Nachtdienstgedanken

Papier für den Quälgeist vom Fiskus

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Berlin -

Nachts, wenn ich einsam bin, die Wiederholungen im Fernsehen mich langweilen und dann dunkle Gedanken und Dämonen aus den Ecken kriechen, setzte ich mich gerne ins Nachtdienstzimmer und unterhalte mich mit meiner alten Fantaschale Max. Ihr wissenschaftlicher Scharfsinn analysiert die Dinge emotions- und schonungslos. „Was schaust du wieder so nachdenklich drein?“, fragte mich Max kürzlich, „ist dir wieder was über die Leber gelaufen? Dagegen gibt es doch sicher etwas in deinen vielen Schubladen“ „Dagegen hilft keine Medizin“, antwortete ich verzweifelt.

„Ach, du meinst sicher den Betriebsprüfer, der hier neulich kurz vorbeigeschaut hat“, konnte Max meine Gedanken lesen. Auf wundersame Weise hatte die Fantaschale von den Machenschaften des Steuerprüfers Wind bekommen. Ich erzählte Max, wie der Typ vom Finanzamt an einem der letzten Tage fröhlich in meine Offizin spazierte und alle meine Daten mit dem Gruß „Du wirst noch von mir hören“ abkassierte. „Das geht heute ganz einfach“, erzählte ich Max, „der Computer ist unbestechlich. Dort sind alle meine Geheimnisse irgendwo in den Niederungen von Null-Eins-Datensätzen verborgen.“ Ich überreichte dem Fiskusmann feierlich die vorbereitete CD und schickte mehrere Stoßgebete gen Himmel.

„Das macht mir Angst“, schüttelte sich Max, „dein ganzes Apothekerleben steckt in diesem grauen Kasten? Du hast keine Privatsphäre mehr – weder als Pharmazeutin noch als Kauffrau. Und der Mann vom Fiskus kann hinter jede Ecke schauen? Das ist übermenschlich. Und ich dachte immer, es geht beim Datenschutz nur um den gläsernen Patienten. In Wirklichkeit bis du die fiskal-durchleuchtete Apothekerin. Röntgenstrahlen sind nichts dagegen.“

„Das nennt man digitalen Fortschritt“, erzählte ich Max. Früher war das ganz anders. Da musste sich der Betriebsprüfer tagelang mühsam durch unzählige Papierbelege wühlen. „Das war nicht so übersichtlich und außerdem konnte man bei einer Tasse Kaffee die Dinge mal von Mensch zu Mensch besprechen“, erzählte ich Max. „Ich erinnere mich“, pflichtete Max mir bei. „Dann warst du immer besonders nett, hast dein Sonntagslächeln aufgesetzt, die beste Kaffeesorte gekauft und darauf geachtet, dass mein Zimmer hier gut gelüftet war. So macht man sich Freunde, versucht die Prüfer gnädig zu stimmen.“

„Alles Historie. Heute drückt der Beamte einfach die CD in seinen Computer und klick – hat er alle Problemfälle auf dem Schirm. Da gibt es kein Entrinnen mehr – Kaffee hin oder her. 20.000 Positionen hat er mir unter die Nase gehalten, da bin ich ihm jetzt plausible Antworten schuldig. Du kannst mir helfen.“

„Ich kann nicht lesen“, grummelte die Fantaschale, „hab doch keine Augen – nur denken kann ich messerscharf. Und der Fortschritt ist auch nicht mehr das, was er einmal war“, versuchte mich Max zu beruhigen. „Früher hat man gedacht, der verbessert die Welt, erleichtert das Leben, nimmt einem die schwere Arbeit ab und alle liegen eines Tages im Paradies und lassen sich die Früchte in den Mund wachsen.“

„Von wegen, schau dich doch um, statt der vor Jahrzehnten vorhergesagten papierlosen Büros stapeln sich hier die Aktenordner deckenhoch und für den Quälgeist vom Fiskus muss ich sowieso alle Papierbelege aufbewahren. Pah, so richtig glaubt der dem Computer am Ende auch nicht.“

Dann kamen mir noch dunklere Gedanken: „Denk nur mal daran, wenn demnächst das elektronische Rezept eingeführt wird. Das ist nicht aufzuhalten. Dann düst die Verordnung in Sekundenschnelle vom Arzt wer weiß wohin.“ „Aber in deine Apotheke müssen die Patienten dann schon noch kommen, oder nicht?“, fragte mich Max besorgt, „immerhin liegen hier die Arzneimittel.“ „Noch. Wer weiß, vielleicht kommen die Rezepte auch in den Computern von DocMorris wieder zum Vorschein – oder am Ende direkt beim Großhandel, der packt kleine Päckchen und fertig ist.“

„Der Fortschritt ist wirklich eine heikle Sache“, pflichtete mir die Fantaschale bei. „Du rührst mich auch nicht mehr so häufig an wie früher. Die meisten Salben kommen jetzt aus der Tube. Mir ist schon ganz langweilig. Aber anderseits: Jetzt strapazierst du mich nicht mehr so. Ich sehe immer noch frisch und jugendlich aus. Alles hat zwei Seiten.“ „Nur der Finanzprüfer nicht. Der kennt nur seine Zahlen. Schwarz auf weiß, Minus und Plus. Künstliche Intelligenz soll es ja bald geben. Von kreativer Intelligenz hat der Fortschritt leider noch nichts gehört.“

„Und was machst du jetzt?“, löcherte mich Max. „Ich pfeife auf den Fortschritt und suche meine Belege zusammen. Wenn ich schon der Zukunft nicht entkommen kann, dann wenigstens dem Fiskus. Bis dahin.“ „Schlaf gut, bis nächsten Sonntag.“

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