Industrial-Style meets Tradition

„Weiße Apotheken sind nicht zeitgemäß“

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Berlin -

Hohe Sichtbetondecken, ein einfacher Estrichboden und digitale Sichtwände: Linda Wnendt kombiniert in ihrer Ahrtor-Apotheke alte Traditionen mit modernem Minimalismus. Der Umbau stellte das Team vor Herausforderungen und brachte viele Veränderungen mit sich. Die neue Inneneinrichtung ist alles andere als typisch und kommt an. In den sozialen Netzwerken wird bereits gefragt, ob der Standort als Partylocation zu mieten ist.

Wnendt spielte schon lange mit dem Gedanken, die Apotheke umbauen zu lassen. „Wir wollten keine 08/15 Lösung von Apothekenausstattern.“ Ganz individuell sollte die „Erneuerung“ sein: Nach langer Überlegung entschied sich die 48-Jährige gemeinsam mit Architektin Tereza Nesemann von Berlin Homestaging für ein innovatives Designkonzept im „Industrial Style“. Die Einrichtung ist nun eher apothekenuntypisch und sehr reduziert. Es wurden viele organische Materialien wie Nussbaum und Messing verwendet. Die Rohbetondecke kam beim Abreißen der Deckenverkleidung unerwartet zum Vorschein. Schnell war klar: Die „trendige“ Decke bleibt. Viele Kunden wundern sich zunächst und auch der Estrichboden sei für viele erstmal verwirrend.

Das Feedback sei insgesamt völlig unterschiedlich und altersunabhängig, so die Inhaberin. Für die Architektin Nesemann ist es die erste Apotheke. „Ein großes Dankeschön an unsere mutige Auftraggeberin, die mir ihr Vertrauen geschenkt hat und den Entwurf konsequent mitgegangen ist“, schreibt sie bei Facebook. Dort kommt das Konzept gut an: „Das ist mal eine coole Apotheke, kann man die als Partylocation mieten?“, will eine Nutzerin wissen.

Gleichzeitig kommt die Tradition nicht zu kurz: Vor allem für die ältere Generation wollte die Apothekerin nicht darauf verzichten. Trotz aller Moderne wurden historische Apothekenelemente mit einbezogen: Im neuen Beratungszimmer steht beispielsweise ein alter Apothekerschrank aus den 1850er Jahren, alte Standgefäße und Waagen zieren den HV-Tisch. Wnendt übernahm die Apotheke 2008, nachdem sie sich lange Zeit im Besitz der Familie Kockerol befunden hatte. Im vergangenen Jahr feierte der Standort sein 60. Jubiläum.

Wnendt entschied sich bewusst gegen eine klassische weiße Inneneinrichtung: „Wir sind ein historisches Städchen und haben viel Fachwerk in der Umgebung.“ Ein steriles Design hätte daher gar nicht gepasst. „Weiße Apotheken und das Präsentieren in weiß ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagt sie. Daher trage ihr Team auch keine Kittel mehr, sondern beerenfarbene Shirts mit weißen Hosen. Die Kleidung und das Design solle nicht steril wie in einer Arztpraxis wirken, sondern eine Wohlfühlatmosphäre schaffen.

Als innovative Apotheke dürfe man nicht mehr nur noch stur ein Rezept beliefern. „Bei uns soll sich der Mensch ganzheitlich wahrgenommen und zu Hause fühlen“, sagt sie. Eine persönliche Beratung sei grade im Zeitalter der unausweichlichen Beschleunigung absolut substanziell, sagt Wnendt. „Das kann und wird aus unserer Sicht eine Online-Apotheke niemals leisten können. Die persönliche Bindung wird bei uns immer vordergründig bleiben.“ Die neue Einrichtung zeige auf moderne Weise, „dass wir im Gegensatz zum Versandhandel nahbar sind“.

Die Motivation für den Umbau war vielseitig: „Wir haben gemerkt, dass verschiedene Abläufe zu sehr mit Dingen beschäftigt sind, die man ändern könnte.“ Die Automatisierung durch den Kommissionierer sollte dann der erste Schritt sein. Nach und nach wurde klar, dass auch weitere Änderungen sinnvoll wären. Das Büro der Apothekerin war bis zum Umbau auch Beratungsraum für das Anmessen von Strümpfen sowie Pausenraum für die Mitarbeiter. Lediglich durch den Bestandsschutz sei dies noch möglich gewesen.

Die weiteren Ziele waren schnell klar: ein separater Beratungsraum, ein Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter und eine separate Küche. „Wir können nun endlich alle Funktionen richtig trennen.“ Durch den Rowa konnte das Lager in den Keller umziehen: dadurch entstand mehr Platz für Diskretion im HV-Bereich. Der gesamte Umbau fand während des laufenden Betriebes statt. „Es war ein Kraftakt für uns alle.“ Gemeinsam mit den alten HV-Tischen musste das Team durch die Offizin „wandern“ und sich immer wieder umstellen. Insgesamt wünschte sich die Apothekerin mehr Platz im Verkaufsraum.

Wie viel Wnendt in den Umbau investiert hat, will sie nicht verraten. „Ich möchte mich hier in den nächsten 20 Jahren wohlfühlen und haben zukunftsorientiert investiert.“ Die Eröffnung wurde nach drei Monaten Umbau gemeinsamt mit den Kunden gefeiert. In der neu gestalteten Offizin konnten sie an einem Glücksrad drehen und unter anderem verschiedene Kosmetikprodukte gewinnen. Außerdem gab es Führungen zu „Herrn Holefix“, dem Kommissionierer. Bei der Namensgebung kamen die Facebook-Freunde der Apotheke zum Einsatz. Über die eingereichten Vorschläge wurde dann im Team abgestimmt. „Uns war klar, dass es ein Mann sein muss, unter all den Frauen“, lacht Wnendt.

Für die Kleinen gab es einen Malwettbewerb zum Thema Apotheke der Zukunft: Die Siegerehrung übernahm Shary Reeves, bei den Kindern bekannt aus der TV-Sendung „Wissen macht AH!“. „Wir haben über 30 Kunstwerke erhalten“, sagt Wnendt begeistert. Sogar eine ganze erste Schulklasse habe teilgenommen. Für die Gewinner gab es Einkaufsgutscheine des benachbarten Spielzeuggeschäfts und Buchladens. Die erste Klasse wird die Apotheke demnächst besuchen und den „Roboter“ im Keller bestaunen. Alle Kunstwerke werden zudem im Schaufenster ausgestellt.

Die Mitarbeiterinnen Pia Schüllner und Sylvia Porić-Italo wurden im Vorfeld der Einweihung zu Kosmetikfachberaterinnen ausgebildet und stellten bei einer Ladies-Night dekorative Kosmetik vor. Die Weiterbildung erfolgte laut Wnendt unter anderem, damit im Rahmen der Digitalisierung für PKA neue Betätigungsfelder geschaffen werden und jeder Arbeitsplatz erhalten bleibe. Die Nachfrage sei sehr groß und die Teilnehmerinnen von der Aktion begeistert gewesen. „Die Ladies Night wird nun ein fester Bestandteil unseres Angebotes.“

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