Prozess in Karlsruhe

Organspender streitet um Schmerzensgeld

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Berlin -

Ralf Zietz hat seiner Frau eine Niere gespendet. Unter den Folgen leidet er bis heute. Er macht die Ärzte verantwortlich, sie hätten ihm Risiken verschwiegen. Heute beginnt die Verhandlung zu seinem Fall beim Bundesgerichtshof (BGH).

Über das genaue Datum muss Zietz keinen Moment nachdenken. Der Tag, der sein Leben verändert hat, ist der 19. August 2010. An diesem Tag spendet er seiner Frau Marlies seine rechte Niere. Wegen einer Autoimmunkrankheit ist sie damals von der Dialyse abhängig. Ein Organ über die Warteliste ist nicht in Sicht. Mit der Transplantation soll alles werden wie früher: „Ich wollte meine Frau wiederhaben und unser Leben“, erinnert sich der heute 54-Jährige. „Und es wurde einem auch suggeriert, dass das funktioniert.“

Gut acht Jahre später steht sein Fall heute zur Verhandlung beim BGH an. Zusammen mit einer zweiten Nierenspenderin hat er die Uniklinik Essen und die für die Transplantation verantwortlichen Mediziner auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagt. Denn Zietz hat zwar seiner Frau einige bessere Jahre geschenkt. Aber der Preis dafür war nach seinen Worten hoch: „Mein Leben hat sich im Prinzip halbiert.“

Vor dem Eingriff leitet der Unternehmer aus dem niedersächsischen Thedinghausen bei Bremen zwei Firmen mit Dutzenden Mitarbeitern, in der Familie mit vier Kindern in Ausbildung ist er der Ernährer. Danach will er genauso weitermachen und merkt schnell: Etwas stimmt nicht. „Zuerst fühlte es sich an wie die üblichen OP-Folgen. Aber es wurde einfach nicht weniger, es wurde im Laufe der Zeit mehr.“

Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) muss eine Lebendspende „sorgfältig überdacht werden, da es sich um einen chirurgischen Eingriff an einem gesunden Menschen ausschließlich zum Wohle eines anderen handelt“. Das Gesetz erlaubt die Lebendspende nur unter engen Verwandten und einander sehr nahestehenden Menschen -wenn der Spender „voraussichtlich nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittelbaren Folgen der Entnahme hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt wird“. Erste Wahl soll grundsätzlich immer ein Spenderorgan eines Toten sein.

Aber die postmortalen Organspenden sind 2017 auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren eingebrochen. Lebendspenden – in den allermeisten Fällen einer Niere oder eines Teils der Leber – sind für die Wartenden und ihre Angehörigen eine Chance, ihre Bedeutung hat deutlich zugenommen. 2017 waren 557 von 1921 transplantierten Nieren Lebendspenden, das sind 29 Prozent. Spender und Empfänger durchlaufen einen genau geregelten Auswahlprozess mit Prüfungen und Gesprächen.

Auch Ralf und Marlies Zietz durchlaufen 2010 diesen Prozess. Seine Frau habe Angst um ihn gehabt, sagt er. Aber die Ärzte hätten sie gewarnt, ohne die Spende verkürze sich ihre Lebenserwartung deutlich. „Mir wurde gesagt, es gibt die üblichen Operationsrisiken, wie bei jedem Eingriff, und es gibt natürlich eine gewisse Rekonvaleszenz – aber nach sechs bis acht Wochen ist man wieder der Alte.“

Aber Zietz ist nicht der Alte. Er leidet an chronischer Erschöpfung, ist vergesslich geworden. Wenn er seinen Tag schildert, klingt das so: Nach dem Aufstehen ist der Akku kaum aufgefüllt, morgens ein paar gute Stunden, mittags legt er sich mit Kopfschmerzen hin, nachmittags schaut er manchmal nur aus dem Fenster. Zietz ist überzeugt: „Das kommt durch die niedrige Nierenfunktion.“ Abends, wenn es ihm besser geht, engagiert er sich für den Selbsthilfeverein, den er inzwischen gegründet hat, die Interessengemeinschaft Nierenlebendspende (IGN). Die Verantwortung in seinen Firmen hat er weitgehend abgegeben.

Dass Zietz heute nach formalen Kriterien nierenkrank ist, ist diagnostiziert. Dass davon die Erschöpfung kommt, lässt sich nicht beweisen, obwohl es auch andere Nierenspender mit solchen Beschwerden gibt. Zietz fühlt sich von seinen Ärzten betrogen, sie hätten ihm wider besseres Wissen Risiken des Eingriffs verschwiegen. Er sagt: Hätte ihm damals jemand gesagt, dass er mit solchen Einschränkungen rechnen muss, hätte er nicht gespendet. „Definitiv nein.“

Im Prozess hat ihm das bisher nicht geholfen. Das Oberlandesgericht Hamm hat zuletzt zwar festgestellt, dass es Mängel gab: Beim Vorgespräch im Klinikum war wohl kein neutraler Arzt dabei. Die inhaltliche Aufklärung sei „zum Teil unzureichend“ gewesen. Die Richter schätzten Zietz aber so ein, dass er seiner Frau auch in Kenntnis sämtlicher Risiken auf jeden Fall die Niere gespendet hätte – zu groß sei ihr Leid gewesen, zu groß seine Hilfsbereitschaft. Juristisch nennt sich das „hypothetische Einwilligung“.

Ein Totschlagargument, findet Zietz, daraus könne man letztlich jedem Organspender einen Strick drehen, der um einen geliebten Menschen bangt – und die Ärzte kämen immer ungeschoren davon. Er hofft auf ein Grundsatzurteil des BGH. Die 100.000 Euro Schmerzensgeld, auf die er geklagt hat, seien für ihn zweitrangig. „Das würde nicht im Entferntesten wettmachen, was ich an Lebensqualität verloren habe.“ Die Uniklinik will sich im laufenden Verfahren nicht zu Zietz' Vorwürfen und den heutigen Abläufen äußern. Im Prozess wurde vorgetragen, es habe bei der Risikoaufklärung keine Defizite gegeben.

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