Zyto-Retax kassiert

Haltbarkeit: Gericht spricht Apotheker frei

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Berlin -

Krankenkassen dürfen Zyto-Apotheker nicht wegen Verwürfen retaxieren, wenn die Haltbarkeit der Wirkstoffe in der Hilfstaxe genau definiert ist. Sofern Wirkstoffe in der sogenannten Auffangreglung pauschal mit einer Haltbarkeit von 24 Stunden zusammengefasst sind, müssen Apotheker die Fachinformation zu Rate ziehen – aber auch nur diese. So hat es das Sozialgericht (SG) Nürnberg entschieden und damit Retaxationen der AOK Bayern kassiert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Gestritten wurde um die Abrechnung des Monats März 2012. Die AOK hatte ein Jahr später retaxiert, weil sie die von der Apotheke abgerechneten Verwürfe für unberechtigt hielt. Der Apotheker legte Einspruch ein und klagte im August 2014 schließlich vor dem SG Nürnberg.

Mehr als drei Jahre später und nach einem umfassenden juristischen Schlagabtausch gab das Gericht im Dezember dem Apotheker recht, jetzt liegen die Urteilsgründe vor: Die Kasse muss 3310,12 Euro zahlen. Nur eine zuvor beanstandete Retaxation über 12,99 Euro bleibt bestehen, weil bei dieser Abrechnung tatsächlich ein unberechtigter Verwurf vorgelegen hatte.

Die Kernfragen, über die vor dem Sozialgericht so umfassend gestritten wurde: Wann dürfen Zyto-Apotheken der Kasse nicht mehr verwendbare Anbrüche in Rechnung stellen und welche Angaben zur Haltbarkeit sind hier entscheidend? Aus Sicht des klagenden Apothekers sind die Angaben in der Hilfstaxe verbindlich, die AOK wollte das nur als Minimalstandard verstanden wissen und verwies auf die teilweise abweichenden Angaben zur Haltbarkeit in der Literatur.

Die Regeln zur Abrechnung unvermeidbarer Verwürfe sind in der Hilfstaxe in verschiedenen Gruppen geregelt, teilweise sehr präzise. Zu bestimmten Wirkstoffen gibt es ganz konkrete Zeitangaben. Wenn innerhalb dieser Spanne aus dem Anbruch keine weitere Rezeptur hergestellt werden kann, darf die Apotheke der Kasse den Verwurf berechnen. Für nicht namentlich genannte Wirkstoffe gibt es eine Auffangregelung: Ein unvermeidbarer Verwurf ist dann abrechenbar, wenn er nicht innerhalb von 24 Stunden in einer Rezeptur verwendet werden kann.

Laut Urteil ist der erste Fall unproblematisch. Hier darf die Apotheke jeden unvermeidbaren Verwurf abrechnen, sobald die konkreten Zeitspannen überschritten ist. Anders als von der AOK gefordert müsse die Apotheke in dieser Fallgruppe auch keine – gegebenenfalls anders lautenden – Angaben der Fachinformation berücksichtigen, geschweige denn Krämer-Liste, Stabil-Liste und Stabilitätsdatenblätter. Die Kasse war laut Urteil hier an die eindeutigen Angaben in der Hilfstaxe gebunden, Retaxationen in Höhe von knapp 1300 Euro waren damit schon vom Tisch.

Etwas komplizierter ist es in der Auffangregelung mit der pauschalen 24-Stunden-Frist. Hier muss der Apotheker laut Urteil vor der Abrechnung der Verwürfe zusätzlich die Fachinformation zu Rate ziehen. Der Apotheker müsse „auf Basis seiner pharmazeutischen Kenntnisse und der Kenntnis über die konkreten Herstellungsbedingungen prüfen, ob das Arzneimittel noch haltbar ist“. Gibt es in der Fachinformation keine Hinweise auf die Haltbarkeit, kann sich der Apotheker laut Urteil an die Vorgabe der Hilfstaxe halten – und darf nach 24 Stunden den Verwurf abrechnen.

Wichtig: Der Apotheker muss nur die Fachinformation des Herstellers prüfen. Andere Rechtsquellen und Listen zu prüfen, wie von der Kasse verlangt, bringe „eine nicht hinzunehmende Rechtsunsicherheit“, heißt es im Urteil. Das SG hatte im Verfahren sogar beim Deutschen Apothekerverband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband nachgefragt, wie die Vertragspartner ihre Regelungen der Hilfstaxe verstanden wissen wollen.

Das Gericht ging bei der Bewertung des konkreten Falls ins Detail: Bei Cetuximab und Trastuzumab stehen 48 Stunden in der Fachinfo. Der Apotheker konnte hier belegen, dass innerhalb dieser Zeit keine weiteren Herstellungen angefallen waren. Bei Fluorouracil (5-FU) und Doxorubicin ist von einer Haltbarkeit der „gebrauchsfertigen Infusionslösung“ von bis zu sieben Tagen die Rede. Da dies laut Gericht aber keine Angabe zur Haltbarkeit eines Anbruchs macht, wurde hier die 24-Stunden-Regel als Maßstab genommen. Bei den anderen Wirkstoffen gibt es in der Fachinformation keine Angaben zur Haltbarkeit oder eine Stabilität von maximal 24 Stunden.

Demnach waren auch die übrigen Retaxationen der AOK aus Sicht des Gerichts zu Unrecht erfolgt. Die Kasse wäre gerne über eine Sprungrevision direkt zum Bundessozialgericht (BSG) gezogen. Doch der Apotheker stimmte dem nicht zu, so dass das Verfahren vor dem Landessozialgericht München fortgesetzt werden dürfte.

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