die modernsten Arzneimittelwerke der Welt.“ Daher sollten andere Kriterien in die Ausschreibungen eingebracht werden.

Oliver Harks vom Kassendienstleister GWQ sieht sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Rabattverträge schuld an Lieferengpässen sind. Dem kann er nicht zustimmen: Auch Securpharm und nicht freigegebene Chargen aufgrund von Problemen mit Klebstoffen seien Gründe. Zudem sei eine europäische Wirkstoffproduktion nicht das Allheilmittel. Und man müsse differenzieren, welche Lieferengpässe man tolerieren könne und wo versorgungskritische Situation auftreten. Dies sei eher im Krankenhaus der Fall und nicht in der öffentlichen Apotheke. Er wies auch darauf

Preis vor Qualität? Thomas Müller, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG): „Wir kaufen nicht jeden Schrott aus China.“ Müller warnt vor „geographischer Diskriminierung“, auch weil dies zu Verunsicherung der Patienten führe. „Nicht nur in Deutschland ist der Qualitätsstandard hoch. Wir können nicht sagen, wir nehmen nur noch Ware aus Deutschland.“ Allerdings solle bei versorgungskritischen Wirkstoffen der Standort bei der Vergabe berücksichtigt werden.

Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, stellte klar, dass die Apotheke allzu oft der Blitzableiter sei. Seit Jahren seien Apotheken unterwegs, um „auszuputzen, was auszuputzen geht“ und aus dem Problem der Lieferengpäse das Beste zu machen. Kemmritz betreibt eine Apotheke im Ostteil der Hauptstadt. Ihre Kunden zeigen Galgenhumor: „Früher hatten wir keine Bananen, heute haben wir kein Ibuprofen.“

Das Gute in der Not sei, dass die Kunden jetzt wüssten, dass die Arzneimittel fehlten, aber dass der Apotheker nicht schuld daran sei. Lieferengpässe seien ein Problem, das die Politik angehen müsse. Ein Weg aus der Misere könnte es laut Kemmritz sein, die Apothekerkompetenzen zu stärken und die Heilberufler stärker in den Jour Fixe einzubinden. Außerdem sollte bei den Rabattverträgen nicht immer nur an Vertragsstrafe gedacht werden, sondern auch an Belohnungen.

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