Jamaika-Sondierung

Rx-Versandverbot wartet auf Koalitionsverhandlungen

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Berlin -

In dieser Woche entscheidet sich das Schicksal der ersten Jamaika-Koalition im Bund: Bis Donnerstag sollen die Sondierungen abgeschlossen sein und feststehen, ob CDU, CSU, Grüne und FPD in kleinteilige Koalitionsverhandlungen einsteigen. Die „dicken Brocken“ müssen abgeräumt werden. Es geht um Klima, Flüchtlingspolitik, Innere Sicherheit und Steuern. Das ebenfalls noch strittige Rx-Versandbverbot muss voraussichtlich auf die Koalitionsverhandlungen warten. Allerdings können auch die Apotheker auf Entlastung bei den Personalkosten hoffen.

Die FDP will eine Senkung der Sozialbeiträge um bis zu 0,7 Prozentpunkte durchsetzen. Bürger und Unternehmen könnten so „um bis zu zwölf Milliarden Euro über Beitragssenkungen entlastet werden“, sagte FDP-Fraktionsvizechef Michael Theurer der Bild-Zeitung. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung könnten um 0,5 Punkte, die für Kranken- und Pflegekassen um je 0,1 Punkte gesenkt werden.

Ein weiteres FDP-Ziel ist eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, wie Theurer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte. Es sollte an die EU-Arbeitszeitrichtlinie angepasst werden. Diese sieht statt einer täglichen Höchstarbeitszeit von acht Stunden eine wöchentliche Maximaldauer von 48 Stunden vor – acht Stunden mehr als jetzt, allerdings einschließlich Überstunden.

Bereits am vergangenen Freitag hatten sich die Unterhändler im Bereich Gesundheit auf einige Grundsätze verständigt. Vor allem die Pflege soll verbessert werden und mehr Geld erhalten. Die Jamaika-Sondierer wollen auch das „Schulgeld für die Ausbildung in den Heilberufen abschaffen, so wie es in den Pflegeberufen bereits beschlossen wurde“, heißt es im Konsensteil. Ob davon auch PTA-Schüler profitieren können, ist noch fraglich, da die Finanzierung von PTA-Schulen Ländersache ist.

Viele andere Gesundheitsthemen sind noch strittig. In den entsprechenden Papieren über den aktuellen Stand der Jamaika-Verhandlungen sind diese Abschnitte in Klammern gesetzt. Dazu gehört auch die Aussage zum Rx-Versandverbot: „[Wir wollen den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln zur Sicherstellung einer flächendeckenden Apothekenversorgung verbieten.] [Wir wollen Maßnahmen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung insbesondere in ländlichen und sozial benachteiligten Regionen ergreifen. Eine flächendeckende Arzneimittelversorgung braucht beides: Präsenzapotheken und in- und ausländischen Versandhandel.]“, lautet die Passage. Das Rx-Versandverbot als Detailfage der Gesundheitspolitik könnte erst in den späteren Koalitionsverhandlungen geklärt werden.

Am Wochenende gab es zudem weitere Kompromisssignale: Die Arbeitsgruppe „Innen, Sicherheit, Rechtsstaat“ einigte sich darauf, das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern zu reformieren. Und in der CDU-Delegation zeigt man sich bereit, beim Familiennachzug von Flüchtlingen auf die Grünen zuzugehen. Der Auftakt der dritten Sondierungsphase mit der Runde der Parteichfes war am Sonntagabend nach sieben Stunden zu Ende gegangen, ohne dass konkrete Ergebnisse bekannt wurden. Das Klima wurde danach aber als gut beschrieben. CSU-Chef Horst Seehofer sagte: „Alles im Plan.“

Zum Terrorabwehrzentrum GTAZ heißt es im Sondierungspapier der Expertengruppe: „Die gemeinsamen Zentren von Bund und Ländern sollen nicht nur dem Austausch von Informationen dienen, sondern – rechtlich sauber geregelt – verbindliche Absprachen gewährleisten.“ Einig sind sich die Jamaika-Unterhändler demnach auch über eine stärkere Koordinierungsfunktion des Bundeskriminalamts und des Bundesverfassungsschutzes bei der Terrorabwehr. Das Vorhaben ist auch eine Konsequenz aus dem Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlag vor knapp einem Jahr mit zwölf Toten. Der Attentäter Anis Amri war als islamistischer Gefährder bekannt, dennoch wurde seine Terrortat nicht verhindert. Uneinig sind die Jamaika-Unterhändler dagegen bei der Kontrolle der Geheimdienste. FDP und Grüne wollen sie deutlich mehr stärken als die Union.

Zum Thema Familiennachzug sagte der CDU-Unterhändler Jens Spahn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Wer legal ins Land kommt, sich anpasst, Deutsch lernt, Arbeit hat und so beweist, dass er Teil dieser Gesellschaft sein will, soll auch dauerhaft bleiben dürfen und erleichtert die Möglichkeit zum Familiennachzug erhalten.“ Das Thema ist ein Knackpunkt der Gespräche. Der Familiennachzug ist für Flüchtlinge mit beschränktem Schutzstatus bis März 2018 unterbunden – die Grünen wollen ihn wieder ermöglichen, die Union bremst bisher, vor allem die CSU.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, der für die CSU mit verhandelt, verlangte eine starke Beschränkung des Familiennachzugs. Für ein Einwanderungsgesetz zeigte er sich unter Bedingungen offen: „Wir können uns auf ein Einwanderungsgesetz verständigen mit festen Quoten für legale Einwanderung. Illegale Einwanderung darf es in Zukunft nicht mehr geben.“

Vor dem Treffen am Sonntagabend hatten besonders FDP und Grüne mehr Bewegung in den Gesprächen verlangt und darauf verwiesen, dass sie in Vorleistung gegangen seien. Die CDU-Vorsitzende, Kanzlerin Angela Merkel, betonte die Möglichkeit von Kompromissen: „Es wird ein noch durchaus großes Stück Arbeit. Aber aus meiner Sicht kann bei gutem Willen auch eine Lösung erzielt werden.“ In der Schlussrunde versuchen die Chef-Unterhändler in jeweils einstündigen Beratungen Kompromisse zu den einzelnen Themenblöcken zu finden. Merkel, Seehofer, FDP-Chef Christian Lindner, sein Vize Wolfgang Kubicki sowie das Grünen-Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sondieren zusammen mit den jeweils zuständigen Berichterstattern der Parteien.

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