Unwort des Jahres 2016

Doppeldefektbeleg: Wenn aus Engpass Retax wird

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Berlin -

Es gibt zwei Dinge, die Apotheken im Alltag besonders nerven: Lieferdefekte und Retaxationen. Besonders ärgerlich ist es, wenn beides zusammenkommt, weil der Ausfall eines Rabattpartners aus Sicht der Kasse nicht ordnungsgemäß belegt wurde. Wenn der Hersteller seinen Engpass nicht selbst bestätigt, verlangt die AOK Rheinland/Hamburg Belege von zwei verschiedenen Großhändlern. Der „Doppeldefektbeleg“ hat es damit bei den Leserinnen und Lesern von APOTHEKE ADHOC zum Unwort des Jahres 2016 geschafft. An der Umfrage nahmen 488 Nutzer teil.

Bei der Abstimmung votierten 21 Prozent für den „Doppeldefektbeleg“, der damit mit weitem Abstand auf Platz 1 der Liste liegt. Die AOK Rheinland/Hamburg hat sich mit ihren „Schattenretaxationen“ gleich noch den dritten Platz mit gesichert. Diese wurden ausgesprochen, als die Kasse den Apothekern ihre neuen Vorgaben für die Defektbelege mitgeteilt hatte. Die Schattenretaxationen wurden nicht abgesetzt, sollten die Apotheker aber warnen. 10 Prozent sehen darin das Unwort des Jahres.

Mit 11 Prozent der Stimmen knapp davor liegt ein Begriff, der es vermutlich jedes Jahr auf einen der vorderen Plätze bringen könnte: „Apothekenpreise“. Die vermeintlich zu hohen Preise in der Offizin werden immer dann öffentlich angeprangert, wenn im TV Apotheken getestet werden. In diesem Jahr wurde der Begriff vor allem im Zusammenhang mit dem EuGH-Urteil zu Rx-Boni bemüht, in dem Sinne, dass es nun endlich ein Ende mit den „Apothekenpreisen“ habe.

Im Zusammenhang mit dem EuGH-Urteil zu Rx-Boni hat ein weiterer Begriff die Apotheker aufgebracht: „Warenverkehrsfreiheit“. Der Generalanwalt und später die Luxemburger Richter stellten diese aus ihrer Sicht über den vom Gesetzgeber vorgesehenen Zweck der Preisbindung, nämlich den Schutz der Gesundheit und die flächendeckende Arzneimittelversorgung. „Warenverkehrsfreiheit“ teilt sich damit mit 10 Prozent der Stimmen den dritten Platz mit der „Schattenretaxation“.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will den Rx-Versandhandel verbieten. SPD-Gesundheitsexperte Professor Dr. Karl Lauterbach hält das für eine schlechte Idee. Er will die Apotheker über eine Honorarreform gegenüber ausländischen Versandapotheken stärken. Wer eine Beratungskabine anbietet, soll mehr Geld erhalten. Der Begriff rückte erst später nach. Trotzdem hat es Lauterbachs „Kabinenhonorar“ mit 8 Prozent auf einen achtbaren fünften Platz geschafft.

Männergrippe, (7 Prozent)
Dass viele Männer nicht die besten Patienten sind, ist eine Volksweisheit. In diesem Jahr musste das „starke Geschlecht“ aber besonders viel Hohn und Spott über sich ergehen lassen.

Karabinerhaken (6 Prozent)
Die Reaktion der ABDA auf das EuGH-Urteil zu Rx-Boni ließ viele Apotheker etwas ratlos zurück. Die Anzeigenkampagne mit dem Motiv des Karabinerhakens und dem Aufruf „Sichern.“ konnte nicht überzeugen.

Plausibilitätsprüfung (5 Prozent)
Die Rezeptur ist noch aufwändiger geworden, seitdem jede Verordnung auf Plausibilität geprüft und alles dokumentiert werden muss. Eine Apotheke musste sogar vor Gericht durchsetzen, dass die Kundin nicht auch noch mitreden darf.

Retax-Deal (4 Prozent)
Nach jahrelangem Streit haben sich Apotheker und Kassen auf neue Regeln für Retaxationen geeinigt. Zwar werden mit dem Retax-Deal vollkommen absurde Form-Retaxationen abgeschafft, eine nachträgliche Heilung ist aber weiterhin nur eingeschränkt möglich.

Notdienstverweigerer (3 Prozent)
Ein großer Aufreger um ein paar Minuten. Hatte die Apotheke noch Notdienst oder war schon der Kollege dran?

Notifizierungsverfahren (3 Prozent)
Selbst wenn sich der Gesetzgeber als Reaktion auf das EuGH-Urteil zu einem Rx-Versandverbot durchringt, wird dieses von der EU erneut ausgebremst. Das Gesetz muss in Brüssel notifiziert werden.

Kapselrezepturtest (3 Prozent)
Rezepturtests sind selten vergnügenssteuerpflichtig. In Brandenburg testete das Amt in diesem Jahr erstmals die Herstellung von Kapseln. Eine Apothekerin kam lieber sonntags, um das Ganze in Ruhe machen zu können. Hat sich gelohnt: Bestanden – mit kleinem Schönheitsfehler!

Phyto-Generikum (2 Prozent)
Tebonin, Umckaloabo, Sinupret: Etablierte Phyto-Marken bekommen es mit Konkurrenz seitens der Generikahersteller zu tun. Die meisten Apotheker sehen die Nachahmer skeptisch.

Zyto-Müll (2 Prozent)
2016 stand auch die Versorgung mit Zytostatika im öffentlichen Interesse. Zunächst schaltete das Bundessozialgericht (BSG) exklusive Rabattverträge scharf, die jetzt von der Bundesregierung wieder verboten werden sollen. Und Skandale um „Zyto-Müll“ gab es auch.

aktivistische Investoren (1 Prozent)
Für Stada war es ein besonders turbulentes Jahr. Verkaufsgerüchte, Retzlaffs Abgang und ein aktivistischer Investor, der für eine turbulente Hauptversammlung sorgte.

Großhandelsrazzia (1 Prozent)
Vielen Apotheken kommen die Großhandelskonditionen sehr ähnlich vor. Den Wettbewerbshütern auch. Alle paar Jahre wieder stattet das Bundeskartellamt den Großhändlern einen Besuch ab. Ausgang ungewiss.

Jubiläums-Bevorratung (1 Prozent)
Der Hersteller Frei Öl überraschte die Apotheken mit einer Lieferung der goldenen Jubiläumspackung. Über Geschmack lässt sich streiten. Definitiv nicht gelungen war, dass der Hinweis auf die Folgebestellung eines Displays und Ware nur im Kleingedruckten stand.

Up-Coding (1 Prozent)
Die Kassen sind bei der Mitgliederwerbung nicht zimperlich. Doch auch der Bestand an Versicherten lässt sich „tunen“, um möglichst viel Geld aus dem Gesundheitsfonds zu bekommen.

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