Deutscher Ärztetag

KBV: Acht Punkte für den Bundestagswahlkampf

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Berlin -

Klare Positionierung: Im Vorfeld des Deutschen Ärztetags in Freiburg hat Dr. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), ein Acht-Punkte-Programm präsentiert. Auch ein Dauerthema ist Teil der Forderungen: Homöopathie gehört aus Sicht der Mediziner nicht in den Leistungskatalog der Krankenkassen. Darüber hinaus sieht die KBV umfassenden Reformbedarf und fordert ein ausdrückliches Bekenntnis der Politik zur Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung.

„Es ist absurd, wie viel Geld manche gesetzliche Versicherung für Kügelchen und Tinkturen aus dem Fenster wirft, deren Wirksamkeit – selbst nach eigenem Bekunden der Kassen! – nicht belegt ist. Wenn aber ein Arzt einem Patienten ein erwiesenermaßen wirksames Arzneimittel verordnet und hinterher in Regress genommen wird, weil die Studienlage für diese spezifische Patientengruppe nicht ausreichend sei, dann läuft etwas gewaltig schief!“ Gassen fordert, dass die Krankenkassen grundsätzlich keine homöopathischen Leistungen finanzieren dürfen: „Auch nicht als Satzungsleistung, so lange der Nutzen nicht nachgewiesen ist.“

Bei vielen Patienten wird er mit dieser Forderung keine Unterstützung finden: Laut der ARD-Sendung „Plusminus“ haben fast zwei Drittel der Deutschen schon einmal ein homöopathisches Mittel ausprobiert, bundesweit gibt es rund 7000 Ärzte mit einer entsprechenden Zusatzausbildung. In den vergangenen vier Jahren stieg der Umsatz homöopathischer Mittel um rund 31 Prozent auf 600 Millionen Euro. Etwa 60 Prozent der Deutschen nutzen laut Plusminus-Recherchen alternative Heilmethoden, obwohl wissenschaftliche Belege zur Wirksamkeit fehlen.

Im Vorfeld des Deutschen Ärztetages, der bis zum Freitag in Freiburg stattfindet, präsentierte Gassen gestern einen 8-Punkte-Plan, der garantieren soll, dass der Strukturwandel im deutschen Gesundheitswesen bewältigt werden kann.

Punkt 1: Immer mehr Erkrankungen werden heute fast ausschließlich ambulant behandelt. Davon profitieren die Patienten, die laut Umfragen lieber ambulant als stationär behandelt werden möchten. Angesichts dieser Entwicklung und gleichzeitig bestehender Überkapazitäten im Krankenhausbereich müssten, so fordert die KBV, die ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen bedarfsgerecht angepasst werden. Rund 595 Millionen Behandlungsfälle zählt der ambulante Bereich pro Jahr. Die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte belaufen sich auf fast das Doppelte. Etwa 20 Millionen Fälle werden im Krankenhaus behandelt, wobei fast jeder Fünfte vermeidbar wäre. Diese 3,7 Millionen vermeidbaren Krankenhausfälle verursachen Kosten von rund 7,2 Milliarden Euro jährlich. Laut KBV ist die Grenze der Leistungsfähigkeit der Krankenkassen erreicht.

Punkt 2: Qualifizierte Ersteinschätzung am Telefon rund um die Uhr, mehr Patienteninformation – auch online oder per App – und die Bereitschaftspraxen sollen die Notaufnahmen an Krankenhäusern entlasten. Das gesetzlich verankerte Prinzip „ambulant vor stationär“ soll durch die Weiterentwicklung des ambulanten Not- und Bereitschaftsdienstes verstärkt werden.

Punkt 3: Die bisherigen gesetzlichen Vorgaben für die Bedarfsplanung sind trotz geltendem Versorgungsstrukturgesetz nicht ausreichend. Die KBV fordert die Weiterentwicklung der Bedarfsplanung von einer „reinen Zulassungsplanung“ zu einer „echten Bedarfsplanung“. Die Festlegung des Bedarfs soll sich nicht ausschließlich an der Demografie der Bevölkerung orientieren, sondern soll um indikationsbezogene Parameter und regionale Strukturparameter ergänzt werden. Zusätzliche Arzt- und Psychotherapeutenstellen müssen gegenfinanziert werden.

Punkt 4: Derzeit versorgen die rund 165.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten jährlich etwa 595 Millionen Behandlungsfälle. Die Tendenz ist steigend. Die KBV fordert die Beendigung der Budgetierung der ärztlichen und psychotherapeutischen Leistung. Die Entwicklung von Demografie, Morbidität und medizinisch-technischem Fortschritt wird nach Ansicht der Kassenärzte zunehmend dazu führen, dass sich die Behandlung der Patienten noch stärker als bisher in den ambulanten Versorgungsbereich verlagert.

Punkt 5: Die KBV fordert eine „sinnvolle Digitalisierung" der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Die drei wichtigsten Schlagworte: wirkliche Innovationen, aufwandsneutral, nutzbringend – so sieht aus Sicht der KBV die perfekte Digitalisierung aus. Entscheidend sei, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient durch Maßnahmen der Digitalisierung nicht gestört oder eingeschränkt werde.

Punkt 6: Die Nachwuchsgewinnung von Haus- und Fachärzten ist ausbaufähig, noch werden nicht alle Möglichkeiten genutzt. Schon im Medizinstudium soll die Patientenversorgung idealerweise ein Thema sein. Zudem soll die Förderung der ambulanten Weiterbildung ausgebaut werden.

Punkt 7: Koordination erleichtert den Arbeitsalltag – Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten werden künftig mehr denn je auf eine gute Zusammenarbeit mit den nichtärztlichen Gesundheitsberufen angewiesen sein. Denn nur dadurch werden sie die erforderliche Anpassung an Versorgungsstrukturen bewältigen können. Dies gilt insbesondere für strukturschwache, meist ländliche Regionen, die von der demografischen Entwicklung besonders betroffen sind.

Punkt 8: Gemeinsam stark – eine Forderung, die seit Jahren gilt. Politik, Gesetzgeber und Krankenkassen müssen, so mahnt die KBV, mehr denn je ihre Kräfte bündeln. Und sie fordert ein „Bekenntnis der Politik zur Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung nach den Prinzipien der freiberuflichen Berufsausübung, vornehmlich in inhabergeführten Praxen und auf der Basis einer funktionierenden Selbstverwaltung“. Ab morgen sind drei Tage Zeit, um Mitstreiter für die acht Punkte zu finden.

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