Rückforderung von Kosten

Kassen gegen Kliniken: Klagewelle im Sozialgericht

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Frankfurt/Main -

Auf die Sozialgerichte in Hessen kommt eine massive Welle von Klagen der Krankenkassen gegen Krankenhäuser zu. Hintergrund ist ein bisher nur vom Bundestag beschlossenes Gesetz in Berlin, das den Krankenkassen für die Rückforderung von Kosten eine Frist setzt. Allein beim Sozialgericht in Frankfurt sind innerhalb der vergangenen Woche rund 1800 solcher Klagen eingegangen, wie die Behörde am Donnerstag mitteilte. Dies entspreche dem durchschnittlichen Klageaufkommen von fünf Monaten im Jahr 2018.

„Das war eine blanke Überraschung für uns“, sagte Sprecher Henrik Müller. Die Menge an Klagen stelle das Gericht vor erhebliche Herausforderungen, da es dafür ja weder mehr Verwaltungsmitarbeiter noch mehr Richter gebe. Da nach einer ersten Sichtung die Hintergründe unterschiedlich seien, müsse wahrscheinlich jeder Fall einzeln behandelt werden.

Auch das Sozialgericht Darmstadt bestätigte den Eingang einer Fülle dieser Fälle. „Das ist extrem viel mehr als sonst und macht uns große Sorgen“, sagte der Sprecher des Sozialgerichts, Stephan Collignon. „Wir haben noch gar nicht alle erfassen können.“ Genaue Zahlen gebe es daher noch nicht, aber es sei mehr als das Zehnfache im Vergleich zu sonst um diese Jahreszeit.

Die Klagewelle beschäftigt nicht nur Hessen: „Das ist ein bundesweites Problem, das sich durch ganz Deutschland zieht“, sagte der stellvertretende Sprecher des Bundessozialgerichts, Olaf Rademacker, in Kassel. In der Angelegenheit sei es mittlerweile zu einer „überwältigenden Zahl an Verfahren“ gekommen.

Hintergrund des nicht absehbaren Klageeinganges ist laut dem Frankfurter Gericht eine kurzfristig im Gesetzgebungsverfahren zum sogenannten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz eingeführte Ausschlussfrist zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen. Sie sollte eigentlich das Gegenteil des Durcheinanders bewirken: „Die Regelung zielt auf die Entlastung der Sozialgerichte und der Durchsetzung des Rechtsfriedens, der mit der rückwirkenden Einführung der verkürzten Verjährungsfrist beabsichtigt ist“, heißt es in der entsprechenden Drucksache des Deutschen Bundestages.

Die in dem Entwurf gesetzte Frist lief vergangenen Freitag ab. Nach Ablauf können Krankenkassen kein vor dem 1. Januar 2017 gezahltes Geld mehr von Krankenhäusern zurückfordern. Haben sie Ansprüche, mussten sie diese vor Freitag vor Gericht einklagen. Das Gesetz ist jedoch noch nicht in Kraft, der Bundesrat muss noch zustimmen. Gibt dieser sein Okay, könnte die Frist rückwirkend in Kraft treten, erläuterte Müller. Deshalb hätten die 50 überwiegend kleineren Kassen in Frankfurt die Klagen quasi vorsorglich eingereicht.

Eigentlich sollten mit der Frist aus Expertensicht die Krankenhäuser von möglichen alten Rückforderungen entlastet werden. Dabei wurde aber die schnelle Reaktionsfähigkeit der Kassen nicht berücksichtigt.

Die AOK wählte als große Kasse einen anderen Weg, um ihr Geld zurück zu erhalten: Sie verrechnet aus ihrer Sicht in der Vergangenheit zu viel gezahltes Geld mit den aktuellen Kosten. „Das heißt, bestimmte Krankenhäuser kriegen kein Geld mehr von der AOK“, sagte Klaus Brameyer, der Justiziar der hessischen Krankenhausgesellschaft als Interessensvertretung von 150 Kliniken im Land.

Da Krankenhäuser ihren Angestellten Weihnachtsgeld auszahlen müssten, stelle sie das vor erhebliche Liquiditätsprobleme. Bei manchen Kliniken fehlten sechs- bis siebenstellige Beträge. Sein Verband sei gerade dabei, sich einen Überblick über den angerichteten Schaden zu verschaffen. Um das zurückgehaltene Geld zubekommen, müssten die Krankenhäuser dann ihrerseits klagen. Die Gesetzesänderung stelle für seinen Verband trotz guter Absicht ein erhebliches Risiko dar.

Die AOK begründete ihr Vorgehen mit Handlungszwang: „Die rückwirkende Verkürzung der Verjährungsfrist durch den Gesetzgeber verändert die rechtliche Lage auf eklatante Weise, so dass die Krankenkassen unter einem erheblichen zeitlichen Druck standen, um berechtigte Forderungen – vor allem gegen einzelne Kliniken – zu sichern“, heißt es in einer Stellungnahme.

Grundsätzlich gehe es der AOK darum, im Dialog mit den Kliniken einvernehmliche Lösungen zu finden. „Durch die Vorgehensweise des Gesetzgebers wurden wir unter Zugzwang gesetzt und mussten sehr schnell – innerhalb von nur einer Woche – handeln“, erklärte die Kasse.

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