Contergan-Skandal

Contergan: Opfer und Stiftung im Streit

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Aachen -

Viele Opfer des Contergan-Skandals sind wütend, weil sie dringend benötigte Hilfen für den Alltag nicht bezahlt bekommen. Mit einer Gesetzesänderung soll den Betroffenen unbürokratischer geholfen werden. Trotzdem gibt es Streit.

Viele Contergan-Opfer hatten gehofft, nicht mehr „betteln“ zu müssen um jede Hilfestellung, die ihnen das Leben leichter macht. Schließlich stellt der Bund der Conterganstiftung seit 2013 jährlich 30 Millionen Euro für die Opfer des größten Arzneimittel-Skandals der deutschen Nachkriegsgeschichte zur Verfügung. Doch längst hat sich Ernüchterung breitgemacht. In den kommenden Wochen steht eine Gesetzesänderung zur Conterganstiftung an. Das Ziel: Betroffene sollen Geld unbürokratisch in Pauschalen zur freien Verfügung erhalten. Trotzdem kochen jahrelange Konflikte zwischen Stiftung und Betroffenen hoch.

Christian Stürmer, der mit zwei Beinprothesen auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wollte einen zweiten Rollstuhl. Er lebt in einem Einfamilienhaus mit drei Etagen: „Meine Partnerin kann doch nicht immer meinen Rollstuhl in die dritte Etage schleppen.“ Die Conterganstiftung lehnte ab. Er kenne Hunderte solcher, wie er es nennt, „willkürlichen Entscheidungen“, sagt der Vorsitzende des Contergannetzwerks.

Tatsächlich seien von den zig Millionen Euro für „besondere Bedarfe“ der Contergan-Opfer nicht einmal zehn Prozent ausgezahlt, bestätigt die Stiftungsvorsitzende Marlene Rupprecht. Der Rest ging zurück an den Bund. „Das hat mit Willkür nichts zu tun. Ich halte mich ans Gesetz“, sagt sie. Das Gesetz sei zwar gut gemeint, aber nicht gut gewesen: Es habe nicht alle notwendigen Dinge abgedeckt und Betroffene zu Bittstellern gemacht.

Durch das Schlafmittel Contergan des Aachener Pharmaunternehmens Grünenthal kamen nach 1957 Tausende Kinder mit Missbildungen zur Welt. Viele werdende Müttern hatten Contergan eingenommen. Inzwischen sagen viele Opfer, dass sie wegen ihres Alters besonderen Bedarf an Hilfe haben. Die 1972 per Gesetz gegründete Stiftung zahlt gesetzliche Leistungen an 2700 Opfer des Medikamentenskandals aus. Das Bundesfamilienministerium hat die Rechtsaufsicht über die Stiftung und stellt über eine nachgeordnete Behörde das Personal.

Contergan-Opfer und die Conterganstiftung: schon historisch eine schwierige Beziehung. Mit der Stiftungsgründung gewannen die Betroffenen zwar gesetzliche Leistungen. Sie verloren aber automatisch sämtliche Klagemöglichkeiten gegen den Pharmahersteller Grünenthal. Nicht wenige sprechen heute noch von „Enteignung“.

Die anstehende Gesetzesänderung zur Conterganstiftung kommentiert Stürmer, einer von zwei gewählten Betroffenen im Stiftungsrat, wie folgt: „Da hat man uns ein Zückerchen hingeworfen, um hintenrum die Stiftungsstruktur zu verändern.“ Denn mit der unbürokratischeren Hilfe solle der Vorstand mehr Kompetenzen bekommen – zulasten der Betroffenen. Das gehe gegen den Ursprungsgedanken der Stiftung.

Die Betroffenen sollten ursprünglich in grundsätzlichen Fragen mitbestimmen können, wie Stürmer sagt. Mit der Mehrheit des Bundesfamilienministeriums im Stiftungsrat sei das aber schon lange kaum möglich. „Die können alles beschließen. Wir kommen mit unseren Anliegen nicht durch. Wir sind aussichtslos und ohne jede Chance“ – aus Stürmer spricht der Frust. Klagen könnten die Betroffenen nach der Neuregelung auch nicht mehr.

Die Betroffenenvertreter würden zu wehr- und hilflosen Alibi-Statisten degradiert, kommentiert auch sein Kollege im Stiftungsrat Andreas Meyer vom Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer.

„Stiftung ist nichts Demokratisches“ stellt dagegen die Vorsitzende Marlene Rupprecht fest. Der Stifter – in dem Fall der Bund – sage nun einmal, wo es lang gehe. In der jetzigen Form sei ein effektives Arbeiten aber unmöglich. „Eine nicht gute Satzung ist Ursache für Konflikte“, sieht die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete eine Notwendigkeit für Veränderungen.

In der CDU gibt es Überlegungen, die Stiftungsstruktur erst einmal nicht anzutasten und auf diese Weise den Betroffenen entgegenzukommen. Ziel der Gesetzesnovelle sei ja eigentlich gewesen, den Graben zwischen Stiftung und Betroffenen zuzuschütten, sagt der CDU-Berichterstatter im Familienausschuss, Maik Beermann: „Mir persönlich ist bewusst geworden, dass das so nicht funktioniert.“

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