Medikationsfehler

Apotheker haften bei Arztfehler

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Berlin -

Der Irrtum eines Arztes kann einen Apotheker teuer zu stehen kommen: Das Oberlandesgericht Köln (OLG) hat einen Pharmazeuten und einen Arzt aus Nordrhein-Westfalen zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. „Der Arzt hat die falschen Tabletten verschrieben, der Apotheker hat sie pflichtwidrig abgegeben“, heißt es in dem Urteil. Die Richter betonen: „Ein blindes Vertrauen auf die Verordnung des Arztes darf es nicht geben.“

In dem konkreten Fall ging es um einen Jungen, der 2006 mit einem Down-Syndrom und einem Herzfehler geboren wurde. Als er im Alter von einem Monat in die ambulante Therapie entlassen wurde, erhielt der behandelnde Kinderarzt eine Medikamentenliste. Auf der stand unter anderem Lanitop (Metildigoxin) mit dem Zusatz „2x1gtt“ – also Tropfen.

Eine Mitarbeiterin des Arztes schrieb fälschlicherweise „50 Tbl.“ auf das Rezept, das der Arzt unterzeichnete. Eine Apothekenmitarbeiterin händigte der Mutter des Kindes die Tabletten aus, obwohl das Medikament in dieser Darreichungsform nur für Erwachsene und Heranwachsende zugelassen und deutlich höher dosiert ist.

Da die Packungsgröße nicht passte, gab die Apothekenmitarbeiterin einige Blister aus einer 100er-Packung ab. Die Angestellte empfahl der Mutter, die Tabletten aufzulösen und dem Säugling einzuflößen.

Das Kind erhielt vier Tage lang morgens und abends eine aufgelöste Tablette. Dann traten Krämpfe, hohes Fieber und ein aufgeblähtes Abdomen auf. Im Krankenhaus kam es zu einem Herzstillstand; 50 Minuten lang musste das Kind reanimatiert werden. Bei dem Jungen liegt nun ein erheblicher Entwicklungsrückstand vor: Im Alter von fünf Jahren konnte er weder sprechen, noch laufen oder selbstständig essen.

Die Familie behauptet, dass der Junge durch den Herzstillstand einen hypoxischen Hirnschaden erlitten hat. Sie forderte von dem Arzt und dem Apothekeninhaber ein Schmerzensgeld von mindestens 200.000 Euro sowie die Erstattung aller zukünftgen immateriellen und materiellen Folgeschäden. Die Beklagten bestreiten, dass ihnen ein „grober Fehler“ unterlaufen sei. Dem Jungen sei über die Digitalisvergiftung hinaus kein Schaden entstanden.

Aus Sicht der Richter lag allerdings ein „grober Fehler“ vor: Arzt und Apotheker müssten bei hoch gefährlichen Arzneimitteln besonders sorgfältig sein: „Ein derart folgenschweres Versehen darf in einer Apotheke schlechterdings nicht passieren“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Der Apothekeninhaber könne auch nicht geltend machen, für den Bruchteil einer Sekunde unaufmerksam gewesen zu sein. Der ganze Ablauf der Abgabe sei vielmehr so gewesen, dass sich der Mitarbeiterin Zweifel an der Richtigkeit der Verordnung „förmlich aufdrängen mussten“: Das Medikament, die Packungsgröße und die Darreichungsform hätten nicht gepasst. Daher müsse von einem „überaus gravierenden“ Verstoß gegen die Pflichten des Apothekers gesprochen werden.

Da die Richter das Vorliegen eines groben Fehlers sehen, ändert sich die Umkehr der Beweislast: Üblicherweise muss der Betroffene nachweisen, dass der entstandene Schaden auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Bei Fehlern, die Ärzten aber nicht unterlaufen dürfen, ändert sich dies.

Diese Regelung gibt es bislang nur für Ärzte. Die Richter entschieden jedoch, dass es dem Gerechtigkeitsempfinden grob widersprechen würde, wenn der Arzt voll haften müsse und der Apotheker nicht. Es würde aus Sicht der Richter eine „nicht verständliche Systemwidrigkeit“ bedeuten, wenn es bei Ärzten und Arzneimitteln Beweiserleichterungen für Patienten gebe, aber nicht bei Apothekern.

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