Widerspruchslösung

Organspende: Nur reden, nicht machen

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Berlin -

Sinkende Zahlen bei Organspendern sollen durch mehr Aufklärung gestoppt und wieder gesteigert werden. Das hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn anlässlich des Organspendetages am 2. Juni 2018 erklärt. Denn Organspender sind Lebensretter und „ein Ausweis stellt sicher, dass die eigenen Wünsche umgesetzt werden: Klarheit in EC-Karten-Größe”, so Spahn. APOTHEKE ADHOC hat Spahn, Ärztechef Frank Montgomery, SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und den ehemaligen bayerischen Gesundheitsminister und jetzigen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) um ein Foto ihres Organspendeausweises gebeten. Denn alle rühren die Werbetrommel für mehr Organspendeausweise, Lauterbach und Montgomery sind explizit für die Widerspruchslösung.

Keiner der Angeschriebenen hat uns ein Foto seines Ausweises geschickt. Dabei wäre auch ein jeweils angekreuztes „Nein” anstelle eines „Ja” eine vertretbare Position gewesen, denn genau das sieht der Ausweis eben auch vor. Aber die Politiker bewegen sich in guter Gesellschaft, denn so wie sie verhalten sich auch viele Bundesbürger. Mittlerweile haben 84 Prozent eine positive Einstellung zu Organspenden, aber nur 36 Prozent haben tatsächlich einen solchen Ausweis. Die Zahlen aus der Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) basieren auf der Befragung von 4000 Menschen im Alter zwischen 14 und 75 Jahren. Sie gibt allerdings nicht an, wieviele diesen Ausweis mit Ja oder Nein ausgefüllt haben.

Spahn hatte bereits vor drei Wochen im Rahmen seiner Kritik an der elektronischen Gesundheitskarte jeglichen Zwangsmaßnahmen im Gesundheitswesen eine deutliche Absage erteilt und somit auch der Widerspruchslösung. Die Bürger sollten nicht automatisch zu Organspendern werden, nur weil sie keine anders lautende Erklärung abgegeben haben. Spahn unterstützt also die bisherige Regelung der Entscheidungslösung.

Hier gilt nur als Organspender, wer dies zuvor aktiv erklärt hat. Montgomery, Lauterbach und Söder stehen für die Widerspruchslösung, bei der jeder Bürger quasi gezwungen wird, sich für ein Ja oder Nein zu entscheiden. Tut er es nicht, würde er im Todesfall automatisch als Organspender eingestuft. Diese Widerspruchslösung gilt bereits in Spanien, Italien, Norwegen, Schweden, Luxemburg, Österreich und Frankreich und seit kurzem auch in den Niederlanden.

Seit der großen ABDA-Kampagne 2011 für die Organspende positionieren sich auch Apotheken in Deutschland zunehmend als Orte, wo Aktionen zum Thema Organspende laufen. Die Apotheker können dafür entsprechendes Material wie die Ausweise, Infoflyer und Plakate kostenlos bei der BzgA bestellen.

Zu den Apotheken, die sich vor Ort als Anlaufstelle für die Bürger zu Fragen der Organspende positionieren, zählt auch die Montclair-Apotheke in Merzig im Saarland. Dieses Mal hat die Apothekerin Anne-Kathrin Baltes das Video einer jungen Frau auf Facebook geliked, die zu dem Zeitpunkt noch auf ihre Spenderlunge wartete, die sie inzwischen bekommen hat. Die Apothekerin hält auch solche Mutmach-Videos und entsprechende Likes auf Facebook für ein gutes Mittel, Menschen zum Nachdenken über das Organspenden anzuregen.

Aus der aktuellen Umfrage der Barmer geht hervor, dass sich 58 Prozent für die Widerspruchslösung aussprechen. Das heißt, dass jeder, der zu Lebzeiten nicht widersprochen hat, im Todesfall automatisch zum Organ- und Gewebespender werden sollte. Generell ist die Bereitschaft unter Frauen mit 39 Prozent höher als bei Männern mit 29 Prozent.

Um die Zahl der Organspender zu erhöhen, bleibt auch bei positiv ausgestellten Ausweisen immer noch das Problem, das die Bereitwilligen im Todesfall tatsächlich organspendetauglich versterben müssen. Verbrennungopfer, Wasserleichen, nach vielen Stunde erst aufgefundene Menschen, die entweder eines natürlichen oder gewaltsamen Todes gestorben sind, oder auch Unfallopfer, die aufs Schwerste zerstört sind, kommen für die Organspende nicht in Frage. Das gilt auch für herzkranke Patienten, die schon eine Bypass-, Herzklappen-OP oder den Einsatz von Stents hinter sich haben. Zahlen über Organspendewillige, die nach ihrem Tod dafür nicht mehr infrage kommen, sind nicht bekannt.

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sind 2017 rund 2700 Organe entnommen worden von insgesamt 797 Organspendern. Für die seit Jahren sinkende Zahl gibt es laut Experten etliche Ursachen. Neben Skandalen bei der Organvergabe gibt es heute weniger Unfalltote, dazu kommen gleichzeitig auch immer älter werdende Menschen mit entsprechenden Organproblemen. Außerdem gibt es laut Spahn in den Kliniken noch nicht in ausreichendem Maße Transplantationsbeautragte. Spahn kündigte an, nach der Sommerpause im September einen Gesetzesentwurf vorzulegen, um eine bessere finanzielle Ausstattung der Kliniken zu erreichen.

Sein Plädoyer für mehr Aufklärung und bessere Vorraussetzung in den Transplantationszentren anstelle einer Widerspruchslösung wird auch von Rolf Henke, dem Vorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, unterstützt. Das Transplantationswesen lebe von Vertrauen – ob eine Widerspruchslösung das Vertrauen stärkt, bezweifelt er: „Es ist eher das Gegenteil zu befürchten.” Man müsse die Menschen überzeugen und die Strukturen verbessern.

Der Tag der Organspende findet jedes Jahr am ersten Samstag im Juni statt. Selbsthilfeverbände, Organisationen rund um die Transplantation sowie Apotheken, Ärzte und Privatpersonen informieren an diesem Tag rund um die Organspende und verteilen Spenderausweise. Der Aktionstag wurde 2005 durch die Weltgesundheitsorganisation und den Europarat eingeführt.

Im Organbereich können neben Herz, Niere, Leber und Lunge auch die Bauchspeicheldrüse und der Dünndarm transplantiert werden. Bei transplantierbarem Gewebe können die Ärzte Augenhornhaut, Blutgefäße, Haut, Herzklappen, Knochen, Sehnen und Bänder sowie die Eihaut der Fruchtblase weiterverwerten. Die durchschnittliche Wartezeit auf ein Organ beträgt in Deutschland momentan fünf bis sechs Jahre für eine Niere und jeweils rund sechs bis 24 Monate für eine Leber oder ein Herz. Ein Hauptkriterium für die Vergabe eines Organs sind die Blut- und Gewebemerkmale zwischen Empfänger und Spender. Je höher die Übereinstimmung, je größer die Aussicht, dass der Organismus das Fremdorgan annimmt und nicht wieder abstößt.

Die Stiftung Eurotransplant vermittelt und koordiniert den internationalen Austausch von gespendeten Organen in acht europäischen Ländern mit einem Einzugsgebiet, in dem 134 Millionen Menschen leben. Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn haben sich zusammengeschlossen, um eine möglichst effektive Versorgung der Patienten auf den Wartelisten zu gewährleisten. 2017 feiert Eurotransplant ihr 50. Bestehensjahr. Seit der Gründung 1967 hat die Stiftung mehr als 160.000 schwerkranken Menschen durch die Vermittlung eines Spenderorgans helfen können.

Die seit Jahren laufenden Kampagnen mit Testimonials von Prominenten aus Politik, Sport, Medien und Showgeschäft setzen ganz klar den Akzent auf das Spenden, nicht auf ein bewusstes Nein-Sagen. Mit Spahn und aktuell auch dem schleswig-holsteinischen Landeskollegen Heiner Garg kommt jetzt ein neuer Zungenschlag in das Thema. Aufklärung zum Thema Organspende muss nach ihrer Überzeugung ergebnisoffen sein, ein „Ja” zählt genauso wie ein „Nein”.

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