Müllerstraße in Berlin

Die härteste Rabatt-Schlacht Deutschlands

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Berlin -

In der Müllerstraße in Berlin tobt der vermutlich unerbittlichste Apothekenkampf Deutschlands. Wer nicht mitmacht im Rabatt-Krieg, hat seine Kunden schnell verloren. Über 10 oder 25 Prozent Rabatt auf die Listenpreise können Apotheker hier nur müde lächeln. Damit braucht man die Offizin morgens gar nicht aufzuschließen. 50 Prozent sind hier nicht ungewöhnlich, um mithalten zu können. Der aktuelle Rekord liegt bei 63 Prozent-Schnäppchen. Wie man das überlebt? Nicht allen gelingt das.

Das prominenteste Opfer des Müllerschen Apothekenkrieges ist Christian Belgardt, Präsident der Apothekerkammer Berlin. Seiner Otavi-Apotheke haben aber nicht allein die Schnäppchen, sondern auch der Vermieter den Garaus gemacht. Das Haus ist derzeit voll eingerüstet. Die Eck-Apotheke ist geräumt, nur die Abdrücke der Schrift an der Fassade erzählen davon, dass sich hier bis vor kurzem eine Apotheke befand.

Gegenüber APOTHEKE ADHOC möchte Berlins oberster Pharmazeut sich nicht zum Thema Schnäppchenkrieg äußern. Zur Schließung der Otavi-Apotheke sagt er: „Das Haus wird modernisiert und der Vermieter hatte hinsichtlich der Miete Vorstellungen, die mit der Realität nichts zu tun haben. Ich habe deshalb im Mai geschlossen. Mein Ansatz in der Müllerstraße war der einer Kiezapotheke, ich bin damit nicht reich geworden.” Ein kluger Apotheker hat immer Plan B in der Tasche: Belgardt kaufte die Galenus-Apotheke in Mitte. Beste Lage in der Reinhardt-Straße in der Nähe vom BMG und vieler Theater. Im Umkreis haben viele Verbände und politische Einrichtungen ihre Büros, hier sitzt der Euro lockerer als in der Müllerstraße.

Ein Blick auf Google Earth offenbart das pharmazeutische Müllerstraßen-Problem: Auf einem Abschnitt von rund 1,5 Kilometern befinden sich, aufgereiht wie Perlen an einer Kette, insgesamt zehn Apotheken. Dazu kommen noch jene in den Seitenstraßen des Müllerstraßen-Kiezes. Der Stadtteil Wedding gehört zwar verwaltungstechnisch zum schicken Mitte und immer wieder behaupten Experten, dass der klassische Arbeiterbezirk auch demnächst schick wird, aber Fakt ist: Hier wohnen viele sozial schwache Menschen, für die es wirklich einen Unterschied macht, ob sie in der Apotheke oder im Supermarkt einen oder zwei Euro mehr bezahlen. Rund 40 Prozent der Weddinger sind auf Sozialhilfe angewiesen.

Majestätisch thront die Apotheke von Axel Müller de Ahna in einem imposanten Haus in der Müllerstraße, Ecke Brüsseler Straße. Er betreibt hier die Wedding-Apotheke und gleich gegenüber die Doc+ Apotheke. Man spricht ehrfurchtsvoll vom „Platzhirschen“. Und dass er mit den Ton angibt, was die Schnäppchen betrifft. Die anderen ziehen dann eben nach. Man will schließlich die Kunden nicht verärgern oder gar vertreiben.

Schließt eine Apotheke, freut sich der Nachbar. Gleichwohl die Müllerstraßen-Apotheker noch genügend Anstand besitzen, das nicht öffentlich zu tun. Jozef Dobija ist ein humorvoller Mensch, aber kein schadenfroher. Vielleicht auch, weil hier jeder weiß, dass es auch ihn eines Tages treffen kann. Schließen Ärzte ihre Praxen, ist die Existenz schnell bedroht. Eine Apotheke in der Berliner Müllerstraße zu haben, bedeutet, auf einem Pulverfass zu sitzen.

Dobija und seine Geschäftspartnerin Michaele Lehnhardt setzen auf Beratung, Zuversicht und eine konsequente Schnäppchen-Strategie. „Hier herrscht eine extreme Konkurrenzsituation“, sagt Dobija. „Die Kunden haben sehr wenig Geld, das muss man sehen. Wedding ist der Bezirk mit der höchsten Privatverschuldungsrate in Berlin. Einige Apotheker geben den Ton an, was die Rabatte betrifft. Und die anderen ziehen mit.“

Eine Zeitlang hat er die Rabattschlacht mitgemacht. Bis er eines Tages einen Schlussstrich zog: „Heute gibt es auf alles 25 Prozent, auch auf Tiernahrung“, erklärt er lächelnd. Das spare Nerven und auch Geld. „Ich muss nicht ständig neue Flyer und Plakate drucken lassen“, sagt er.

Trotzdem drehe sich in seiner Paul Gerhardt-Apotheke „alles um den Preis“. Für den Kunden sei das erfreulich, für die Pharmazeuten weniger. „Wir bieten hohe Qualität für wenig Geld.” Der gebürtige Pole ist ein humorvoller Mensch und versucht, diesen Humor zu behalten, auch wenn es manchmal schwierig ist. „Sobald man hier in der Müllerstraße normale Preise für Aspirin verlangt, sollte man hoffen, dass man selbst oft Kopfschmerzen hat.“ Denn ohne Sonderangebot wird er kaum Käufer für seine Ware finden. Weil irgendwo in der Müllerstraße Aspirin immer als Super-Mega-Schnäppchen zu haben ist.

„Hier ist eine sozial schwache Ecke, aber alle Kunden sind online. Sie gucken vorab, wo welches Medikament am günstigsten ist.“ Das findet der Apotheker grundsätzlich in Ordnung. Die Momente, in denen er sich ärgert, sind andere. „Wenn jemand mit dem Smartphone auf mich zukommt und sagt: ‘Pass auf Bruder, ich kriege das wo anders um 30 Prozent billiger, was machen wir?” Dobia „macht“ dann wenig und schlägt vor, eben anderswo zu kaufen. Denn zu verschenken hat keiner der Müllerstraßen-Apotheker etwas.

Jeder hat seine Strategien, um zu überleben. Die „Märkische Apotheke“ versucht zum Beispiel, mit ihrem Sonntags-Service bei den Kunden zu punkten. „Wir haben am Sonntag von 12-16 Uhr geöffnet“, sagt Inhaber Dietmarc Riedel. Das lohne sich derzeit noch nicht. „Wir machen es seit einem Jahr, der Service muss sich noch herumsprechen.” An den Schnäppchenaktionen beteiligt er sich „zwangsläufig“. Er erklärt: „Ein Kollege fängt damit an, die anderen ziehen nach. Man hat sich daran gewöhnt.”

Seine Apotheke hat er von seinem Vater im Jahr 2011 übernommen, sie wurde im Jahr 1910 gegründet. Die Konkurrenzsituation hat ihn nicht abgeschreckt: „Ich wusste, worauf ich mich einlasse.” Grundsätzlich gebe der Markt die vielen Apotheken auf der Müllerstraße her. Aber der Rabattkrieg mache das Überleben nicht einfacher. Seine Kollegen kennt er natürlich, spricht aber kaum mit ihnen: „Wir haben untereinander keinen Kontakt.“

Mit die beste Lage der Müllerstraße hat die Leo-Apotheke direkt am Leopoldplatz. Zwei U-Bahnlinien und viele Busse spucken permanent potenzielle Kunden aus. Das Problem: Seit Monaten ist das imposante Eckhaus eingerüstet und wird renoviert. Irgendwo hinter den Planen, Gerüsten und Absperrungen befindet sich die Apotheke. Da muss man schon ein treuer Stammkunde sein, um sich durch die engen Absperrungen zu zwängen. Vor der Tür ein Plakat. Schnäppchen! Was sonst.

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