Notdienstgedanken

Können Sie das überhaupt? – Nein, ich bin nur Deko.

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Berlin -

Die Fachkompetenz eines Menschen sieht man ihm nicht unbedingt an. Sicher kann Körpersprache viel ausmachen, aber wenn der Kunde von vornherein ausschließt, dass der Gegenüber am HV etwas nicht kann, wird es ernst. Letztendlich ist er der Laie – und nicht ich.

Wer denkt:, „Ich habe in der Apotheke schon so viel erlebt, Fall XY lässt sich nicht mehr toppen“, der irrt sich gewaltig. Klar, es sind immer wieder die gleichen Krankheitsbilder und Arzneimittel: Im Winter sind es die Erkältungsmittel, die wie geschnitten Brot gehen, im Sommer sind es die Sonnenschutzmittel. Doch die Kunden bringen täglich nicht nur ihre Beschwerden mit, sondern öffnen sich uns Mitarbeitern mit ihrer ganzen Persönlichkeit.

Im Beratungsgespräch kristallisiert sich oft heraus, wie der Mensch ist, wer geduldig und verständnisvoll ist und wer Angst vor seiner Frau hat. Wenn man von sich aus freundlich sagt, dass es etwas langsamer vorangeht, weil man noch lernt oder dass es der erste Arbeitstag in der neuen Apotheke ist, gehen die meistens Kunden gelassen damit um – so meine Erfahrung. „Kein Stress, sie müssen es ja auch lernen“, habe ich oft von netten Kunden gehört.

Die Menschen sind unterschiedlich und reagieren dementsprechend auch unterschiedlich. Selbst auf die Frage nach dem Kassenbon gibt es viele verschiedene Antworten. Das war mir früher nie so bewusst. Wenn ich einkaufen bin und mich jemand danach fragt, antworte ich ganz einfach und minimalistisch mit „Ja, bitte“ oder „Nein, danke“. Aber die Apothekenkunden sind da kreativer als ich. Sehr bekannt ist das: „Ich krieg’ doch eh nichts zurück!“, meist in einem lauteren Ton. Warum musst du denn jetzt lauter reden, denke ich mir dann. Es war doch nur eine Frage... Aber auch: „Ja, auf jeden Fall! Meine Frau will wissen, wo das Geld geblieben ist“, kennt jeder. Wer die Hosen in diesem Haushalt anhat, dürfte kein Geheimnis sein. Umweltschützer erkenne ich an: „Nein, ich möchte unser Ökosystem nicht belasten“. Diese finden es auch übrigens sehr gut, dass die Tüten bei uns etwas kosten. Die Liste lässt sich bestimmt noch fortsetzen.

Seit ich in der Apotheke arbeite, weiß ich umso mehr, dass Menschen eine Herausforderung sind. Man will es allen recht machen, dem Chef, dem Kunden, der Krankenkasse und auch sich selbst. Doch das funktioniert natürlich nicht (immer). Häufig muss man ein Spagat hinlegen, nicht zulasten des eigenen Gewissens. Manchmal habe ich auch das Gefühl: „Egal was man macht, es ist irgendwie falsch.“ So hatte ich einmal eine ältere Kundin, die Zusatzverkäufe toll fand: „Ich würde mich freuen, wenn ich immer was dazu empfohlen bekommen würde. Leider macht das nicht jede Apotheke.” Bei anderen hingegen heißt es wiederum: „Die Apotheker wollen einem nur was andrehen!“ So viel dazu.

Am Mittwoch kam eine alte Dame in die Apotheke. Ich bemerkte ihre innere Unruhe. „Guten Tag, bitteschön?!“ Ich lächelte die Kundin an. „Ist nicht jemand anderes da? Können Sie das überhaupt“, sagte sie. Alle Kollegen waren im Kundengespräch. „Ich kann Ihnen bestimmt auch helfen“, gab ich ihr mit einem Lächeln zu wissen. Sie zögerte ein wenig und sagte dann: „Ich will mit einer kompetenten Person sprechen, sie können mir nicht helfen.“ Ich will nicht angeben, aber ich sehe jünger aus als ich bin. Vielleicht hat sie sich aber auch an meinem Äußeren gestört, das kann ich jetzt nicht einordnen. „Ich habe fünf Jahre studiert und denke schon, dass ich ihnen helfen kann“, habe ich geantwortet. Im Nachhinein ist mir eingefallen, dass dieser Satz doch witziger wäre: „Ich kann das nicht, mein Chef bezahlt mich nur fürs gute Aussehen.“ Oder: „Ich kann das nicht, ich bin nur Deko.“

Letztendlich hat die Frau das Ganze so dargestellt, als ob sie zum Mechanismus der Epidermal Growth Factor (EGF)-Rezeptorantagonisten beraten werden wollte und dies nur ein Mitarbeiter mit mindestens 20 Jahren Berufserfahrung und wissenschaftlicher Expertise könne. Und was waren ihre Beschwerden? Sie hatte Durchfall. Eine kompetente Beratung dazu kriegt wohl jeder von uns hin. Ich habe die Frau dazu gebracht, sich von mir beraten zu lassen. Nach unserem Gespräch hat sie sich entschuldigt und schnell die Apotheke verlassen.

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