Todesfälle in Köln

Glukose vs. Lidocain: Verwechslung ausgeschlossen?

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Berlin -

Gut vier Wochen sind die Todesfälle durch ein verunreinigtes Glukosegemisch in Köln her. Die Staatsanwaltschaft gab nun erste Ermittlungsergebnisse heraus: Zwei Mitarbeiter der Heilig-Geist-Apotheke stehen in Verdacht, für die verunreinigte Mischung verantwortlich zu sein. Derzeit wird nicht von Vorsatz, sondern von einem Versehen ausgegangen. In den sozialen Medien und unter Fachpersonal wird dies heiß diskutiert: Ist eine Verwechslung von Glukose und Lidocain so leicht möglich?

Apothekenmitarbeiter sind betroffen: „Das ist so furchtbar. Wenn einem das als PTA selbst passiert wäre. Wie soll man damit umgehen für den Tod von 2 Menschen verantwortlich zu sein?“, schreibt eine Facebook-Nutzerin. Für jede PTA ist die Vorstellung absoluter Horror. „Ich mag nicht in deren Haut stecken“, schreibt eine andere Benutzerin. Erst mit der neuen Apothekenbetriebsordnung wurde die Dokumentation solcher Abfüllungen vereinfacht. Birgt diese Erleichterung nun doch Gefahren in der Praxis? Den Ermittlungen zufolge deutet einiges daraufhin, dass ein Rest des Lokalanästhetikums in einen anderen Glukosebehälter gekippt wurde, da man ihn ebenfalls für Glukose gehalten hatte.

Für Pharmazeuten gibt die Verwechslung Anlass für Fragen: Glukose wird im Labor meist in größeren Gefäßen aufbewahrt. In der Praxis wird das feine, weiße Pulver häufig in Eimern mit fünf Kilogramm Inhalt geliefert. Lidocain hingegen wird eher in kleineren Mengen benötigt und daher auch in kleineren Gefäßen aufbewahrt. Laut Staatsanwaltschaft hat die Verpackung jedoch in Größe, Farbe und Herstellerbezeichnung dem Gefäß des Einfachzuckers geähnelt.

Möglich ist die Verwechslung dennoch, denn Glukose ist auch in kleineren Gebinden erhältlich. Allerdings wird Glukose für die Feststellung einer Schwangerschaftsdiabetes in der Regel zu 50 g abgefasst: Eine Bestellung von kleineren Mengen wäre – in Anbetracht der Preise – daher eher unwirtschaftlich: 250 g kosten etwa 7,50 Euro, 1 kg hingegen rund 15 Euro. Desweiteren wäre ein kleines Gefäß nach wenigen Abfüllungen bereits leer gewesen: Bei der Nachbestellung hätte die Verwechslung auffallen müssen.

Ebenso wäre möglich, dass die Substanzen in der Apotheke aus den ursprünglichen Verpackungen in Standgefäße umgefüllt wurden. Das würde ebenfalls die Ähnlichkeit der Gefäße und die Möglichkeit zur Verwechslung erklären. In einigen Apotheken ist es gängige Praxis, bestimmte Ausgangsstoffe nicht im Primärpackmittel aufzubewahren, sondern nach der Prüfung in Weithalsgläser zu überführen: Dies ist vor allem bei größeren Mengen oder Salbengrundlagen der Fall. Unter diesen Umständen ist es auch möglich, dass nicht bei der Abfüllung der Glukose das falsche Gefäß ausgewählt wurde, sondern bereits nach der Ausgangsstoffprüfung in das falsche Gefäß umgefüllt wurde. Doch auch dies hätte bei der Kennzeichnung eigentlich auffallen müssen.

Denn die ABDA empfiehlt die innerbetriebliche Kennzeichnung von Gefahrenstoffen mit einem bunten Punktesystem: Neben den vorgeschriebenen Kennzeichnungen wie Name, Piktogrammen, sowie Gefahren- und Sicherheitshinweisen werden die Gefäße demnach mit blauen, orangen, gelben oder roten Punkten gekennzeichnet, um die potentiellen Gefahren zu verdeutlichen. Bei der falschen Umfüllung oder bei der Auswahl des Gefäßes zur Abfüllung hätte dies auffallen müssen: Denn Glukose zählt nicht zu den Gefahrstoffen und trägt demnach auch keinen Signalpunkt. Lidocain hingegen wäre mit einem roten Punkt gekennzeichnet gewesen.

Ein weiterer Aspekt, der hinterfragt wird: Auch unter Laien sollte größtenteils bekannt sein, dass Glukose süß schmeckt. Da es sich bei Lidocain um ein Lokalanästhetikum handelt, hat dieses örtlich betäubende Eigenschaften: Die Patientin müsste also beim Verzehr die Betäubung des Mundraumes und einen eher bitteren Geschmack bemerkt haben.

Zudem müsse „einer halbwegs erfahrenen PTA auffallen, dass es zwischen Glukose und Lidocain auch einen optischen Unterschied gibt“, heißt es auf Facebook. Zwar sind beide Substanzen weiß, jedoch ist Glukose in seiner Beschaffenheit wesentlich feiner. Lidocainhydrochlorid hingegen ist eher kristallin.

In Bezug auf die Löslichkeit gibt es kaum Unterschiede: Lidocain und Glukose sind sehr leicht wasserlöslich. Unklar ist jedoch, ob sich derart große Mengen Lidocain in der vergleichsweise geringen Menge Wasser gelöst haben: Eine übersättigte Lösung hätte aufgrund der Auskristallisierung bei der Herstellung in der Praxis auffallen müssen.

Die Verwechslung der beiden Substanzen ist gravierend: Denn die letale Dosis von Lidocainhydrochlorid beträgt 317 mg/kg – zur Verdeutlichung ein Rechenbeispiel: Bei 60 kg Körpergewicht liegt die tödliche Dosis bei etwa 19 g. Da für den Test in der Praxis Portionen zu 50 g Glukose abgefüllt werden, wäre damit mehr als die doppelte Menge der tödlichen Dosis aufgenommen worden.

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