Kosmetikum oder Arzneimittel

Franzbranntwein stoppt Venenbalsam

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Berlin -

Der Abtei Venen aktiv Balsam von Omega soll kühlen, vitalisieren und entlasten sowie für leichte und entspannte Beine sorgen. Doch mit den Wirkstoffen Rosskastanie, Arnika, Kamille und Methylsalicylat sowie Menthol und Campher ist das Produkt laut Behörde als Arzneimittel einzustufen. Das Verwaltungsgericht Köln (VG) sieht dies genauso – auch weil andere Produkte mit denselben Inhaltsstoffen als Arzneimittel zugelassen sind.

Der Streit um das Produkt läuft seit vielen Jahren. Schon 2007 stellte sich GlaxoSmithKline (GSK) als damaliger Eigentümer der Marke Abtei auf den Standpunkt, dass es sich bei der Venencreme um ein Kosmetikum handele, das ausschließlich äußerlich angewendet werde und wohltuenden, erfrischenden und kühlenden Effekt habe – also eine kosmetische und keine arzneiliche Wirkung. Dafür sprächen auch die niedrigen Dosierungen der einzelnen Bestandteile. Die Bezirksregierung Detmold als damals zuständige Aufsichtsbehörde sah das anders und bat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 2009 um eine Entscheidung.

Sieben Jahre später kam der Bescheid aus Bonn. Die Anwendung gehe über die bloß pflegende Wirkung hinaus. Die Inhaltsstoffe Menthol und Campher wirkten nicht nur physikalisch, sondern durch Bindung an spezielle Rezeptoren pharmakologisch. Dies gelte auch für die vorliegende geringere Konzentration, zumal Produkte mit einer vergleichbaren Dosierung als Arzneimittel zugelassen seien. Bei den anderen Inhaltsstoffen sei dagegen aufgrund geringer Mengen nicht von einer pharmakologischen Wirkung auszugehen.

Das VG teilte diese Einschätzung: Zwar sei der Begriff der „pharmakologischen Wirkung“ weder im Arzneimittelgesetz, noch in den EU-Richtlinien definiert. Selbst in der Wissenschaft sei er nicht klar abgegrenzt. Allerdings habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) unter Bezug auf die sogenannte „Borderline-Guideline“ der EU-Kommission entschieden, dass eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffs und einem Rezeptor ausschlaggebend für die Einstufung ist, die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Reaktion auf einen anderen Liganden blockiert. Eine Dosis-Wirkungs-Korrelation ist dabei nicht zwingend erforderlich, genauso wie eine Wechselwirkungen mit menschlichen Körperzellen. Erfasst ist auch die Wirkung auf andere im menschlichen Körper befindliche Zellen, etwa von Bakterien, Viren oder Parasiten.

Diese Effekte liegen laut VG hier vor: Das BfArM habe nachvollziehbar dargelegt, dass Menthol über eine Erregung der Kälterezeptoren in Haut und Schleimhaut zu einer vorübergehenden Kontraktion peripherer Gefäße mit nachfolgender Dilatation führe. Das Kältegefühl werde nicht physikalisch, sondern durch Bindung von Menthol an den Kälterezeptor TRPM8 ausgelöst. Der Kationenkanal sei an freien Nervenenden afferenter A- und C-Fasern lokalisiert und für das Empfinden von Kälte von zentraler Bedeutung. Menthol erweitere bei Anwendung auf der Haut die Blutgefäße und verursache ein Kältegefühl, wodurch Juckreiz oder auch Schwellung und Schmerz vermindert würden. „Diese Wirkung entspricht in vollem Umfang dem beschriebenen Verständnis einer pharmakologischen Wirkung.“ Menthol werde dementsprechend als etablierter, synthetisch hergestellter oder aus natürlichem Vorkommen gewonnener Arzneistoff angesehen.

Ähnlich sei es bei dem strukturverwandten Bestandteil Campher. Die hautreizende und wärmende, in geringer Dosierung kühlende Wirkung werde nicht etwa physikalisch wie bei Umschlägen oder Fango-Packungen ausgelöst, sondern durch die Aktivierung eines bestimmten Zellrezeptors. Campher sei, zunächst als Pflanzenstoff, später in synthetisierter Form, seit langem als Arzneistoff mit lokal hyperämisirender und schwach anästhetischer Wirkung bekannt und durch die Monographie „Camphora (Campher)“ der Kommission E aus dem Jahr 1984 als bronchosekretolytisch und hyperämisierend eingestuft worden

Zwar mache nicht jede pharmakologische Beeinflussung physiologischer Funktionen ein Produkt zum Arzneimittel. Gerade bei Stoffen wie Menthol und Campher, die nicht nur in Arzneimitteln, sondern auch als Hilfsstoffe in Kosmetika und im Fall von Menthol darüber hinaus in Lebensmitteln als Geschmacksverbesserer Anwendung finden, müssten für eine tragfähige rechtliche Abgrenzung alle Merkmale des Produkts berücksichtigt werden. „Dazu zählen seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann.“

„Ist nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis davon auszugehen, dass unterhalb einer bestimmten Wirkstoffgabe keine nennenswerte Beeinflussung von Körperfunktionen bewirkt wird, liegt kein Funktionsarzneimittel, sondern ein Kosmetikum vor“, so die Richter. Dies sei hier allerdings nicht der Fall. Wichtigstes Indiz: Auf dem Markt seien anderen Präparate mit ähnlicher oder sogar höherer Dosierung erhältlich, die als Arzneimittel zugelassen seien. Die Richter verwiesen auch auf die Standardzulassung „Franzbranntwein“, die derzeit als Grundlage für rund 160 Produkte diene.

„Die Existenz wirkstoffgleicher zugelassener Arzneimittel mag zwar nicht allein und in jedem Fall zum Beleg der Eigenschaft als Funktionsarzneimittel herangezogen werden“, so die Richter. Allerdings werde bei der Zulassung die Wirksamkeit eines Produkts in der jeweiligen Indikation geprüft. „Ist sie belegt, kann auch von einer (pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen) Wirkung ausgegangen werden.“ Gleiches gelte für die Standardzulassung.

Dass die Venencreme nur als kosmetisches Mittel ausgelobt werde, ändere daran nichts: Bei belegter pharmazeutischer Wirkung könne die Präsentation nicht die Eigenschaft als Funktionsarzneimittel ausschließen. Übrigens deute schon die Bezeichnung nicht lediglich auf eine haut-oberflächliche kosmetische Wirkung hin; ob es sich aus diesem Grund um ein Präsenationsarzneimittel handele, sei aber angesichts der Einstufung als Funktionsarzneimittel unerheblich.

Omega hatte noch argumentiert, dass die arzneiliche Wirkung sich nicht durch das Herausgreifen eines einzelnen Stoffes belegen lasse, sondern nur für das Gesamtprodukt. Dies wiesen die Richter zurück: „Enthält das Produkt indes einen pharmakologisch, metabolisch oder immunologisch wirkenden Stoff, bedarf die Annahme, dessen Wirkung sei durch andere Bestandteile des Produkts ausgeschlossen, besonderer naturwissenschaftlicher Anhaltspunkte.“ Omega habe nicht ansatzweise dargelegt, dass die Gesamtrezeptur des Produkts die Wirkung von Menthol und Campher in erheblicher Weise beeinflussen könnte. „Angesichts dessen besteht auch für das Gericht kein Anlass, der aufgeworfenen Frage weiter nachzugehen.“

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