USA

Opioid-Dealer: Trump will Todesstrafe

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Washington -

Die Wirkung von Opioiden hat Nora Volkow selbst erlebt. Nach einem Autounfall bekam die 61-Jährige im Krankenhaus solche Schmerzmittel verabreicht. „Ich flog wie auf Wolken, es war wie im Nirwana“, erinnert sich Volkow. „Aber nicht jeder Mensch hat diese Reaktion, meine Schwester zum Beispiel kotzt davon.“ Volkow, geboren in Mexiko als Ur-Enkelin des russischen Revolutionärs Leo Trotzki, ist seit 2003 Chefin der nationalen Anti-Drogenmissbrauchsbehörde (Nida) der USA – und kämpft derzeit an vorderster Front gegen die Opioid-Epidemie.

Die Zahlen sind dramatisch: Durchschnittlich 115 Menschen starben in den USA in den vergangenen Jahren nach Angaben der Nida jeden Tag an einer Überdosis von Opioiden, darunter Schmerzmittel, Heroin und das synthetische Fentanyl. 2016 gab es einen gewaltigen Anstieg auf rund 62.000 Überdosis-Todesopfer, 22 Prozent mehr als noch im Vorjahr. „Das hat uns wirklich geschockt, denn wir hatten eine Abnahme der Zahlen erwartet“, sagte Volkow jüngst bei der weltgrößten Wissenschaftskonferenz der AAAS (American Association for the Advancement of Science) im texanischen Austin. „Jetzt erwarten wir aber, dass die Zahlen für 2017 noch schlimmer werden.“

Die US-Gesundheitsbehörde CDC hat ähnliche Tendenzen ermittelt. Einem neuen Bericht zufolge stieg die Anzahl vermuteter Überdosis-Fälle zwischen Juli 2016 und September 2017 in 45 Bundesstaaten um 30 Prozent an. Besonders betroffen sei der Mittlere Westen des Landes, wo ein Anstieg von 70 Prozent vermeldet wurde. Ein weiterer Brennpunkt sind demnach Großstädte: In 16 Bundesstaaten hat die Zahl der Betroffenen dort um 54 Prozent zugenommen.

US-Präsident Donald Trump hat die Opioid-Epidemie im Land schon zum „Gesundheits-Notfall“ erklärt. Um das Problem zu bekämpfen, will er nach Angaben hochrangiger Regierungsbeamter einen harten Kurs einschlagen: Bestimmte Drogendealer sollen nach dem Willen des Präsidenten künftig mit dem Tode bestraft werden können. Demnach soll das Justizministerium als Chefanklagebehörde auf Bundesebene in Prozessen die Todesstrafe beantragen, „wenn es unter dem geltenden Gesetz angemessen ist“. Am Montagabend (Ortszeit) sollte Trump im vom Opioid-Problem besonders betroffenen Bundesstaat New Hampshire einen mehrteiligen Plan zur Bekämpfung des massenhaften Missbrauchs von Opioiden vorstellen, hieß es vorab.

Ein zentraler Punkt sind den ersten Informationen zufolge härtere Strafen für Dealer. Das Weiße Haus möchte demnach eine schärfere Strafverfolgung für den Handel mit Fentanyl, einem synthetischen Opioid-Schmerzmittel, dessen Missbrauch für Zehntausende Todesfälle verantwortlich ist. So soll das Justizministerium als Chefanklagebehörde auf Bundesebene in Prozessen die Todesstrafe beantragen, „wenn es unter dem geltenden Gesetz angemessen ist“, sagte Trumps innenpolitischer Berater Andrew Bremberg am Sonntag.

Konkrete Beispiele nannten die Regierungsbeamten nicht, machten aber klar, dass die Entscheidungen jeweils im juristischen Ermessen des Ministeriums lägen und der Kongress dazu keine Gesetzesänderung beschließen müsse. Strafen könnten vor allem für Intensivtäter verschärft werden, zitierte der Sender CNN einen Beamten. Dabei gehe es um Dealer, die große Mengen an Opioiden wie Fentanyl ins Land brächten.

Die Ursachen der Opioid-Epidemie in den USA liegen schon einige Jahre zurück. In den späten 1990er Jahren versicherten Pharma-Firmen den Ärzten, dass Patienten von Opioiden in Schmerzmitteln, die eine extrem schmerzlindernde Wirkung haben, nicht abhängig werden. Daraufhin verschrieben die Ärzte mehr und mehr solcher Präparate. Doch das Gegenteil erwies sich als richtig: Die Opioide machen hochgradig abhängig. Viele Menschen hangelten sich weiter zu Heroin und Fentanyl.

Immer noch verschreiben die Ärzte in den USA deutlich zu viele Opioide, kritisiert Volkow, deren Arbeit von ihrem Vorgänger Alan Leshner als „Meisterwerk“ beschrieben wird. „Es gab Vorfälle, wo ein Mensch in einem Jahr von vier verschiedenen Ärzten Opioide verschrieben bekommen hat. Da ist etwas fundamental falsch in unserem Verschreibungssystem!“ Rund 20 Prozent der Überdosis-Todesfälle hängen nach Angaben von Volkow wohl mit Verschreibungen von Opioiden zusammen. Die Anzahl der Verschreibungen insgesamt nehme aber langsam ab. „Der Trend geht in die richtige Richtung, aber es ist noch ein weiter Weg.“

Die Probleme sind außerdem längst übergeschwappt: 70 Prozent der Menschen in den USA, die heroinabhängig werden, haben mit Verschreibungen von Opioid-Schmerzmitteln angefangen. „Dann merken sie, dass pures Heroin viel günstiger und in vielen Fällen auch einfacher zu bekommen ist.“ Danach geht es für viele weiter zu Fentanyl. „Das ist viel stärker als Heroin, manchmal 500 mal so stark. Das heißt, man braucht nur ganz kleine Mengen und die kann man per Post in die USA schicken.“ Die Absender sitzen oft in ihrem Heimatland Mexiko, das ist Volkow, die inzwischen einen US-Pass hat, sehr bewusst.

Neben den Ärzten attackiert die blondgelockte Wissenschaftlerin, die schon dutzende Preise gewonnen und rund 700 Fachartikel und Bücher geschrieben hat, in ihrem Kampf auch die Pharma-Industrie. „100 Millionen Menschen in den USA leiden pro Jahr unter Schmerzen – aber das Investment der Privatindustrie in Forschung ist minimal.“

Volkow weiß, dass sie die Industrie braucht und versucht deswegen neben Angriff auch Diplomatie. „Wir müssen bessere Behandlungsmethoden für Schmerzpatienten entwickeln, die sicher sind und nicht abhängig machen. Ich weiß, dass in der Vergangenheit schon investiert wurde und es keinen Durchbruch gab. Aber die Pharmafirmen machen auch Millionen durch Opioid-Verkäufe. Wie können wir sie dazu bringen, wieder mit Energie zu forschen?“ Derzeit werde unter anderem an einer Fentanyl-Impfung gearbeitet, allerdings wirke die bislang nur bei Mäusen.

Nächstes Problem: Die medizinischen Behandlungsmethoden, die es gibt, wie beispielsweise der Ersatzstoff Methadon, würden nur in zehn Prozent der Fälle überhaupt angewendet. Ursache seien unter anderem nicht genügend Ressourcen und Behandlungsangebote, außerdem „schreckliches Stigma“. Vor allem in der Strafjustiz müsse das verändert werden – 90 Prozent der Insassen haben ein Opioid-Problem.

„Das Ausmaß der Krise ist atemberaubend“, gibt Volkow zu. „Aber es ist nicht hoffnungslos. Wir verstehen Opioid-Abhängigkeit besser als viele andere Drogen-Probleme und es gibt wirksame Strategien, die umgesetzt werden können, um Leben zu retten und der Abhängigkeit vorzubeugen und sie zu behandeln.“

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