Arzneimittelverordnungsreport

AOK-Chef lästert über „Barmherzigkeitsrabatte“

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Berlin -

Die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) inklusive der Zuzahlung der Versicherten sind 2017 erneut deutlich gestiegen: Um 3,7 Prozent gingen die Kosten nach oben. Die Autoren des Arzneiverordnungsreports 2018 (AVR) haben dafür auch Schuldige ausgemacht: patentgeschützte Hochpreiser. Die Politik habe bereits die Möglichkeiten, den Hochpreistrend zu stoppen, nutze sie aber nicht, kritisieren sie.

39,9 Milliarden Euro gaben die Krankenkassen 2017 für Arzneimittel aus, das sind 1,4 Milliarden mehr als im Vorjahr. Für die vergangenen fünf Jahre errechnete Report-Herausgeber Prof. Dr. Ulrich Schwabe damit Mehrausgaben von 8,6 Milliarden Euro, „obwohl es mehrere gesetzliche Möglichkeiten zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven gibt“. Zentral sind die Arzneimittelfestbeträge: Mit ihnen seien pro Jahr 7,9 Milliarden Euro, vor allem für Generika, eingespart worden. Darauf folgen die Rabattverträge mit 4 Milliarden und schließlich das AMNOG-Verfahren mit 1,8 Milliarden.

„Trotzdem konnte der kontinuierliche Anstieg der Ausgaben nicht aufgehalten werden“, so Schwabe, wofür vor allem die patentgeschützten Arzneimittel verantwortlich seien. Mit 18,5 Milliarden Euro entfiel auf sie beinahe die Hälfte der Gesamtkosten: Ihr Umsatzanteil habe sich in den letzten 20 Jahren von 33 auf 45 Prozent erhöht. Mit durchschnittlich 6,98 Euro am Tag seien sie mittlerweile rund 20 mal teurer als Generika, die nur auf 36 Cent kommen.

Schwabe verwies darauf, dass man dieses Missverhältnis in anderen europäischen Ländern besser zu managen wisse. „Andere Länder regeln beispielsweise die Preisbildung vor dem Markteintritt, wir tun das nur bei Generika“, kritisierte er. So sei Humira in den Niederlanden 33 Prozent günstiger als in Deutschland. Auch Biosimilars seien in Nachbarländern billiger.

Die insbesondere seit dem Lunapharm-Sakandal erneut in die Kritik geratene Reimport-Quote sei ebenfalls keine große Hilfe zur Kostensenkung, waren sich alle Beteiligten einig. Statt mehr auf Import aus europäischen Ländern zu setzen, in denen die Preise nierdriger sind und so neue, ineffiziente Bürokratie zu schaffen, solle man eher darauf hinarbeiten, die hiesigen Preise zu senken, so Schwabe. Er stört sich vor allem an geheimen Rabattverträgen. „Wir sind ein öffentlich-rechtliches Gesundheitssystem, da gehören die Preise auf den Tisch! Und das geht am besten, wenn wir es auf europäischer Ebene regeln.“ Die geplante Vereinheitlichung der Nutzenbnewertung sei deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.

Die hohen Preise für Biosimilars hierzulande seien insbesondere auf deren geringe Marktdurchdringung zurückzuführen. Von insgesamt 14 Biosimilaranbietern waren 2017 sechs Originalanbieter beziehungsweise deren Tochterfirmen, auf welche in der Summe 83 Prozent der gesamten Ausgaben für Biosimilars entfielen. „Auch das nicht immer seriöse Marketing der pharmazeutischen Unternehmer für ihre umsatzstarken Originalpräparate, ihre Bestrebungen, den Patentschutz zu verlängern oder Konkurrenzprodukte vom Markt fernzuhalten, spielen eine Rolle bei den geringen Verordnungsquoten von Biosimilars“, ergänzte dazu Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports. „Hinzu kommt, dass viele Ärzte immer noch zu wenig über den rationalen Einsatz von Biosimilars wissen“, sagt er.

Auch die „Orphanisierung“ von Arzneimitteln sei ein zunehmendes Problem. So werde der Oprhan-Drug-Status nicht nur für tatsächlich seltene Erkrankungen mit fünf Betroffene je 10.000 Personen verwendet, sondern auch für solche, die durch das Teilen von Anwendungsgebieten in mehrere, kleinere Subgruppen entstehen. Schon heute gebe es eine Reihe von als Orphan Drug gestarteten Arzneimitteln mit GKV-Ausgaben im dreistelligen Millionenbereich, die für diverse Orphan-Indikationen zugelassen sind.

Von den Herstellern kam postwendend eine Erwiderung auf die Kritik. Der Report verschweige „die von den Kassen forcierte Kostendämpfung, welche die pharmazeutische Industrie am Standort Deutschland massiv unter Druck setzt“, teilte der BPI mit. „Preisdumping und Marktkonzentration in der Generikaversorgung, ein Preismoratorium das Weiterentwicklungen von Arzneimitteln die wirtschaftliche Basis nimmt und ein AMNOG-Verfahren, das Innovationen eher behindert als fördert“, seien „nur einige Konsequenzen des Sparens“.

Doch nicht nur die Industrie, sondern auch Politik und Medien kamen nicht ungeschoren davon. „Wenn nicht gerade ein Skandal durch die Gazetten geistert, hört man in der letzten Zeit wenig von Arzneimittelpolitik“, befand Martin Litsch, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes und konstatierte: „Wir haben eklatante Probleme.“ Die Preisentwicklung sei „alarmierend, vor allem angesichts der vielen Neueinführungen“, so Litsch. Den Preisvorgaben der Hersteller seien nach oben offenbar keine Grenzen gesetzt.

Die Beitragszahler der GKV seien nicht dazu da, den Pharmakonzernen Traummargen zu finanzieren. „Und wir kriegen dann ein paar Barmherzigkeitsrabatte, wenn wir Open-House-Ausschreibungen machen, aber das war‘s dann schon“, so Litsch. Man müsse sich fragen, wie lange die Gesetzliche Krankenversicherung noch in der Lage sein wird, derartige Preise zu tragen. „Die Pharmaindustrie sollte nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzt“, warnte er. Doch auch die Politik arbeite oft grundlegend falsch: Er sehe mit Sorge, „dass die Maßnahmen in der Gesundheitspolitik zu sehr darauf fokussiert sind, Geld zur Verfügung zu stellen, aber zu wenig an den Strukturen ändern.“

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