Anja Alchemilla in Erklärungsnöten

„Ich kann nichts dafür!“

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Berlin -

Anja Alchemilla trifft sich mit ihrer Freundin Claudia im Café. Sie hat gerade Mittagspause, und diese ist auch dringend nötig. Seit Ende vergangener Woche steckt die Apothekerin nämlich ständig in Erklärungsnöten – für Dinge, die sie gar nicht zu verantworten hat.

„Puuuh! Gerade noch rechtzeitig. Jetzt brauche ich erst mal einen Kaffee und irgendwas mit Schokolade. Gerne richtig groß und mit vielen Kalorien!“ Anja lässt sich neben ihrer Freundin in den Stuhl fallen und blickt sie müde an. „So schlimm?", fragt diese mitfühlend. „Schlimmer. Weißt du, ständig muss ich mich für Sachverhalte rechtfertigen, die nicht in meinem Einflussbereich liegen. Ich kann nichts dafür – nicht für Valsartan, nicht für HCT, nicht für Lyrica und schon gar nicht für die Grippeimpfstoffe!“

Claudia horcht auf: „Grippeimpfstoffe? Was ist denn mit denen? Ich hab nämlich ein Privatrezept dabei, das wollte ich dir eigentlich mitgeben. Das mit Valsartan habe ich mitbekommen, das war irgendwie verseucht, oder? Stand bei uns in der Zeitung. Ist der Impfstoff jetzt auch kontaminiert?“, will sie wissen. „Nein, ist er nicht. Aber wir bekommen keine Einzelimpfstoffe mehr. Das heißt, dass du dein Rezept wieder mitnehmen kannst. Wir haben nichts mehr, die Hauptapotheke hat nichts mehr und unsere Großhändler können auch nichts liefern.“ Claudia ist schockiert: „Aber das geht doch nicht! Die Saison hat doch gerade erst begonnen“, sagt sie. Die Unterhaltung entwickelt sich vom Kaffeeklatsch zur HV-Realität: „Siehst du – genau diese Gespräche führe ich schon seit Tagen. Die Ärzte haben die 10er-Packs für die Kassenpatienten alle schon bekommen. Frag am besten mal deinen Hausarzt. Vielleicht hat er irgendwo eine stille Reserve für die Privaten.“

Als die Bedienung kommt, bestellt Anja einen großen Milchkaffee und ein Stück Schokosahnetorte. „Aber das ist ja nicht alles“, sagt sie. „Bei Lyrica, einem Antiepileptikum, wurde vor kurzem der Festbetrag gesenkt. Jetzt müssen die Kunden je nach Menge und Stärke gut 100 Euro pro Packung zuzahlen.“ Claudia schaut sie mit großen Augen an: „Holla die Waldfee! 100 Euro? Ganz schön viel. Gibt es da keine Alternative, für die nichts zugezahlt werden muss?“ Anja erklärt: „Doch, da gibt es was. Aber unsere Patienten wollen eigentlich nicht wechseln, wenn sie mit ihrem Medikament bisher zufrieden und gut eingestellt waren. Und bei der Indikation verstehe ich das sogar!“

„Dass ihr da viel herumdiskutieren müsst, kann ich nachvollziehen. Aber auch hier könnt ihr nichts dafür.“ Der Kaffee und die Torte werden serviert. Anja nimmt eine Gabel voll Schokosahnetorte in den Mund und verdreht genießerisch die Augen. „Die Sache mit dem Blutdrucksenker hat dagegen zwei Seiten. Ich kann der ganzen Geschichte inzwischen schon fast etwas Positives abgewinnen.“ Claudia wundert sich: „Was war denn da schon wieder? Und warum hat etwas Negatives auch positive Folgen?“

„Weißt du, man hat herausgefunden, dass der Blutdrucksenker HCT dosisabhäbgig das Risiko erhöht, an einer bestimmten Art des Weißen Hautkrebses zu erkranken. Darüber haben wir unsere betroffenen Patienten informiert. Auch darüber, wie sie sich am besten vor der Sonne schützen können und auf welche Hautveränderungen sie achten müssen. Sie kommen jetzt zwar trotzdem, um sich beraten zu lassen – was Zeit kostet –, aber das ist ja tatsächlich unsere originäre Aufgabe. Nicht ständig irgendwelche Lieferengpässe zu erklären. Die Patienten sind da auch wirklich dankbar dafür, dass wir uns kümmern.“

Claudia trinkt einen Schluck Kaffee und ist froh, nicht selbst in der Apotheke zu arbeiten: „Das klingt zusammengenommen trotzdem nach sehr viel Diskussion, Anja – ich fühle wirklich mit euch. Aber das ist auch etwas, das die Versender aus dem Ausland sicherlich nicht leisten. Damit könnt ihr euch ein wenig absetzen und zeigen, was Qualität in der Beratung bedeutet.“ Die Freundinnen beenden ihre kleine Pause und brechen wieder auf. „Bleibt zu hoffen, dass das auch etwas zählt. Aber ich befürchte, dass Jens Spahn gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist.“ Claudia lacht: „Die Grippeimpfung hat er immerhin schon bekommen. Schade, dass er diesen Engpass nicht am eigenen Leib gespürt hat.“

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