Schadensersatzklagen

Hersteller müssen sich ausliefern

, Uhr aktualisiert am 12.02.2014 09:34 Uhr
Berlin -

Über seine schlechten Eigenschaften spricht niemand gerne – schon gar nicht, wenn das Ganze hinterher gegen einen verwendet werden kann. Laut Arzneimittelgesetz (AMG) müssen Pharmahersteller aber alle bekannten Fälle von Nebenwirkungen offenlegen, wenn ein geschädigter Patient Schadenersatzansprüche geltend machen will. Dazu reicht ein zeitlicher Zusammenhang aus, wie das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) jetzt im Fall von Allopurinol AbZ entschieden hat.

In dem konkreten Fall hatte ein Patient Allopurinol von seinem Arzt verordnet bekommen, weil bei einer Blutuntersuchung ein erhöhter Harnsäurewert festgestellt worden war. Einige Tage nach Beginn der Therapie hätten sich grippeartige Symptome gezeigt, so der Patient. Obwohl er die Therapie abgebrochen habe, habe sich sein Gesundheitszustand verschlimmert.

Später sei eine toxisch epidermale Nekrolyse (TEN) mit Augen- und Schleimhautbeteiligung diagnostiziert worden. Aufgrund der Erkrankung seien ihm in der Folgezeit alle Finger- und Fußnägel sowie sämtliche Zähne ausgefallen. Zudem sei eine starke Sehschwäche zurückgeblieben, die zur Fahruntüchtigkeit geführt habe.

Der Mann verlangte – zur Vorbereitung seiner Schadensersatzklage gegen die Teva-Tochter AbZ – Auskunft über die bekannt gewordenen Fälle und Verdachtsfälle von Neben- und Wechselwirkungen des Medikaments, insbesondere auf das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die TEN.

Das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) gab dem Mann Recht und verurteilte den Hersteller zur Auskunft. Aus Sicht der Richter muss in solchen Fällen nicht konkret festgestellt werden, dass die Erkrankung auf die Einnahme des Medikaments zurückzuführen ist: Anders als beim späteren Schadensersatzanspruch reiche es für den Auskunftsanspruch aus, dass Einnahme des Arzneimittels und der Schaden in einem zeitlichen Zusammenhang stünden und eine kausale Beziehung damit plausibel erscheine.

Aus dem Gesetzestext ließ sich bislang nicht ablesen, ob für den Auskunftsanspruch ein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden muss: „Liegen Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat, so kann der Geschädigte von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen [...]“, heißt es im AMG.

Der Anspruch richtet sich auf „dem pharmazeutischen Unternehmer bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können“.

In der Packungsbeilage weist Ratiopharm darauf hin, dass als Überempfindlichkeitsreaktion die beiden lebensbedrohlichen Hautreaktionen auftreten können. Die Patienten sollten demnach über Symptome dieser Nebenwirkungen informiert und überwacht werden. Bei Anzeichen für SJS oder TEN sollte die Therapie sofort beendet werden.

Allopurinol ist laut Arzneiverordnungsreport das Standardmittel zur Behandlung von chronischer Gicht: 93 Prozent aller Verordnungen in dieser Indikation entfallen auf diesen Wirkstoff. 2012 wurden 336 Millionen Tagesdosen für Kassenpatienten verschrieben.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hatte bereits 2009 darauf hingewiesen, dass das Urikostatikum die häufigste Ursache für SJS und TEN ist.

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