Sterbebegleitung

Emma im Einsatz

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Flörsheim -

Emma hat ein besonderes Talent: Sie schafft es, dass todkranke Menschen und ihre Angehörigen für einen Moment ihre Sorgen vergessen und zueinander finden. Eltern erleben, wie sich ihr sterbendes Kind entspannt und ganz ohne Medikamente keine epileptischen Anfälle bekommt, wenn Emma da ist. Emma ist Expertin in der Palliativbegleitung – und eine braune Labradorhündin.

„Ich kann ihre Wirkung nicht erklären. Ich weiß nicht, warum die Anfälle abnehmen oder Krebspatienten weniger Schmerzen empfinden, wenn Emma im Raum ist“, rätselt Ivana Seger. „Vielleicht ist es das Fell? Oder die Wärme, die Nähe, ihr ruhiges Atmen?“ Seger ist Emmas Besitzerin und ausgebildete Altenpflegerin mit Schwerpunkt Palliativ-Care.

Emma und Seger arbeiten seit 2010 als „Therapeutenduo“ zusammen in drei Erwachsenenhospizen, einem Kinderhospiz und auf zwei Palliatativstationen in der Umgebung von Wiesbaden. „So ein Zweiergesprann aus Therapiebegleithund und ausgebildeter Pflegerin für den Bereich Hospiz ist sehr selten“, sagt Seger.

Emma arbeitet pro Tag etwa zwei Stunden. Ihr Aufgabenbereich in den Hospizen ist vielseitig: Wenn sie Erwachsene besuche, sei sie oft „der Eisbrecher“, so Seger. Emma sorge für Gespräche zwischen den Hospizgästen, Angehörigen und Pflegern, die sich einmal nicht um Krankheiten und Schmerzen drehten. „In so einer Situation ist ein Stück Normalität sehr wertvoll“, sagt Seger.

Sie berichtet, dass Neuaufnahmen häufig zuerst mit Emma redeten, dann mit ihr oder anderen Pflegern. „Die Gäste empfinden es oft so, dass Pflegekräfte immer etwas von ihnen fordern oder etwas wissen wollen. Emma fordert nichts. Das akzeptieren sie und tauen langsam auf.“ Emma helfe auch Menschen, die kurz vor dem Sterben stehen. „Die meisten sind in diesen Momenten sehr angespannt. Dann hole ich Emma in den Raum – und sie beruhigen sich. Emma hilft da besser als Medikamente“, erzählt die Pflegerin.

Auch im Kinderhospiz Bärenherz in Wiesbaden ist Emma eine gern gesehene Therapiebegleiterin. Seger zeigt Emma, wie sie sich hinlegen soll, damit die Kinder sie direkt spüren können. „Manche Kinder haben bis zu 30 epileptische Anfälle pro Stunde. Aber keinen, wenn Emma bei ihnen ist.“ Sie könne sich das nicht erklären.

Emma ist nicht nur für die Hospizgäste da, sondern auch für deren Angehörige. Für die Eltern sei es besonders schön, wenn sie sehen, dass ihr Kind kurzzeitig weniger Schmerzen empfinde und sich entspannen könne. „Und besonders die Geschwister von todkranken Kindern freuen sich, wenn Emma da ist und sie mit ihr spielen können.

Nachdem Seger ihre Ausbildung zur Altenpflegerin gemacht hatte, begann sie in einer Klinik für psychosomatische Krankheiten. Die Klinik ist auf die Behandlung von Depressiven spezialisiert. Dort hatte sie das Schlüsselerlebnis: „Depressiven fällt es sehr schwer, Kraft für etwas aufzubringen – und sei es, aufzustehen. Einmal kam ein Besucher vorbei, der einen Golden Retriever dabei hatte. Plötzlich standen alle Patienten auf, gingen zu ihm hin, begannen sogar Gespräche. Das hat in mir diesen „Aha-Effekt“ ausgelöst.“

Sie setzte sich intensiv mit dem Thema Therapiehunde auseinander. Doch ihre damalige Arbeit verhinderte, dass daraus gleich mehr wurde. Erst Jahre später traf Seger im Urlaub eine Ärztin, die in dem Hospiz Arche Noah in Schmitten-Niederreifenberg arbeitete. Seger fand den Bereich Palliativversorgung sofort spannend. „Diese Begegnung hat in mir sehr viel angestoßen. Aber ich hatte auch ein bisschen Angst, denn ich kannte mich in dem Gebiet gar nicht aus und stellte mir die Arbeit sehr belastend vor.“

So wollte sie 2008 zunächst probeweise für zwei Wochen unbezahlt in der Arche Noah aushelfen. Schon am zweiten Tag später unterschrieb sie ihren Arbeitsvertrag, denn sie fühlte sich beruflich angekommen. Sie machte deutlich, dass sie die Stelle nicht allein antreten würde, sondern in Begleitung eines Therapiehunds. Das Hospiz förderte diese Idee. „Sie haben Emma und mich also im Doppelpack angestellt. Emma hat in der Arche Noah sozusagen ihre Lehre gemacht“, erklärt Seger.

Emma hat sie aus einem Elferwurf von Labradorhunden ausgesucht. Seger hatte feste Auswahlkriterien. Einige davon sind naheliegend; das Tier sollte belastbar und ausgeglichen sein – und Menschen mögen. Zudem sollte der Hund nicht schwarz sein: Für den Einsatz an einem Ort des begleiteten Sterbens hat Seger daher die schokobraune Hündin Emma ausgewählt.

Zuvor hatte Seger die Welpen des Wurfs sechs Wochen lang beobachtet, bevor sie sich für Emma entschied. Dazu hatte sie den Hunden beim Spielen zugesehen. „Dabei sind weder die besonders wilden, noch die besonders schüchternen geeignet. Es muss ein Mittelding sein“, sagte Seger.

Seger testete die Hunde auch mit kleinen Herausforderungen: Zum Beispiel drehte sie die Welpen auf den Rücken – in Hundesprache eine Unterwerfungsgeste – oder sah ihnen in die Augen, was Hunde als Bedrohung empfinden. Emma bewältigte alle Situationen bestens. Die Entscheidung war gefallen. Als nächstes musste die Hündin erzogen werden. Als Emma ein Jahr alt war und ihre Begleithundeprüfung erfolgreich abgelegt hatte, wurden sie und ihr Frauchen in Hannover zu einem Team von Therapiebegleiterinnen mit Einsatzort Hospiz ausgebildet.

Die Ausbildung dauerte insgesamt neun Monate. Emma musste viel lernen: Wie gehe ich mit Menschen um, die offene Wunden haben oder erbrechen müssen? Warum sind Katheter und Sauerstoffmasken kein Spielzeug? Und wie liege ich so still, dass ich die Funktion solcher Geräte nicht störe? Wie reagiere ich auf Kinder, deren Motorik nicht fein genug ausgeprägt ist und die mir darum auch mal am Fell ziehen?

Auch ihre Besitzerin musste lernen: „Inzwischen weiß ich, wann eine Situation für Emma Stress bedeutet, ohne dass sie mir ein Zeichen geben muss.“ Nach ihren zwei Arbeitsstunden am Tag und am Wochenende habe Emma frei „und darf einfach Hund sein“. Das bedeute spielen, spazieren gehen und sich ausruhen.

Die Arbeit in Hospizen sei auch für sie emotional fordernd, gesteht Seger. „Es gibt gute und schlechtere Tage“, erzählt sie. „Aber ich habe ein soziales Umfeld, das mir viel Rückhalt gibt. Und meinen persönlichen Therapiehund.“

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