Kommentar

Retzlaffs Rache

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Berlin -

Wie konnte das passieren? Da kommt jemand und bietet für die Stada deutlich mehr als das Doppelte dessen, was sie noch vor einem Jahr wert war. Vorstand und Aufsichtsrat empfehlen die Annahme, doch die Aktionäre folgen nicht. Der Deal platzt – auch weil alle Beteiligten das Vermächtnis von Hartmut Retzlaff unterschätzt haben.

Retzlaff war seit 1993 Vorstandschef der Stada; der ehemalige Pharmareferent hatte aus dem einstigen „Hasenstall“ einen internationalen Konzern geschmiedet. An ihm führte zwei Jahrzehnte lang kein Weg vorbei. Retzlaff war „Mr. Stada“: unerreicht und unersetzbar. Und lange war er auch der Grund, dass die Stada eigenständig blieb.

Doch vor einem Jahr bliesen die Investoren zum Angriff – auf die Stada und auf das „System Retzlaff“. Zuerst sollte der Aufsichtsrat davon gefegt und durch Profis ersetzt werden. Dann sollten alle Versäumnisse der Vergangenheit aufgearbeitet werden. Für den Konzernchef, der in der börsennotierten Aktiengesellschaft lange als Patriarch geherrscht hatte, wurde die Luft dünn. Schon bald zeichnete sich ab, dass er um eine Schlammschlacht nicht herum kommen würde.

So wurde Retzlaff vom Hof gejagt und nach ihm gingen viele seiner Vertrauten. Dr. Matthias Wiedenfels übernahm kommissarisch die Leitung. Der Jurist war erst wenige Jahre zuvor von der Kanzlei Ashurst zu Stada gekommen und für den Bereich Zentrale Dienste verantwortlich. Wenn also jemand das System Retzlaff kannte und deckte, dann Wiedenfels. Dennoch konnte er die Investoren überzeugen, ihm die Leitung auch auf Dauer anzuvertrauen. Ähnlich erging es Carl Ferdinand Oetker, den es beim Hauptversammlungsmarathon 2016 vom Stellvertreter- auf den Chefposten des Aufsichtsrats spülte. Gemeinsam gelobten sie Besserung und versprachen Veränderung.

Rückblickend können die Beteuerungen, es gebe keinen Verkaufsauftrag, als erste Anläufe zum Poker um einen möglichst hohen Preis gedeutet werden. Schon im Dezember berichteten Medien, Stada prüfe mit der US-Investmentbank Goldman Sachs mehrere „strategischen Optionen“. Nur wenige Monate später empfahl das Duo die Annahme der Offerte der Finanzinvestoren Bain und Cinven.

Dass der Deal trotz Nachbesserung scheiterte, ist nicht nur Indexfonds und Spekulanten geschuldet. Mit 27 Prozent hielten Privatanleger bis zuletzt einen relativ hohen Anteil, unter ihnen viele traditionsbewusste Ärzte und Apotheker. Die an sie gerichtete Kampagne scheiterte, nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen hätten ihre Aktien angedient, hieß es in Bankkreisen.

Und so geschah etwas, womit wohl niemand gerechnet hatte: Der Deal platzte. Dem hohen Verkaufspreis und allen (temporären) Zugeständnissen zum Trotz entschieden sich nur knapp zwei Drittel der Aktionäre für das Angebot. Das war nicht zu erwarten gewesen, immerhin galt die Stada wegen ihres hohen Streubesitzes schon seit Jahren als Übernahmekandidat. Retzlaff hatte stets den Einstieg eines Großaktionärs zu verhindern gewusst und die Eigenständigkeit der Stada als Wert hochgehalten. Dass der Geist seines Vorgängers noch immer herrscht, macht die Niederlage für Wiedenfels umso bitterer. Immerhin hatte er zuletzt ganz persönlich für die Übernahme geworben. Es wird nicht der letzte Sturm auf den einzigen unabhängigen deutschen Generikakonzern gewesen sein. Nach der ersten Runde weiß aber auch die Finanzbranche: Die Stada ist – Retzlaff lässt grüßen – eine harte Nuss.

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