Im Fall Bottrop

Pfusch-Apotheke: Opfer melden sich zu Wort

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Berlin -

Mehr als 4000 Patienten sollen manipulierte Medikamente aus der Alten Apotheke in Bottrop erhalten haben. 51 Betroffene sind an dem Prozess gegen Apotheker Peter S. als Nebenkläger beteiligt – angehört werden sie aber wahrscheinlich nicht. Ein Opfer und eine Angehörige erzählten dem „Spiegel“ jetzt ihre Geschichte.

Mario Freitag starb 2012 im Alter von 49 Jahren an Darmkrebs. Er hatte während der Chemotherapie Medikamente aus der Alten Apotheke erhalten. „Ich stehe vor dem Grab meines Mannes und frage mich, ob er heute noch leben könnte“, sagt seine Frau Andrea Freitag dem Magazin. Sie hätten sich damals gewundert, dass bei der Chemotherapie die typischen Nebenwirkungen ausblieben, aber einfach vermutetet, dass ihr Mann die Behandlung gut vertrage. Jetzt will Freitag Genugtuung. Peter S. habe ihr Leben zerstört, sagt sie. „Er wird uns nicht davonkommen. Wir werden ihn kriegen.“

Eine Operation und vier Chemotherapien hat die Brustkrebspatientin Renate Okrent hinter sich. Einige ihrer Medikamente gehören zu den 49 Substanzen, die S. gepanscht haben soll. Die Stadt Bottrop hat eine Liste mit den betroffenen Medikamenten veröffentlicht. Seit Okrent die Liste gesehen habe, nage die Ungewissheit an ihr. „War die Chemo völlig wirkungslos, ist der Krebs deshalb nicht verschwunden, wäre ich sonst vielleicht gesund?“ Das Verhalten von S. macht sie fassungslos: „Wie kann ein Mann so zynisch mit Menschenleben spielen?“

Jeden zweiten Mittwoch im Monat demonstrieren die beiden Frauen mit anderen Betroffenen in der Bottroper Innenstadt. Auf einer Tafel sind Namen, Bilder und Todesdatum von Verstorben angebracht, die Kunden der Alten Apotheke waren. „Uns war es wichtig, aus der Anonymität herauszukommen und den Toten ein Gesicht zu geben“, so Freitag gegenüber dem Spiegel. Im Schweigemarsch tragen die Protestierenden eine 15 Meter lange Papierrolle durch die Bottroper Innenstadt. Darauf stehen die Namen von 3800 Menschen, die laut Ermittlungen von S. Panscherei betroffen sein sollen.

Die Frauen berichten von einer Begegnung mit dem Vater von S.: Vor einigen Monaten habe er während einer Andacht in den letzten Reihen der St. Cyriakus Kirche gesessen. Sie hätten ihm angeboten, sich nach vorne zu setzen, was er schweigend getan hätte. Nach dem Gebet habe er sich beim Verlassen der Kirche per Handschlag bei den Frauen für die Taten seines Sohnes entschuldigt. Vor Gericht hatte er die Aussage verweigert.

Der Prozess vor dem Landgericht Essen konzentriert sich nicht auf die Schicksale der Betroffenen, sondern in erster Linie darauf, welchen Schaden S. den Krankenkassen durch seine Panschereien verursacht haben soll. Der Nebenklage-Anwalt Khubaib-Ali Mohammed warf der Staatsanwaltschaft vor eine „unheimlich schlechte Anklageschrift“ ausgearbeitet zu haben, der Staatsanwalt sei „nicht fähig gewesen, am richtigen Gericht anzuklagen“.

Mohammed hatte gefordert, betroffene Patienten und Nebenkläger als Zeugen im Prozess zu hören. Der Staatsanwalt lehnt die Vernehmung ab, effektive Strafverfolgung habe Priorität. „Wenn man dem Antrag der Nebenklage konsequent folgen würde, müsste man Tausende von Menschen hier hören“, sagte er laut Correctiv. Kürzlich forderte der Vorsitzende Richter Johannes Hidding die Parteien auf, sich auf die Schlusserklärungen vorzubereiten, da die Beweisaufnahme vermutlich abgeschlossen sei. Das lässt darauf schließen, dass weder Nebenkläger noch Ärzte als Zeugen aussagen werden.

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