Reisemedizin

„Lieber einmal mehr als gar nicht impfen“

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Berlin -

Der Sommer rückt näher, damit verbunden die Urlaubssaison. Bei Reisen ins Ausland ist eine gute Vorbereitung besonders wichtig, je nach Land können bestimmte Impfungen Pflicht sein. Auch sonst gibt es einiges zu beachten. Welche Medikamente gehören ins Gepäck und was ist beim Umgang mit Lebensmitteln wichtig? Reisemediziner Dr. Christian Schönfeld vom Institut für Tropenmedizin in der Berliner Charité klärt auf. Und im LABOR von APOTHEKE ADHOC gibt es einen Download zur kompletten Reiseapotheke.

Personen, die vor ihrem Aufbruch in ferne Länder eine Beratung brauchen, können die reisemedizinische Sprechstunde des Virchow-Klinikums der Charité in Anspruch nehmen und sich auch einen Impfplan erstellen lassen – sogar samstags. „Reisende kommen oft zu kurzfristig“, berichtet Schönfeld, der seit 30 Jahren als Reisemediziner tätig ist. Dann kann es zeitlich eng werden, um alle notwendigen Impfungen durchzuführen. Für Tollwut brauche man beispielsweise drei Injektionen für eine Immunisierung. „Abhängig von Zeit und Wunsch des Patienten stellen wir einen Impfplan zusammen und überprüfen den Ist- mit dem Soll-Zustand“, erklärt er.

Bei der Beurteilung würden Reiseziele, -dauer, Alter und der allgemeine Gesundheitszustand sowie Allergien berücksichtigt. Auch der Impfstatus des Reisenden spiele eine Rolle; orientiert werde sich an den Standardimpfungen der Ständigen Impfkommission (STIKO). Jede Beratung ist somit für den einzelnen Patienten individuell. Bei einem nicht dokumentierten Impfstatus, beispielsweise bei einem fehlenden Impfbuch, würden Ärzte nach Empfehlungen der STIKO handeln und erneut impfen, auch wenn die Person möglicherweise schon geimpft ist. „Lieber einmal mehr impfen, als nicht zu impfen.“

„Für Reisen nach Afrika ist die Gelbfieberimpfung oft Pflicht“, sagt Schönfeld. Je nach Land können auch andere Impfungen bei der Einreise verlangt werden. Dabei müsse das gelbe Impfbuch (internationales Impfbuch der WHO) vorgezeigt werden. Reisende, die beispielsweise nach Mekka pilgern, müssen sich vorher gegen ACWY-Meningokokken impfen lassen. Empfohlen werden tetravalente Vakzine. Bei Reisen in den indischen Subkontinent sollte gegen Typhus geimpft werden. Weiterhin seien Immunisierungen gegen Hepatitis sehr wichtig: „Die Hepatitis-A-Impfung ist die Impfung für die Reise, B dagegen fürs Leben“, kommentiert der Reisemediziner.

Doch nicht alle Patienten seiner Sprechstunde seien von den anstehenden Impfungen begeistert, er betreue auch Impfskeptiker. „Viele denken: ,Bloß keine Impfung!‘. Oftmals ist es so, dass sie sich nach einer medizinischen Aufklärung doch impfen lassen wollen“, sagt der Reisemediziner. „Impfskeptiker können überzeugt werden, sie sind nur falsch informiert. Impfgegner kommen erst gar nicht.“

Reisemedizinische Beratungen und Impfungen sind laut Gesetz keine Kassenleistung. „Impfungen bei privaten Auslandsreisen müssen vom Patienten selbst, bei beruflichen dagegen vom Arbeitgeber bezahlt werden“, erklärt Schönfeld. Einzelne Krankenkassen würden jedoch (Teil-)Kosten als freiwillige Leistung übernehmen, die AOK Nordost erstatte zum Beispiel Hepatitis A- und B-Impfungen. Daher empfiehlt er Patienten, sich bei ihrer Kasse zu informieren. „Die Kosten können auch nach der Reise rückwirkend erstattet werden.“

Ein großes Thema in der Sprechstunde sei auch Malaria. „Die Menschen haben großen Respekt vor dieser Infektionskrankheit“, weiß Schönfeld aus seinem Berufsalltag. Reisende nach Mittel- und Südamerika sowie Afrika und Asien sollten sich intensiv beraten lassen, da diese Länder zu den Risikogebieten zählen. „Reisenden, die sich in Gebieten mit einem hohen Risiko aufhalten werden, empfehlen wir meistens eine Malaria-Prophylaxe mit der Wirkstoffkombination Atovaquon/Proguanil“, sagt der Reisemediziner. Falls das Risiko einer Infektion gering sei, kämen hingegen Notfallmedikamente mit Artemether/Lumefantrin oder Atovaquon-Proguanil zum Einsatz.

Wie sieht es mit Impfungen in der Schwangerschaft aus? „Das ist generell ein kritisches Thema“, so Schönfeld. Lebendimpfstoffe seien zwar kontraindiziert, Totimpfstoffe hingegen nicht. Wenn der Nutzen größer als das Risiko sei, könnten schwangere Frauen daher geimpft werden. „Zwar ungern, aber es ist möglich.“

Doch nicht nur Impfungen sind bei Reisen von großer Bedeutung. Auch vor Ort ist es empfehlenswert, bestimmte Hygieneregeln einzuhalten. „Hände sollten öfter als sonst gewaschen werden, um die Infektkette zu unterbrechen“, rät Schönfeld. Dabei sei es wichtig, zuerst die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und dann ein Desinfektionsmittel zu nutzen. Als Grund nennt der Arzt die Fettschicht auf der Haut, die mit pathogenen Keimen besiedelt sein könnte. Daher sollten diese zuerst entfernt werden. Vor allem seien nicht alle Desinfektionsmittel zwingend fettlöslich.

Wasser aus dem Hahn sollte nicht getrunken werden, da im Ausland häufig weniger Filter genutzt würden zur Reinigung als hierzulande. Dadurch könnten Krankheitserreger direkt in den Körper gelangen und zu einer Infektion führen. „Gekochtes Essen sollte bevorzugt werden“, sagt der Reisemediziner. „Bei Salaten sollte man vorsichtig sein. In der Regel werden diese mit Leitungs- und nicht mit Flaschenwasser gereinigt. Deshalb lieber darauf verzichten.“ Das Gleiche gelte auch für Obst.

Für die Trinkwasseraufbereitung empfiehlt der Mediziner Desinfektionstabletten. „Wichtig dabei ist, dass die Tablette in klares Wasser gegeben wird. Bei unklarem Wasser adsorbieren Schwebeteilchen den Wirkstoff und der steht dann für die antiseptische Wirkung nicht zur Verfügung.“ Auf dem Markt sind jod- und silberhaltige Tabletten erhältlich, beispielsweise Micropur. „Beide sind effektiv, allerdings hat Jod einen Eigengeschmack“, sagt Schönfeld. Nachteil: Die Einnahme von jodhaltigem Wasser kann die Schilddrüsenfunktion negativ beeinflussen.

Durch unsauberes Essen und Trinken können Krankheitskeime in den Organismus gelangen. Die Maßnahmen sind daher notwendig, um Reisedurchfälle zu vermeiden. Zu den häufigsten Erregern, die einen wässrigen Durchfall verursachen, gehören Enterotoxische Escherichia coli (ETEC). „Das Gift besiedelt den Dünndarm, ohne eine Entzündung hervorzurufen. Das Toxin wandert durch die Schleimhaut in die Zelle und blockiert bestimmte Enzyme, unter anderem die Adenylylcyclase“, erklärt der Experte. In der Folge bleibe Natriumchlorid im Darm und binde Wasser und es entstehe Durchfall. Therapeutisch sollen in erster Linie ORS (Oral Rehydratation Solutions) eingesetzt werden, denn durch die Elektrolyte werde wieder Wasser in die Zellen aufgenommen.

Nicht zuletzt muss bei einer Reise auch an Sonnenschutz gedacht werden. „UV-Strahlen sind ein Eingriff ins Immunsystem und ein Sonnenbrand eine Entzündung für den Körper.“ Daher sollten Reisende unbedingt ein ihrem Hauttyp entsprechendes Sonnenschutzmittel mit passendem Faktor auftragen. Besonders bei ihren Kindern sollten Eltern aufpassen: „Der Sonnenbrand von heute ist der Hautkrebs von morgen“, warnt Schönfeld. Weiterhin sei ein Mückenschutz wichtig sowie helle Kleidung aus Baumwolle. „Mücken suchen Dunkles, um sich zu verstecken.“ Er empfiehlt, die Kleidung mit Permethrin zu imprägnieren, beispielsweise mit „Nobite Kleidung“.

Was gehört in die Reiseapotheke? Im LABOR von APOTHEKE ADHOC gibt es einen entsprechenden Download.

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